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Der Karikaturist seiner selbst

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Dem vielseitigen Comic-Virtuosen Robert Crumb zum 70. Geburtstag

Von keinem großen Comic-Zeichner weiß die Welt so viel wie von Robert Crumb. In Philadelphia ist er aufgewachsen. Die Mutter liest gerne brutale Krimihefte, die sie unter ihrer Matratze versteckt. Der Vater, ein Weltkriegsveteran, pfeift auch mal den "River-Kwai-Marsch", während er vergeblich versucht, seine Söhne zu tüchtigen Sportlern zu erziehen. Als junger Mann verdingt Crumb sich bei einer Grußkartenfirma in Cleveland als Illustrator. Dann nimmt er LSD, beginnt Comics zu zeichnen und vernimmt den Ruf der Hippie-Bewegung. Er zieht nach San Francisco, erfindet die "Underground Comix" und wird sofort zu einer Szene-Größe. Das erste Heft der "Zap"-Reihe schlägt Crumb 1968, unterstützt von Dana, seiner ersten Frau, auf den Straßen von Haight Asbury los. Als Verkaufstand dient ein Kinderwagen.



Das Leben als Comic. Zusammen mit Art Spiegelman und Justin Green zählt Crumb zu den Begründern des autobiografischen Comics

All das und noch viel mehr wissen wir nicht nur, weil Crumb es in Interviews erzählt hat. Vielmehr hat er sein Leben und seine Karriere immer wieder zum Gegenstand seiner Kunst gemacht. Zusammen mit Art Spiegelman und Justin Green zählt Crumb zu den Begründern des autobiografischen Comics. Das Mitteilen der äußeren Ereignisse ist hier Mittel zum Zweck: Was geschieht, mag banal sein. Entscheidend ist, was es im Erzähler bewirkt.

So zeigt Crumb sich gerne als ein zutiefst zerrissener Charakter, gelähmt von Minderwertigkeitskomplexen und Ängsten, angetrieben von Aggressionen und Obsessionen. Wichtigster Auslöser seines inneren Durcheinanders ist das sexuelle Begehren. In einem Band mit dem Titel: "Mein Ärger mit den Frauen" (deutsch von Harry Rowohlt, Reprodukt Verlag, 2013) hat Crumb mehrere Geschichten versammelt, die sein schwieriges Verhältnis zum anderen Geschlecht schildern.

Als radikalen Selbstentblößer wird man ihn darum anlässlich seines runden Geburtstages erneut feiern - und doch ist dies nur die halbe Wahrheit. Ein authentisches Sprechen vom Ich ist ja grundsätzlich schwer möglich; wer von sich redet, der konstruiert sich zugleich. Der Robert Crumb in den Comics ist, wie der Künstler dieses Frühjahr bei seinem Aufenthalt in München bemerkt hat, kein Ebenbild, sondern "eine Karikatur". So wie die karikaturistische Wiedergabe eines Menschen einzelne physiognomische Merkmale übertreibt, so verfährt Crumb, wenn er Schmutz und Glanz seiner Seele ausbreitet - es ist alles nur scheinbar unverstellt.

In der Geschichte "Die 17 Gesichter des Robert Crumb" ist dieses Verfahren auf die Spitze getrieben und kenntlich gemacht: Da erscheint der Porträtierte übergangslos als "stiller Dulder und heiligmäßiger Künstler", als "sexbesessener Unhold" und als "leidenschaftlicher Revolutionär und bester Freund des kleinen Mannes."

Das verstreute Erscheinen seiner meist kurzen Arbeiten - Ausnahme: die monumentale Adaptation der "Genesis" (2009) - macht es nicht leicht, den Überblick über Crumbs Werk zu wahren. Der verengte Blick auf ihn als Neurotiker und Exhibitionisten, als den wüsten Bruder Woody Allens, schmälert seine künstlerischen Leistungen in unzulässiger Weise. Crumb ist ein phantastischer, bei aller Individualität tief in der Tradition wurzelnder Zeichner. Einerseits bezieht er sich in subversiver Weise auf die "Funny Animal"-Comics aus dem Hause Disney. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der geile Kater "Fritz the Cat". Andererseits ist Crumb von den großen Illustratoren des 19. Jahrhunderts und von EC-Zeichnern wie Jack Davis und Wally Wood beeinflusst. Er ist ein Meister der Schraffur und des Chiaroscuro, der keine Farbe benötigt, um seinen Bildern Dynamik und Relief zu verleihen.

Auch in inhaltlicher Hinsicht ist Crumb vielseitiger, als es vielen seiner Verehrer bewusst ist. Der Band "Nausea" (ebenfalls bei Reprodukt, 2012) versammelt Arbeiten, die von seinem Interesse für Literatur zeugen, darunter eine auszugsweise Adaptation des "Londoner Tagebuchs" von James Boswell. In "Mister Nostalgia" (im November 2013 bei Reprodukt) dokumentiert Crumb seine leidenschaftliche Liebe zu Blues und Folk. Dass diese tradierten Musikformen seit Anbruch der Rock"n"Roll-Ära deutlich an öffentlicher Wertschätzung verloren haben, ist für ihn ein großes Unglück. Die berühmten "Sketchbooks" schließlich (Neuausgabe bei Taschen, 2012) zeigen einen Zeichner, der sich nicht damit begnügt, seinen Privatkosmos auszubreiten, sondern Eindrücke aller Art festhält. Am Freitag wird Crumb 70. Es ist Zeit, ihn neu zu entdecken.

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