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Die Vermessung der Pein

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Gerichte sprechen Männern mehr Schmerzensgeld zu als Frauen

Zu den bizarrsten Beispielen juristischer Fachliteratur gehören die Schmerzensgeldtabellen. Das sind dickleibige Werke, längst auch als CD-Rom erhältlich, in denen nachzulesen ist, was ein abgerissener Arm wert ist, ein offener Schien- und Wadenbeinbruch oder eine Stirnhöhlenfraktur. Nicht, dass man irgendjemandem das Geld missgönnen würde, im Gegenteil: Wenn aus einem unbeschwerten Leben ein beschwerliches und schmerzvolles geworden ist, soll der Schuldige dafür ruhig zahlen. Trotzdem bleibt die Frage: Wie rechnet man Schmerz in Euro um?



Beim Schmerzensgeld gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Leicht nachvollziehbar ist, dass der verlorene Arm den Gerichten deutlich mehr wert war - nämlich 75 000 Euro - als der gebrochene Unterschenkel (10 000) und die Stirnverletzung (6000). Zwar gibt es erhebliche Differenzen bei einzelnen Verletzungsarten; für einen amputierten Finger haben die Gerichte nach einer aktuellen Tabelle zwischen 1500 und 15 000 Euro zugesprochen. Aber auch das lässt sich erklären: Maßgeblich sind alle Umstände des Falles, also die Dauer der Schmerzen oder Komplikationen bei der Behandlung. Und auch das Ausmaß der Schuld spielt eine Rolle - etwa ob es sich um einen fahrlässig verursachten Autounfall handelt oder einen brutalen Schlägerangriff in der U-Bahn. Aber wie teuer ist eigentlich ein zerstörtes Leben? In erschütternden Beispielen von Kleinkindern, die nach einem Unfall oder durch einen ärztlichen Behandlungsfehler querschnittgelähmt oder gehirngeschädigt sind, hat die Justiz bis zu 600 000 Euro festgesetzt.

Dass die Mathematik der Schmerzensgelder eine eher irrationale Angelegenheit ist, hat der Marburger Anwalt Hans-Berndt Ziegler nun in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Schadensrecht deutlich gemacht. Er hat die Beträge verglichen, die für Verletzungen der Geschlechtsorgane und Verlust der Zeugungsfähigkeit gezahlt werden. Und hat Überraschendes ausgemacht: Männer kommen vor Gericht besser weg als Frauen. Bei Männern, die durch eine Verletzung zeugungsunfähig geworden sind, beträgt die niedrigste von Ziegler ermittelte Summe 20 000 Euro - bei Empfängnisunfähigkeit von Frauen nur 2500 Euro. Einen ähnlichen Befund zeigen die Spitzenwerte: Männer 60000, Frauen 50000 Euro. Zwar reicht das, wie Ziegler einräumt, nicht für eine valide Statistik. Andererseits wird die Beobachtung des Anwalts für Medizinrecht durch weitere Zahlen gestützt. Der Verlust eines Hodens führt, ebenso wie der eines Eileiters, noch nicht zur Zeugungsunfähigkeit. Trotzdem haben die Gerichte bei Männern 10 000 bis 18 000 Euro, bei Frauen nur 2500 bis 15 000 Euro gezahlt.

Nun läge es nahe, eine männlich dominierte Justiz dafür verantwortlich zu machen. Doch die gibt es nicht mehr: Richter ist inzwischen ein attraktiver Frauenberuf, der Frauenanteil liegt bei etwa der Hälfte. Denkbar ist aber, dass der Geist der einstigen Männerjustiz fortwirkt. Bei der Ermittlung des Schmerzensgeldes schauen die Richter notgedrungen auf diverse Schmerzensgeldtabellen. So schreiben sie womöglich fort, was frühere Generationen vorgegeben haben. Ziegler plädiert für ein rationaleres Berechnungssystem. Denkbar, dass die Gleichstellung dann auch andersherum wirksam würde. Weibliche Schönheit war den Gerichten bislang mehr wert als männliche: Für eine Narbe in einem Männergesicht sprach ein Gericht dem Opfer 750 Euro zu. Eine Frau, ähnlich entstellt, erhielt 2500 Euro zugebilligt.

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