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Das Monster zuckt wieder

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Ausgerechnet die Bundesregierung hat die Euro-Krise wieder zum Wahlkampfthema gemacht. Obwohl die Deutschen rettungsmüde sind, schadet ihr das wahrscheinlich nicht: Ohne Merkel fürchten die Bürger Schlimmeres

Eigentlich ist die Partei, die sich ganz unbescheiden die Alternative für Deutschland nennt, gar keine Partei. Keine so richtige jedenfalls, denn in ihrem Kern besteht die AfD aus einem Trupp zorniger Professoren, die der Ärger darüber eint, dass die Berliner Nomenklatura von Merkel bis Trittin ihren ökonomischen Sachverstand seit Jahren ignoriert. Aber noch etwas unterscheidet diese Alternative von Protestparteien aus anderen Ländern: die gute Kinderstube. Denn so groß der Frust über die angeblich verkorkste "Euro-Rettungspolitik" von Union, FDP, SPD und Grünen auch sein mag - mit persönlichen Angriffen etwa auf die Kanzlerin hält sich der Parteigründer und Spitzenmann Bernd Lucke auffallend zurück.



AFD-Chef Lucke bei einer Demo am Brandenburger Tor

Gut möglich, dass in der Schublade des höflichen Herrn Lucke bereits ein Dankesschreiben liegt, das ein Gehilfe der EuroSkeptiker am Sonntag um 18Uhr in einen Briefkasten am Spreeufer werfen wird. Adresse: Bundesfinanzministerium, Ministerbüro, 11016 Berlin. Sollte die AfD am 22. September tatsächlich den Sprung in den Bundestag schaffen, dann hat sie das ganz wesentlich Wolfgang Schäuble zu verdanken. An sich nämlich lag die erst vor fünf Monaten gegründete Partei bereits am Boden, bastelte an Dolchstoßlegenden, war einsortiert in die Gruppe der "Sonstigen", die in den Meinungsumfragen namentlich nicht mehr genannt werden. Ihr einziges Wahlkampfthema, es wollte einfach nicht zünden - bis Schäuble Mitte August in einem tristen Saal der schleswig-holsteinischen Gemeinde Ahrensburg plötzlich ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland ankündigte. Seither ist die Euro-Rettung wieder ein Thema - und die AfD beständig im Aufwind: Wenige Tage vor der Wahl liegt sie in den Umfragen zwischen drei und fünf Prozent.

Auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, dass es so lange dauerte, bis der Euro den Wahlkampf erreichte, denn schließlich hat nichts die ablaufende Wahlperiode so sehr dominiert wie die Dramen um Griechenland, Portugal, Zypern & Co. Zuletzt haben sich die Dinge zwar spürbar beruhigt, doch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hütet sich davor, diesen "Erfolg" im Wahlkampf für sich zu reklamieren: Jede Erwähnung des Themas nämlich wäre zugleich eine Erinnerung daran, dass die Deutschen heute mit einem dreistelligen Milliardenbetrag für die Südländer haften.

Hinzukommt: Die Kanzlerin weiß genau, dass das Krisenmonster zwar derzeit still daliegt, aber schon bald wieder zucken wird. Dann nämlich, wenn vielleicht Slowenien das erste, Portugal das zweite und Griechenland das dritte Rettungspaket beantragt. Wenn Irland direkte Hilfe für seine Banken fordert, in Italien die Regierung kollabiert und Frankreich statt in Reformbereitschaft erneut in Agonie verfällt. Durchaus möglich, dass das Monster dann nicht nur zuckt, sondern erneut sein grässliches Haupt erhebt und - wie die AfD - von den Halbtoten aufersteht.

Dass es andererseits auch den Professoren von der Alternative lange nicht gelang, die Krise zum Wahlkampfschlager zu machen, hat ebenfalls mit der Kanzlerin zu tun. Denn obwohl viele Deutsche mit den Forderungen der AfD nach einem Ende der Rettungspolitik und der Rückkehr zur D-Mark liebäugeln: In Wahrheit kennen sie die Krise nur aus dem Fernsehen. Merkel, so die weitverbreitete Stimmung, ist zwar vielleicht den Griechen gegenüber zu großzügig - ohne Merkel aber wäre sicher alles noch schlimmer.

Diese Stimmung macht nicht nur Newcomer Lucke zu schaffen, sondern auch dem alten Hasen Peer Steinbrück - der noch ein weiteres Problem hat: Er selbst wie auch weite Teile seiner SPD haben seit 2009 beinahe allen Vorhaben Merkels zur Euro-Rettung im Bundestag zugestimmt. Entsprechend zaghaft ist jetzt das Wahlprogramm: Zwar wollen die Sozialdemokraten etwas mehr Geld für die Ankurbelung des Wachstums in den Krisenländern zur Verfügung stellen. Von einer grundlegenden Abkehr vom Merkel-Motto "Hilfe gegen Reformen" kann aber keine Rede sein.

Da machen es sich die Grünen leichter: Obwohl sie genauso mit der Kanzlerin gestimmt haben wie die SPD, setzen sie auf das schlechte Gedächtnis der Wähler und vollziehen eine rasante Wende: "Wir kritisieren den europapolitischen Kurs von Merkel scharf", heißt es im Programm und: "Es ist fahrlässig, wie die Währungsunion von der Bundesregierung aufs Spiel gesetzt wird." Was dann folgt, ist eine Liste von Ideen, die jedem Konservativen den Schweiß auf die Stirn treiben und alle Gedankenspiele über eine schwarz-grüne Koalition als Hirngespinste entlarvt: Gemeinschaftsanleihen der Euro-Länder, ein Tilgungsfonds zum Altschuldenabbau, Vermögensabgaben in allen EU-Ländern.

Angesichts solcher Konkurrenz bleibt Gregor Gysi und seinen Mitstreitern wenig übrig, als noch ein Stück weiter nach links zu rücken. Die PDS-Nachfolger wollen die Sozialkürzungen in Griechenland, Portugal, Irland und Zypern rückgängig machen und die Europäische Zentralbank zwingen, den Regierungen der Euro-Länder direkt Geld zu leihen. Dass das nach geltendem Recht schlicht verboten ist, schert Gysi & Co. wenig. Immerhin: Dank der klaren Positionierung der AfD und der Linken stehen dem Wahlbürger zwei klare Alternativen zum "Ja" von Union und FDP und zum "Ja, aber" von SPD und Grünen zur Fortführung des bisherigen europapolitischen Kurses zur Verfügung: eine am eher rechten, eine am eher linken Rand.

Weit weniger klar ist hingegen, wie es in der Sache weitergeht. Nicht nur, dass die Wirtschaftsdaten aus den Krisenländern kein einheitliches Bild ergeben, sie werden auch noch höchst unterschiedlich interpretiert. Die Kritiker des bisherigen Kurses reden die Reformerfolge etwa in Griechenland systematisch klein, die Befürworter werten jeden noch so kleinen Lichtstrahl als Beleg für das nahende Ende des Tunnels. Die Wahrheit ist: Noch weiß niemand, ob diese Strahlen tatsächlich von der Sonne stammen - oder von einem entgegenkommenden Zug. Wann Europa die Krise überwindet, hängt zudem weniger von Wahlprogrammen ab als von so unberechenbaren Faktoren wie den jüngsten Währungsturbulenzen in einigen großen Schwellenländern. Bleiben sie regional begrenzt, oder lösen sie die nächste Weltwirtschaftskrise aus, die auch die Reformerfolge in Europa wieder zunichtemacht?

Klar scheint lediglich: Trotz aller neuen Verträge und Institutionen, die sich die Europäer im Zuge der Krise gegeben haben - vom Hilfsfonds ESM über den Fiskalpakt bis hin zur sogenannten Jugendgarantie - ist die Euro-Zone immer noch alles andere als krisenfest. Nötig ist nach Meinung der meisten Experten vielmehr eine Richtungsentscheidung, um die sich Koalitions- wie Oppositionsparteien bisher herumdrücken: Entweder müssen die Aufgaben, die die EU-Kommission mangels echter Zuständigkeit nicht bewältigt bekommt, wieder auf die nationale Ebene zurückgeholt werden, oder aber die Kommission, das Europaparlament und der Europäische Rat müssen zu einer Art europäischer Regierung mit einem starken Zwei-Kammer-Parlament ausgebaut werden. Am konkretesten werden hier noch die Grünen, die beispielsweise fordern, dass die Parteifamilien bei Europawahlen künftig Spitzenkandidaten nominieren - der Wahlsieger würde dann Kommissionspräsident.

Ein wirklich stringentes europapolitisches Gesamtkonzept aber bietet keine der Parteien an, die zur Bundestagswahl antreten. Wem das nutzt und wem es schadet, wird man vielleicht bereits am Sonntagnachmittag beobachten können: vor einem Briefkasten am Berliner Spreeufer.

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