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Und Gott stieg aus dem Wasser

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Ich weiß, was du letzte Nacht getan hast: Alain Guiraudies Thriller "Der Fremde am See" erzählt von einer leidenschaftlichen und mordsgefährlichen Strandromanze unter Männern.


Man kann die Hitze fast auf der Haut spüren am Anfang von Alain Guiraudies "Der Fremde am See". Wenn Franck an den Strand kommt, vor ihm die klare, grünliche Wasserfläche, hinter ihm bewaldete Hügel und Berge. Guiraudies Film ist ein Thriller, und der schöne Schein hält nicht lange. Franck vertrödelt ein paar Nachmittage am Schwulenstrand des Sees, ganz einsam gelegen, lernt Henri kennen, einen heterosexuellen, einsamen Mann, der etwas abseits sitzt, und freundet sich mit ihm an. In dem kleinen Wald oberhalb findet statt, wofür die meisten dieser Männer dort überhaupt hinkommen: Spontan-Sex im Gebüsch, mit wechselnden Partnern. Franck verguckt sich in einen anderen Fremden, der aussieht wie Burt Reynolds zu seiner Blütezeit: Michel, der mit seinem Freund am Strand zu sein scheint. Es wird Abend, Franck bleibt am See, ist oben im Wald, als er die beiden unten im Wasser planschen sieht. Erst sieht es aus wie eine harmlose Kabbelei. Und dann plötzlich drückt Michel seinen Liebhaber unter Wasser und ertränkt ihn.



Stimmungsvolle Szene aus dem französischen Kinofilm "Der Fremde am See"

Es ist ein huis clos unter freiem Himmel, was Alain Guiraudie da geschaffen hat - über einen Zeitraum von zehn Tagen treffen sich immer dieselben Männer an diesem abgelegenen Strand. Nichts ist schrecklicher als das Böse, das ein Idyll vergiftet, plötzlich und unerwartet - und obwohl die Konzentration auf einen begrenzten Raum und das unwirkliche Licht "Den Fremden am See" zu so einer Art Freiluft-Variante von "Fenster zum Hof" macht, gibt es einen ganz wesentlichen Unterschied: Was Franck beobachtet, ist völlig klar und über jeden Zweifel erhaben. Und sein Schrecken währt nicht lang - schon am nächsten Tag ist Michel wieder da, cool und gut gelaunt, als sei nichts geschehen. Er macht Franck an, und der schmilzt wie Eis am Stil auf seinem Badetuch dahin.

Das Idyll wird immer beklemmender, und mit ihm auch Franck (Pierre Deladonchamps), den man erst einmal als sympathischen, unbeschwerten Jungen wahrnimmt. Aber gerade die Mischung aus Furcht und Begehren, die Michel (Christophe Paou) in ihm auslöst, scheint ihn magisch anzuziehen, das Spiel mit dem Feuer, dass er da eindeutig treibt. So wird dann aus dem Thriller auch ein kleines Stück über sexuelle Anziehungskraft und ihre Tücken. Natürlich mag Franck den treuseligen Henri eigentlich lieber als den gut aussehenden Mörder, es entsteht viel mehr Nähe zwischen den beiden, ihre Plaudereien gehören zu den schönsten Szenen: Henri erzählt, wie einsam er sich fühlt - er hat nicht gelernt, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen; und Franck gesteht, wie sehr er sich in Michel verknallt hat, wie wenig er das als reine Strand-Affäre sehen kann.

Der kalte, selbstsüchtige Mörder Michel aber verbittet sich jeden Kontakt jenseits des Strands, doch Franck bekommt seine Sehnsucht nicht unter Kontrolle. Diese Figur, sagt Guiraudie, habe er "weniger als Aids-Metapher erfunden denn als so eine Art Gott des Sees, eine etwas mystische Figur, einen ultraliberalen Genießer. Er konsumiert, und wenn er genug hat, ersäuft er jemanden." Sie haben eine merkwürdige Art, einander zu lieben - das sagt der Kommissar zu Franck, der am See auftaucht und nun allen Fragen stellt, als ein paar Tage nach dem Mord die Leiche gefunden wird. Guiraudie baut diesen Raum am See auf wie eine Bühne, einen geschlossenen Ort, mal in gleißendes Tageslicht getaucht, mal in das warme Glitzern der untergehenden Sonne. Immer künstlicher wirkt er im Verlauf des Films - und dafür ist Guiraudie in Cannes, wo "Der Fremde am See" in der Nebenreihe Un certain regard lief, gefeiert worden.

Nun muss man sagen: So grandios wie Abdellatif Kechiches Lesben-Romanze "La vie d"Adèle/ Blau ist eine warme Farbe", die nebenan im großen Haus die Goldene Palme von Cannes gewann, ist "Der Fremde am See" dann doch nicht. Guiraudies Film ist Genre-Kino, ganz besonders gut inszeniertes sogar - Kechiche aber hat sich mit seinem Film geradezu ein eigenes, neues Genre erfunden. Beide Filme liefen im Kino, während in Frankreich die Demonstrationen gegen Schwulenehe und Adoptionsrecht für homosexuelle Paare stattfanden. Und eines haben sie, so unterschiedlich sie ansonsten sein mögen, aber auf jeden Fall gemeinsam - sie erzählen vom Sex in einer Explizitheit, als wollten sie klarstellen, dass Frankreich nicht die Heimat der Prüderie ist, dass das französische Kino lieber die Tabugrenzen abtastet, als sich zurückzuziehen. Er wollte, sagt Guiraudie, nicht um den heißen Brei herumreden: "In der Liebe gehört Sex dazu."

Abdellatif Kechiche ist dabei ungeheuer sinnlich, Alain Giraudie geht eher technisch an die Sache heran - seine Schauspieler haben sich für die Sex-Szenen doubeln lassen, und er setzt eher auf zotigen Humor. Eine burleske Choreografie spielt sich da ab im Wald. Die diversen Begegnungen im Gebüsch werden begleitet von ein paar Running Gags, etwa einem überall unwillkommenen Voyeur - es geht ein bisschen zu wie auf einem Spielplatz, wo die Jungs einen, den sie nicht mögen, nicht mitspielen lassen. Das gibt dieser finsteren Geschichte einen leichteren Ton. Sie handelt von einem, der gar nicht anders kann - egal, was ihn erwartet, oder wie viel Angst er vielleicht hat. Was dann vielleicht zu den Diskussionen in Frankreich der stärkste Kommentar ist: Verliebte lassen sich nicht einschüchtern.

L"inconnu du lac, Frankreich 2012 - Regie und Drehbuch: Alain Guiraudie. Kamera: Claire Mathon. Schnitt: Jean-Christophe Hym. Mit: Pierre Deladonchamps, Christophe Paou, Patrick D"Assumçao, Jérôme Chappatte. Verleih: Alamode, 97 Minuten

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