Schluckauf und Geleebonbons: Paul Austers "Winterjournal"
Die Sache mit Paul Auster ist ja die, dass es ihn nicht bloß einmal gibt. Jeder seiner Leser kennt seine literarischen Wiedergänger. Oft handelt es sich dabei um havarierte junge Männer in einer Lebenskrise. Längst mythisch ist die zugehörige Phase in Austers jungen Jahren, wie Auster sie vielfach geschildert hat: winzige Schreibklausen in New York und Paris, schriftstellerischer Misserfolg, peinigende Armut. Die richtig harte Poetenschule eben, der Auster sodann sein Schlüsselmotiv vom Kampf eines Einzelnen gegen die Kontingenz der Außenwelt abrang.
Der Schriftsteller Paul Auster (Archivbild von 2008)
Das trug durch ein Lebenswerk. Inzwischen ist Paul Auster 66 Jahre alt. Sein neues Buch "Winterjournal" ist kein Roman. Anstatt wie sonst kühl mit Fiktion und Wirklichkeit zu spielen, geht es möglichst direkt zur Sache, und die ist in diesem Fall: der gealterte Schriftsteller selbst, seine Frage an sich, "wie das für dich war, in diesem Körper zu leben". Auster schwebt ein loser Katalog seiner Sinnesdaten vor: "Frösteln, furzen, Schluckauf haben, dir den Schweiß von der Stirn wischen, mit den Händen durchs Haar fahren - wie oft hast du das alles getan? Wie oft die Zehen gestoßen, die Finger gequetscht und den Kopf angeschlagen?"
Und tatsächlich bekommt der Leser sodann die Geschichte jeder einzelnen Narbe und Erkrankung an Austers Körper beschrieben, von frühkindlichen Baseball-Zusammenstößen bis hin zu einem Blutgerinnsel bei einem Langstreckenflug im Februar 2011. Ebenso treiben die flüchtigen Journalnotizen allen möglichen anderen Körper-Erinnerungen zu, von einem Erinnerungsverzeichnis sämtlicher Wohnungen, in denen Auster jemals lebte, bis hin zu seinen Süßigkeiten-Favoriten: als Kind Kekse, Eis und Schokoriegel, heute nur noch selten Chuckles-Geleebonbons.
Wer das alles eher nebensächlich findet, liegt richtig. Charmant ist aber durchaus, dass den Autor derartige Einordnungen kaum interessieren. Seine bloß flüchtig aneinandergereihten Erinnerungsstücke wirken, als hätte Auster die Notizen nur für sich zusammengefiebert. Durch die beständige Selbstansprache, "1971 bist du beinahe an einer Gräte erstickt", wird diese Privatheit noch verstärkt. Der titelgebende Winter ist dabei natürlich der des Alters. Dennoch schwingt Auster sich nie zur Gesamtrückschau auf, assoziiert stattdessen einfach freundlich bis naiv vor sich hin.
Einige wenige eher zufällig gewährte Einblicke in Austers Körperleben mögen dabei durchaus Gewicht auf die Waage bringen: die wiederkehrende Erfahrung des Antisemitismus. Erinnerungen an das Leben in Brooklyn in den Achtzigerjahren. Die Ehe mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt, die sich anfangs seiner Karriere unterordnete. Ansonsten herrscht fröhlichster Egozentrismus, wie er im Genre des Memoirs eben üblich ist.
Einmal wird über Seiten hinweg ein Spielfilm nacherzählt, den Auster in irgendeiner schlaflosen Nacht gesehen hat. Ein andermal berechnet er versuchsweise, wie oft er wohl bereits von Brooklyn nach Manhattan gefahren ist. Das alles muss wirklich niemand außer Auster wissen; in seiner Zugewandtheit aber wird es die Auster-Lesergemeinde dennoch erfreuen. Im Spiegelkabinett dieses einstmals so kühlen Autors verändert sich dadurch das Bild: Der Selbstentwurf wird wehmütiger, weicher.
Paul Auster: Winterjournal. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 256 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 16,99.
Die Sache mit Paul Auster ist ja die, dass es ihn nicht bloß einmal gibt. Jeder seiner Leser kennt seine literarischen Wiedergänger. Oft handelt es sich dabei um havarierte junge Männer in einer Lebenskrise. Längst mythisch ist die zugehörige Phase in Austers jungen Jahren, wie Auster sie vielfach geschildert hat: winzige Schreibklausen in New York und Paris, schriftstellerischer Misserfolg, peinigende Armut. Die richtig harte Poetenschule eben, der Auster sodann sein Schlüsselmotiv vom Kampf eines Einzelnen gegen die Kontingenz der Außenwelt abrang.
Der Schriftsteller Paul Auster (Archivbild von 2008)
Das trug durch ein Lebenswerk. Inzwischen ist Paul Auster 66 Jahre alt. Sein neues Buch "Winterjournal" ist kein Roman. Anstatt wie sonst kühl mit Fiktion und Wirklichkeit zu spielen, geht es möglichst direkt zur Sache, und die ist in diesem Fall: der gealterte Schriftsteller selbst, seine Frage an sich, "wie das für dich war, in diesem Körper zu leben". Auster schwebt ein loser Katalog seiner Sinnesdaten vor: "Frösteln, furzen, Schluckauf haben, dir den Schweiß von der Stirn wischen, mit den Händen durchs Haar fahren - wie oft hast du das alles getan? Wie oft die Zehen gestoßen, die Finger gequetscht und den Kopf angeschlagen?"
Und tatsächlich bekommt der Leser sodann die Geschichte jeder einzelnen Narbe und Erkrankung an Austers Körper beschrieben, von frühkindlichen Baseball-Zusammenstößen bis hin zu einem Blutgerinnsel bei einem Langstreckenflug im Februar 2011. Ebenso treiben die flüchtigen Journalnotizen allen möglichen anderen Körper-Erinnerungen zu, von einem Erinnerungsverzeichnis sämtlicher Wohnungen, in denen Auster jemals lebte, bis hin zu seinen Süßigkeiten-Favoriten: als Kind Kekse, Eis und Schokoriegel, heute nur noch selten Chuckles-Geleebonbons.
Wer das alles eher nebensächlich findet, liegt richtig. Charmant ist aber durchaus, dass den Autor derartige Einordnungen kaum interessieren. Seine bloß flüchtig aneinandergereihten Erinnerungsstücke wirken, als hätte Auster die Notizen nur für sich zusammengefiebert. Durch die beständige Selbstansprache, "1971 bist du beinahe an einer Gräte erstickt", wird diese Privatheit noch verstärkt. Der titelgebende Winter ist dabei natürlich der des Alters. Dennoch schwingt Auster sich nie zur Gesamtrückschau auf, assoziiert stattdessen einfach freundlich bis naiv vor sich hin.
Einige wenige eher zufällig gewährte Einblicke in Austers Körperleben mögen dabei durchaus Gewicht auf die Waage bringen: die wiederkehrende Erfahrung des Antisemitismus. Erinnerungen an das Leben in Brooklyn in den Achtzigerjahren. Die Ehe mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt, die sich anfangs seiner Karriere unterordnete. Ansonsten herrscht fröhlichster Egozentrismus, wie er im Genre des Memoirs eben üblich ist.
Einmal wird über Seiten hinweg ein Spielfilm nacherzählt, den Auster in irgendeiner schlaflosen Nacht gesehen hat. Ein andermal berechnet er versuchsweise, wie oft er wohl bereits von Brooklyn nach Manhattan gefahren ist. Das alles muss wirklich niemand außer Auster wissen; in seiner Zugewandtheit aber wird es die Auster-Lesergemeinde dennoch erfreuen. Im Spiegelkabinett dieses einstmals so kühlen Autors verändert sich dadurch das Bild: Der Selbstentwurf wird wehmütiger, weicher.
Paul Auster: Winterjournal. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 256 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 16,99.