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In der Nähe so fern

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Christian Lindner gibt sich stets Mühe, Distanz zu halten. Das könnte ihm schaden, falls er den FDP-Vorsitz übernimmt.

Am Montag hat Philipp Rösler gesagt, dass die FDP nicht nur verloren habe, weil sich die Menschen für andere Parteien entschieden hätten. Rösler hat gesagt: "Die FDP ist bewusst abgewählt worden."Stärker geht es nicht. Klarer kann man das, was der FDP am 22. September passiert ist, nicht aussprechen. Klarer kann man die Ablehnung, die der Partei zuletzt entgegenschlug, nicht zusammenfassen. Und unmissverständlicher kann man die neue Aufgabe von Christian Lindner nicht in Worte fassen. Der Hoffnungsträger der Liberalen muss verdammt vielen Hoffnungen gerecht werden.



Christian Lindner, die neue und einzige Hoffnung der FDP

Dabei, man sollte damit anfangen, ist der Mann, auf den sich in der FDP jetzt alle Blicke und alle Sehnsüchte richten, gerade mal 34 Jahre alt. Das ist nicht so jung, dass er scheitern muss. Aber es ist doch noch sehr jung, um wirklich viele Menschen für die FDP zurück zu gewinnen. Lindner weiß das selbst, man kann das aus seiner jüngeren Geschichte herauslesen. Als er vor zweieinhalb Jahren im Bündnis mit Philipp Rösler und Daniel Bahr Guido Westerwelle stürzte, war er anders als die anderen beiden schwer mit sich im Zweifel, ob er schon reif sei für mehr Verantwortung. Er war der Zögerlichste unter den Dreien. Auch deshalb blieb er, was er damals war: Generalsekretär der Freien Demokraten. Rösler dagegen stieg auf zum Parteichef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Und Bahr übernahm Röslers Aufgabe als Gesundheitsminister.

Sicher, seit Sonntag ist das Geschichte. Aber der kurze Blick zurück ist nützlich, will man verstehen, wie sehr sich die Umstände und Lindner verändert haben. Als sich Sonntagnachmittag die Katastrophe abzeichnet, ist Lindner längst mit sich im Reinen. Während Brüderle und Rösler im Präsidium noch überlegen, was sie gleich sagen werden, erklärt Lindner noch vor Schließung der Wahllokale, er werde vor den beiden rausgehen und im Fernsehen erklären, dass die FDP ab Montag neu erfunden werden müsse. Da war kein Zögern mehr. Da war nur noch die Botschaft: Es ist passiert, und deshalb werde ich jetzt das Heft in die Hand nehmen.

Wer also ist der Mann, der alles wieder gut machen soll für die Freien Demokraten? Der in Wermelskirchen im bergischen Land aufwuchs. Der gute Manieren hat. Stets in guten Klamotten und meistens in feinen Anzügen auftritt. Der schnell und frei reden kann und auf Parteitagen nicht Applaus erntet, sondern fast immer Jubelstürme. Er ist, das zuallererst, vorsichtig und legt viel Wert darauf, Distanz zu halten. Auch größte Freundlichkeiten können darüber nicht hinwegtäuschen. So zugewandt Lindner im Gespräch sein kann, so unnahbar möchte er bleiben. Im aufgeregten Berliner Politikbetrieb ist das ein nützlicher Schutzmechanismus. Aber es ist auch ein Hindernis, wenn man verstehen möchte, was er will und was ihn antreibt. Lindners Unnahbarkeit fördert das Gefühl, dass nicht alles wirklich authentisch ist, wenn er redet und handelt.

Reden freilich kann er. Und das schon ziemlich lange. Schon als Schüler gehörte das für Lindner zu den Dingen, die ihm am meisten Spaß machten. Die Eltern lassen sich früh scheiden. Der Junge wächst bei den Großeltern und der Mutter auf. Mit 14 Jahren kann er längst lange Vorträge halten, aber ob seines Übergewichts kaum Sport treiben. Doch weil er ehrgeizig ist und das als Makel wahrnimmt, beginnt er zu Laufen, nimmt zwanzig Kilo ab, und plötzlich kommt zu den geschliffenen Sätzen auch noch ein gutes Aussehen. Mit sechzehn Jahren tritt er in die FDP ein, mit siebzehn macht er Abitur, mit achtzehn gründet er eine kleine PR-Agentur und beginnt sein Studium, mit neunzehn fährt er Porsche, wenig später wird er Mitglied des Rates in Wermelskirchen und im FDP-Landesvorstand. Und als Jürgen W. Möllemann die Nordrhein-westfälische FDP im Jahr 2000 mit 9,8 Prozent zurück ins Düsseldorfer Parlament führt, wird ein junger Mann mit 21 Jahren Namens Lindner jüngster Abgeordneter im Landtag. Rasanter Aufstieg? Das ist fast schon eine zu schwache Beschreibung.

Zumal es gerade so weiter geht. 2004 wird er Landesgeneralsekretär, nach dem Einzug in die Landesregierung 2005 wird er Vizechef der Landtagsfraktion, 2007 folgt seine Wahl in den Bundesvorstand und im Herbst 2009 wird er Generalsekretär der Bundes-FDP unter Guido Westerwelle. Jedes mal begleitet von medialen Wertungen wie "scharfzüngiger Rhetoriker" oder "intellektueller Kopf". Das befeuert sein Image.

Doch neben diesem sehr schnellen Aufstieg gehören zu Lindner auch einige Windungen, Wandlungen und, ja, auch Niederlagen. So erfolgreich er mit seiner PR-Agentur ist, so schnell scheitert sein Engagement bei einem kleinen Internetunternehmen. 2000 gründet er es mit, im Frühjahr 20001 steigt er schon wieder aus, vielleicht, weil er ahnt, dass es Ende des gleichen Jahres am Ende sein würde. In die gleiche Zeit nach dem Abitur fällt jene Phase, in der er erst den Militärdienst verweigert, seinen Zivildienst leistet und sich anschließend doch noch freiwillig zur Bundeswehr meldet, um Reserveoffizier zu werden. Es gibt manchen, der nach dem Wehrdienst doch noch verweigert. Aber es gibt fast niemanden, der nach dem Zivildienst den Dienst mit der Waffe antritt. Man würde schon gerne wissen, wie einer dazu kommt, diese Kurve zu kratzen.

Von schneller Wandlungsfähigkeit zeugt auch der Herbst 2011. Damals hatte er nach dem Sturz Westerwelles erst den Neustart an der Parteispitze mit organisiert und warf wenig später doch sein Amt hin, ohne dafür eine Begründung zu liefern. Mag sein, dass ein offener Umgang mit seinem Frust über Röslers Alleingänge auch Debatten ausgelöst hätte. Aber so sah er wie ein beleidigter Junge aus, der mal eben keine Lust mehr hatte. Die Folge: Bis heute sitzen in der Parteizentrale Menschen, die durch seinen plötzlichen Abgang vor den Kopf gestoßen wurden. Und bis heute trifft man in der FDP-Führung Menschen, die das als Fahnenflucht beschreiben - und als Beleg dafür, dass er die nötige Härte vermissen lasse.

Fürs erste freilich wird das keine große Rolle mehr spielen. Zu groß sind im Angesicht der Katastrophe die Hoffnungen, die die allermeisten nun mit ihm verbinden. Dass er daraus erstmal umfassend Kapital schlagen möchte, hat er am Dienstag bewiesen. In Düsseldorf kündigte er an, dass er auch bei einer Wahl zum Parteichef die Geschicke des Landesverbandes weiter lenken wolle. "Wir sind in einer außergewöhnlichen Situation. Da fordere ich auch für mich außergewöhnliche Möglichkeiten ein." Man kann deshalb festhalten: Zurückhaltung war gestern.

Was zur Lage der FDP passt. Lindner hat gesagt, dass er der Partei Respekt und Kompetenz zurückgeben möchte. Dazu gehört, auch in den Trümmern dieser Tage selbstbewusst zu bleiben.

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