Noch nie haben sich so viele Menschen in Deutschland freiwillig engagiert wie heute. Und das im 60. Jahr des Hilfsdienstes. Fünf Helfer berichten von ihren Erfahrungen
Mückenfangen an der Wesermarsch oder für die namibische Unesco-Kommission in Windhoek Protokolle schreiben: Jedes Jahr verlassen Tausende Deutsche ihr Zuhause, um zu helfen. Manche überqueren nur die Dorfgrenze. Andere zieht es bis in die Subsahara. In diesem Jahr sind es so viele wie nie zuvor: Momentan helfen 85000 Deutsche freiwillig. Ohne Zwang und ohne Einberufungsbescheid.
Szenen aus dem Bufdi-Alltag in Deutschland, genauer: im AWO-Seniorenheim in Wildau (Brandenburg)
1953, als die Idee zu den Hilfsdiensten in der evangelischen Kirche entstand, waren nur Frauen vorgesehen. Unter dem Slogan "Gib ein Jahr" wurden sie aufgerufen, ihren Beruf zu knicken, um "ein Jahr für die Diakonie" zu wagen. Viele Jahre konnten dann nur Männer und Frauen zwischen 18und 27 Jahren ran. Es gab ja noch die Zivis. Seit Einführung des Bundesfreiwilligendienstes dürfen alle helfen. Die Bufdis sollten schließlich die entstandenen Löcher in den sozialen Einrichtungen stopfen. Aber nur die kleinen Löcher: die Bundesregierung schuf 35000 Stellen. Das ist nicht mal die Hälfte der Zivildienstleistenden im Jahr 2010.
Bufdi oder Freiwilliger werden, ist nicht schwer. Die Unterschiede zwischen den Diensten sind marginal: Die Einsatzstellen sind oft dieselben, das Taschengeld beträgt nicht mehr als 348 Euro. Sowohl als Bufdi als auch als Freiwilliger, egal ob in Deutschland oder im Ausland, ist man gesetzlich krankenversichert. Der Bundesfreiwilligendienst kann monatlich begonnen werden und dauert zwischen sechs und 18 Monaten. Das freiwillige Jahr startet immer im August oder September und endet in der Regel nach zwölf Monaten. Helfen kann man überall. Nicht nur in Krankenhäusern und Schulen im freiwilligen sozialen Jahr. Sondern auch in der Denkmalpflege oder im Theater im freiwilligen kulturellen Jahr. Wer sich und andere gern bewegt, macht ein freiwilliges Jahr im Sport. Und im freiwilligen ökologischen Jahr gibt"s nicht nur Schweinefüttern auf dem Bio-Hof, sondern auch Laborexperimente in der Wasserwirtschaft. Im Reisemonat September haben wir fünf Freiwillige erzählen lassen, wie sie das Jahr erlebt haben und was sie sich erhoffen.
Hannah, 19,
Internationaler Friedensdienst
"Ich wollte nicht einfach in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme landen, sondern etwas tun, was bleibt. So habe ich mein FSJ in der Schoah-Gedenkstätte in Paris verbracht. Auch wenn meine Generation keine Schuld mehr trägt, denke ich, dass es wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe im Dokumentationszentrum gearbeitet - sammeln, sichten, archivieren. Das war oft langweilig. Ich musste mir immer wieder sagen: Das ist wichtig. Halt durch. Einmal die Woche gab es eine Sprechstunde, in die Holocaust-Überlebende kommen konnten, um ihre Geschichte zu erzählen. Das war sehr beeindruckend und nicht immer leicht. Einmal kam eine ältere Frau mit ihrem 16-jährigen Enkel. Sie hatte ihr ganzes Leben geschwiegen - bis ihr Enkel sie überzeugen konnte, zu uns zu kommen. Da saßen sie nun, mir gegenüber, die Oma den Tränen nahe und ihr Enkel so unendlich stolz auf sie. Das werde ich so schnell nicht vergessen."
Carolin, 20,
freiwilliges kulturelles Jahr
"Nach der Schule wollte ich erst mal weg vom Schreibtisch. Ich wollte richtig arbeiten, und zwar in meinem Traumberuf, als Dramaturgin am Theater. Während meiner Schulzeit habe ich selbst Musical und Theater gespielt. Unsere Lehrer haben uns immer ermutigt, dass Jobs in der Kulturbranche ebenso ,normal" seien wie ein Job als Lehrer, Arzt oder Anwalt. Das freiwillige Jahr in der Kultur sollte meine Berufswahl stützen. Ich habe Bestätigung gesucht - und fand das Gegenteil. In meinem Jahr am Stadttheater Bremen wechselte der Intendant. Alle wurden gefeuert. Der neue Intendant brachte seine eigenen Leute mit - neue Dramaturgen, neue Schauspieler. Meine Kollegen kannten das schon. Theaterleute bekommen immer nur Jahresverträge und müssen dauernd umziehen. Das wollte ich nicht. Jetzt mache ich eine Ausbildung zur Fotografin. Spaß gemacht hat das Jahr trotzdem: vor allem die Premieren-Partys. Schließlich kannte ich alle Schauspieler von den Proben. Das war schon sehr cool."
Anne, 28,
Internationaler Freiwilligendienst
"Nach der Zusage war ich ein wenig enttäuscht - Namibia. Ich hatte auf Ruanda oder Südafrika gehofft. Ich steckte gerade mitten in meinem Master in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft; ein halbes Jahr in einer afrikanischen Unesco-Kommission - das war kurz vor dem Ende der Uni noch ein großer Name im Lebenslauf. Der Freiwilligendienst war für mich ein Praktikumsersatz. Ich wollte mich fachlich erweitern. Aber Namibia hat keine richtige Praktikumskultur. Die meiste Zeit habe ich Protokolle geschrieben und bin immer schrecklich nervös geworden, wenn wir wieder mal spät dran waren zu einem Termin mit dem Minister. Ich kam mit einem festen Plan nach Windhoek. Eigentlich wollte ich mich beruflich weiterentwickeln - stattdessen habe ich mich verliebt. Nach über zwei Jahren Fernbeziehung haben wir vergangene Woche geheiratet. Nach einem Mann hatte ich eigentlich gar nicht gesucht."
Zoé, 18,
Bundesfreiwillige
"Ich habe letztes Jahr Realschulabschluss gemacht und danach eine Ausbildung zur Augenoptikerin begonnen. Jetzt weiß ich, was ich wirklich machen will: Gestalterin für visuelles Marketing. Aber die Ausbildungsplätze sind begehrt. Um die Zeit zu überbrücken, mache ich den Bufdi. Ich wollte gern mit körperlich behinderten Kindern arbeiten - ein Autist oder so wäre mir zu anstrengend. Das Mädchen, das ich jetzt über die Integrationsförderung München betreue, ist sechs Jahre alt und kleinwüchsig. Sie geht in die erste Klasse und ich muss ihr helfen, den Ranzen zu tragen und darauf achten, dass sie nicht geärgert wird. Ich hoffe, das klappt. Gerade komme ich vom Rollstuhltraining. Zu Beginn unseres Bufdis sollen wir lernen was es heißt, auf Hilfe angewiesen zu sein."
Hauke, 19,
freiwilliges ökologisches Jahr
"Auf keinen Fall auf einen Bauernhof, das war klar. Ich wollte mein freiwilliges ökologisches Jahr in der Forschung machen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in der Nähe von Lüneburg, mit 60 Milchkühen im Stall. Ich wollte rauskommen und selbständig werden. Im Biologie-Labor der Uni Oldenburg habe ich den Doktoranden geholfen, Wasserproben auszuwerten. Ich habe für sie Mücken gefangen und an meinem Abschlussprojekt gearbeitet: Mein Hobby ist Landschaftsfotografie und ich wollte meine Bilder ausstellen. Leider hat das Geld nicht gereicht. Alles wurde abgesagt. Stolz bin ich trotzdem. Früher hätte ich mich nie getraut, fremde Leute anzusprechen, und um Sponsoring zu bitten."
Mückenfangen an der Wesermarsch oder für die namibische Unesco-Kommission in Windhoek Protokolle schreiben: Jedes Jahr verlassen Tausende Deutsche ihr Zuhause, um zu helfen. Manche überqueren nur die Dorfgrenze. Andere zieht es bis in die Subsahara. In diesem Jahr sind es so viele wie nie zuvor: Momentan helfen 85000 Deutsche freiwillig. Ohne Zwang und ohne Einberufungsbescheid.
Szenen aus dem Bufdi-Alltag in Deutschland, genauer: im AWO-Seniorenheim in Wildau (Brandenburg)
1953, als die Idee zu den Hilfsdiensten in der evangelischen Kirche entstand, waren nur Frauen vorgesehen. Unter dem Slogan "Gib ein Jahr" wurden sie aufgerufen, ihren Beruf zu knicken, um "ein Jahr für die Diakonie" zu wagen. Viele Jahre konnten dann nur Männer und Frauen zwischen 18und 27 Jahren ran. Es gab ja noch die Zivis. Seit Einführung des Bundesfreiwilligendienstes dürfen alle helfen. Die Bufdis sollten schließlich die entstandenen Löcher in den sozialen Einrichtungen stopfen. Aber nur die kleinen Löcher: die Bundesregierung schuf 35000 Stellen. Das ist nicht mal die Hälfte der Zivildienstleistenden im Jahr 2010.
Bufdi oder Freiwilliger werden, ist nicht schwer. Die Unterschiede zwischen den Diensten sind marginal: Die Einsatzstellen sind oft dieselben, das Taschengeld beträgt nicht mehr als 348 Euro. Sowohl als Bufdi als auch als Freiwilliger, egal ob in Deutschland oder im Ausland, ist man gesetzlich krankenversichert. Der Bundesfreiwilligendienst kann monatlich begonnen werden und dauert zwischen sechs und 18 Monaten. Das freiwillige Jahr startet immer im August oder September und endet in der Regel nach zwölf Monaten. Helfen kann man überall. Nicht nur in Krankenhäusern und Schulen im freiwilligen sozialen Jahr. Sondern auch in der Denkmalpflege oder im Theater im freiwilligen kulturellen Jahr. Wer sich und andere gern bewegt, macht ein freiwilliges Jahr im Sport. Und im freiwilligen ökologischen Jahr gibt"s nicht nur Schweinefüttern auf dem Bio-Hof, sondern auch Laborexperimente in der Wasserwirtschaft. Im Reisemonat September haben wir fünf Freiwillige erzählen lassen, wie sie das Jahr erlebt haben und was sie sich erhoffen.
Hannah, 19,
Internationaler Friedensdienst
"Ich wollte nicht einfach in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme landen, sondern etwas tun, was bleibt. So habe ich mein FSJ in der Schoah-Gedenkstätte in Paris verbracht. Auch wenn meine Generation keine Schuld mehr trägt, denke ich, dass es wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe im Dokumentationszentrum gearbeitet - sammeln, sichten, archivieren. Das war oft langweilig. Ich musste mir immer wieder sagen: Das ist wichtig. Halt durch. Einmal die Woche gab es eine Sprechstunde, in die Holocaust-Überlebende kommen konnten, um ihre Geschichte zu erzählen. Das war sehr beeindruckend und nicht immer leicht. Einmal kam eine ältere Frau mit ihrem 16-jährigen Enkel. Sie hatte ihr ganzes Leben geschwiegen - bis ihr Enkel sie überzeugen konnte, zu uns zu kommen. Da saßen sie nun, mir gegenüber, die Oma den Tränen nahe und ihr Enkel so unendlich stolz auf sie. Das werde ich so schnell nicht vergessen."
Carolin, 20,
freiwilliges kulturelles Jahr
"Nach der Schule wollte ich erst mal weg vom Schreibtisch. Ich wollte richtig arbeiten, und zwar in meinem Traumberuf, als Dramaturgin am Theater. Während meiner Schulzeit habe ich selbst Musical und Theater gespielt. Unsere Lehrer haben uns immer ermutigt, dass Jobs in der Kulturbranche ebenso ,normal" seien wie ein Job als Lehrer, Arzt oder Anwalt. Das freiwillige Jahr in der Kultur sollte meine Berufswahl stützen. Ich habe Bestätigung gesucht - und fand das Gegenteil. In meinem Jahr am Stadttheater Bremen wechselte der Intendant. Alle wurden gefeuert. Der neue Intendant brachte seine eigenen Leute mit - neue Dramaturgen, neue Schauspieler. Meine Kollegen kannten das schon. Theaterleute bekommen immer nur Jahresverträge und müssen dauernd umziehen. Das wollte ich nicht. Jetzt mache ich eine Ausbildung zur Fotografin. Spaß gemacht hat das Jahr trotzdem: vor allem die Premieren-Partys. Schließlich kannte ich alle Schauspieler von den Proben. Das war schon sehr cool."
Anne, 28,
Internationaler Freiwilligendienst
"Nach der Zusage war ich ein wenig enttäuscht - Namibia. Ich hatte auf Ruanda oder Südafrika gehofft. Ich steckte gerade mitten in meinem Master in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft; ein halbes Jahr in einer afrikanischen Unesco-Kommission - das war kurz vor dem Ende der Uni noch ein großer Name im Lebenslauf. Der Freiwilligendienst war für mich ein Praktikumsersatz. Ich wollte mich fachlich erweitern. Aber Namibia hat keine richtige Praktikumskultur. Die meiste Zeit habe ich Protokolle geschrieben und bin immer schrecklich nervös geworden, wenn wir wieder mal spät dran waren zu einem Termin mit dem Minister. Ich kam mit einem festen Plan nach Windhoek. Eigentlich wollte ich mich beruflich weiterentwickeln - stattdessen habe ich mich verliebt. Nach über zwei Jahren Fernbeziehung haben wir vergangene Woche geheiratet. Nach einem Mann hatte ich eigentlich gar nicht gesucht."
Zoé, 18,
Bundesfreiwillige
"Ich habe letztes Jahr Realschulabschluss gemacht und danach eine Ausbildung zur Augenoptikerin begonnen. Jetzt weiß ich, was ich wirklich machen will: Gestalterin für visuelles Marketing. Aber die Ausbildungsplätze sind begehrt. Um die Zeit zu überbrücken, mache ich den Bufdi. Ich wollte gern mit körperlich behinderten Kindern arbeiten - ein Autist oder so wäre mir zu anstrengend. Das Mädchen, das ich jetzt über die Integrationsförderung München betreue, ist sechs Jahre alt und kleinwüchsig. Sie geht in die erste Klasse und ich muss ihr helfen, den Ranzen zu tragen und darauf achten, dass sie nicht geärgert wird. Ich hoffe, das klappt. Gerade komme ich vom Rollstuhltraining. Zu Beginn unseres Bufdis sollen wir lernen was es heißt, auf Hilfe angewiesen zu sein."
Hauke, 19,
freiwilliges ökologisches Jahr
"Auf keinen Fall auf einen Bauernhof, das war klar. Ich wollte mein freiwilliges ökologisches Jahr in der Forschung machen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in der Nähe von Lüneburg, mit 60 Milchkühen im Stall. Ich wollte rauskommen und selbständig werden. Im Biologie-Labor der Uni Oldenburg habe ich den Doktoranden geholfen, Wasserproben auszuwerten. Ich habe für sie Mücken gefangen und an meinem Abschlussprojekt gearbeitet: Mein Hobby ist Landschaftsfotografie und ich wollte meine Bilder ausstellen. Leider hat das Geld nicht gereicht. Alles wurde abgesagt. Stolz bin ich trotzdem. Früher hätte ich mich nie getraut, fremde Leute anzusprechen, und um Sponsoring zu bitten."