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Jetzt aber mal Ruhe, bitte

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Kleiner Auszug aus der Fachpresse der zurückliegenden 18 Monate. Da ist einer, er heißt Amir Kassaei und wurde schon mal zum besten Kreativen der Welt gewählt. Er sagt, sinngemäß, dass in der Werbung eine Menge Leute Karriere machen würden, die anderswo "nie etwas gerissen" hätten. "Entsprechend gering ist die intellektuelle Substanz in den Agenturen." Dann ist da ein anderer, er heißt Alex Schill und gewinnt auch viele Preise. Er verwendet das Wort "dümmlich" - im Zusammenhang mit Kassaei, versteht sich. "Eines der dümmlichsten Interviews, das ich seit Langem gelesen habe", sagt er über eines von Kassaeis Gesprächen. Dann gehört die Bühne einem Dritten, er ist der Chef einer großen deutschen Agentur und beklagt einen "Verfall der Sitten" - nachdem ihn zwei Konkurrenten des Ideenklaus beschuldigt hatten. Klingt irre? Willkommen in der Werbebranche. Willkommen in der Telenovela der deutschen Wirtschaft.



Rauferei auf einem Pausenhof 1996, oder doch die "Du-bist-blöd!"-Mentalität der Werbebranche?

An diesem Donnerstag wählt der Verband der deutschen Werbeagenturen GWA einen neuen Präsidenten. Wolf Ingomar Faecks, 44, Chef der Werbeagentur Sapient Nitro soll künftig diesen Job machen, und es scheint schon fast überflüssig zu erwähnen, dass in der Branche auch darüber eine Diskussion ausgebrochen ist. Von "nordkoreanischen Verhältnissen" war die Rede, weil die Besetzung des GWA-Vorstands schon vor der Wahl ausgemachte Sache war. Ob man dem Mann zu diesem neuen Job gratulieren soll?

Faecks, groß, bullig und mit einer für seine Branche untypischen Ernsthaftigkeit, präsentiert sich jedenfalls als Mann mit guten Nerven und großen Plänen. Er sagt: Der GWA und seine Mitglieder seien in den vergangenen Jahren "nicht gerade homogen" aufgetreten, was tatsächlich eine schöne Umschreibung ist für die Du-bist-blöd-und-du-auch-Mentalität der deutschen Kreativ-Elite. Und Faecks sagt, natürlich, dass er das ändern wolle: "Wir müssen mit einer Stimme sprechen, schließlich gibt es genügend Interessen, die uns einen und die wir vertreten und durchsetzen müssen." Will heißen: Gemeinsame Gegner sollen die Widerspenstigen zähmen. Die Werber, so stellt Faecks sich das vor, sollten künftig weniger gegeneinander kämpfen als um die Meinung der Öffentlichkeit zu strittigen Themen. Wenn es also darum ginge, ob Werbung durch gesetzliche Auflagen immer stärker eingeschränkt oder gar verboten werden soll. Oder darum, wie streng die Datenschutzbestimmungen für die Industrie ausfallen. Bislang, sagt Faecks, habe der Verband zu solchen Fragen kaum oder nur sehr spät Stellung genommen. Zu einem Zeitpunkt also, an dem die Vertreter der einzelnen Agenturen sich öffentlich bisweilen schon mehrfach widersprochen hatten, in unterschiedlich scharfer Tonlage.

Immerhin: Die recht spezielle Diskussionskultur tut der Stimmung in der Branche offenbar keinen Abbruch und den Erträgen auch nicht. In der halbjährlichen GWA-Umfrage, dem sogenannten Herbstmonitor, geben drei Viertel der deutschen Werber an, 2014 bessere Geschäfte zu erwarten als im laufenden Jahr. Mit fast sieben Prozent Umsatzwachstum rechnen sie im Schnitt. Faecks wird nun also Präsident einer Truppe, die zwar dauernd streitet, dabei aber wenigstens gut gelaunt ist.

Bleibt trotzdem die Frage: Warum tut sich einer diesen Job an? Faecks war bereits seit 2011 GWA-Vorstandsmitglied, wird später also nicht behaupten können, die Tücken des Amts hätten ihn überrascht. Vielleicht denkt er an die alte Prämisse der Werber: Aufmerksamkeit ist die wichtigste Währung. "Es ist nicht der Hauptaspekt, aber wenn für meine Agentur und für meine persönliche Marke ein positiver Effekt übrig bleibt, ist das auch nicht verkehrt. "

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