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Betoniertes Paradies

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Wenn Italiener von Sardinien sprechen, leuchten normalerweise ihre Augen auf. Die Insel mit dem kristallblauem Meer, den hellen Buchten und wie hingetupften Mini-Eilanden gilt ihnen als Südseetraum vor der Haustür. Weit gereiste Römer behaupten im Ernst, im Vergleich mit Sardinien könne man die Karibik vergessen. Umso größer ist das Entsetzen, das die Bilder verbreiten, die jetzt aus Sardinien kommen: schlammbraune Fluten in den Wohnzimmern, Schlauchboote des Zivilschutzes in den Straßen, Menschen, die sich in Notunterkünften drängen und Männer, die braune Holzsärge zur Kirche tragen. Die Unwetterkatastrophe diese Woche auf der Urlaubsinsel zeigt in krasser Weise, wie fragil Italien ist - und wie schlecht es sich vor Naturkatastrophen schützt.



Normalerweise denkt man an solche Bilder, wenn man über Sardinien spricht. Doch die Unwetterkatastrophe sorgt im Moment für das Gegenteil.

Während die Regierung den Ausnahmezustand ausrief und der Papst am Mittwoch seine Anteilnahme twitterte, begann in Italien die Suche nach den Schuldigen, wie immer nach solchen Desastern. Viele Sarden klagen, sie seien nicht rechtzeitig gewarnt und in dem Sturm alleingelasssen worden, der 16 Todesopfer forderte und Tausende vorübergehend obdachlos machte. Franco Gabrielli, Chef des italienischen Zivilschutzes, verteidigt sich, seine Behörde habe bereits zwölf Stunden vor Beginn des Sturzregens Unwetteralarm ausgerufen. Man habe die Regionen und Präfekturen informiert, die wiederum verpflichtet gewesen seien, die Gemeinden zu warnen. "Fragen Sie diese Behörden, was sie gemacht haben", forderte Gabrielli seine Kritiker auf. Mehrere Politiker meinten, bei den Überschwemmungen auf Sardinien handle es sich um ein Jahrtausendereignis, das nicht zu verhindern gewesen sei.

Doch war es wirklich so? Umweltorganisationen wie "Legambiente" und Wissenschaftler weisen darauf hin, Italien werde besonders stark von der Zunahme extremer Wetterphänomene getroffen, weil es zu sorglos mit seiner Umwelt umgehe. Das Abholzen der Berge, illegale Brandrodungen und eine hemmungslose Bebauung des Landes haben das gebirgige, zerklüftete, von Erdbeben und Vulkanausbrüchen heimgesuchte Italien noch anfälliger gemacht, als es ohnehin schon war. 1961 habe es in Italien 14 Millionen Häuser gegeben, heute seien es 27 Millionen, rechnet der Umweltforscher Alessandro Trigila im Wochenmagazin Espresso vor. Derzeit werden in Italien jede Sekunde acht Quadratmeter Land asphaltiert oder zubetoniert. Die Versiegelung des Bodens trage zu Katastrophen wie auf Sardinien bei, sagt Trigila.

Eine andere Zahl, die der Umweltausschuss des italienischen Abgeordnetenhauses vor wenigen Wochen veröffentlichte: "68 Prozent aller Erdrutsche in Europa geschehen in Italien." Der größte Teil der Gemeinden des Landes liege in Gefahrenzonen. Dennoch wird das Geld, das der Staat zum Schutz vor Erdrutschen und Überschwemmungen bereitstellt, immer knapper. Im Jahr 2009 waren es noch 551 Millionen Euro, dieses Jahr sind es nur noch 20 Millionen. Von "fataler Kurzsichtigkeit" schreibt der Corriere della Sera.

Darunter zu leiden hat nicht nur Sardinien. Während Feuerwehr, Militär und Zivilschutz auf der Insel Keller auspumpten und Straßen vom Schlamm befreiten, wurde das Festland von weiteren Unwettern heimgesucht. In Kalabrien wurden ganze Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten, ein Ort musste evakuiert werden, viele Bürgermeister schlossen die Schulen. In Kampanien blieben die Tragflügelboote nach Ischia und Capri in den Häfen liegen. Auch in Mittelitalien, etwa in Rom, wurden Straßen überschwemmt. Venedig meldete bereits zum fünften Mal in diesem Jahr Acqua alta. Fast einen halben Meter hoch stand das Wasser auf dem Markusplatz. Die Meteorologen kündigten den Italienern weitere starke Regenfälle an.

Auf Sardinien beeindruckte indes die Solidarität der Menschen mit den Opfern - auch das ist von früheren Naturkatastrophen in Italien her bekannt. In der vom Unwetter besonders betroffenen Stadt Olbia meldeten sich zahlreiche freiwillige Helfer. Viele Obdachlose konnten bis zum Mittwoch bei anderen Familien unterkommen. Als "Heldin" gefeiert wurde in den Medien eine deutsche Friseurin, die am Montag eine überflutete Straße überquert hatte, um eine betagte Frau und deren Hund aus einem Nachbarhaus zu retten.

Solidarität ja, Vorsorge nein - dieses Muster kennzeichnet Italien. Der Bau-Branchenverband Ance hat errechnet, dass Erdbeben, Erdrutsche und Überschwemmungen von 1944 bis 2012 Schäden in Höhe von 242 Milliarden Euro verursachten. "Wie viel davon hätten wir uns mit einer klugen Vorsorge erspart?", fragt der Publizist Gian Antonio Stella. "Und wie viele Tote hätten wir nicht zu beklagen?"

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