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Glaubensstreit an der Uni

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Ein Bundespräsident haut nicht drauf, er ermutigt, bestärkt, freut sich über das Gute, und so hat es Joachim Gauck auch an diesem Donnerstagmittag in Münster am "Zentrum für islamische Theologie" (ZIT) getan: "Ich freue mich, dass nun auch in Deutschland Ausbildungszentren entstanden sind, in denen pluralistische Tradition in wissenschaftlicher Freiheit ohne politischen oder fundamentalistischen Druck weiter entwickelt werden kann," sagte Gauck. So weit, so freundlich: Der Bundespräsident lobte eine der vier neu eingerichteten Ausbildungsstätten, an denen nun islamische Religionslehrer, Theologen oder auch Imame ausgebildet werden sollen. Dass er damit mitten in den Konflikt hineingerät, wie viel Freiheit diese Theologie braucht und wer sagen soll, wo diese Freiheit endet - daran dachte er wohl nicht, als er den Termin an der Uni Münster ausmachen ließ.



Gauk verabschiedet sich von Mouhanad Khorchide, der jede Vorwürfe gegen den Islam klar zurückweist.


Im Zentrum des Streits steht Mouhanad Khorchide, Religionspädagoge und Leiter des ZIT, vor 42 Jahren als Kind palästinensischer Flüchtlinge in Beirut geboren, aufgewachsen in Saudi-Arabien, wo er den dort herrschenden wahabitischen Islam als geisttötend empfand. Er studierte in Österreich und setzte sich dort mit seiner Doktorarbeit über die islamischen Religionslehrer des Landes in die Nesseln, weil er herausfand, dass erschreckend viele von ihnen wenig von der pluralistisch-säkularen Gesellschafts- und Staatsform halten, in der sie leben. Irgendwie sitzt Khorchide immer zwischen den Stühlen: Seine Theologie, dass der Islam vor allem Barmherzigkeit sei, halten Kritiker für eine zu schlichte Harmonisierung einer schwierigen Religion, für konservative Muslime dagegen ist sie Verrat an der Tradition. "Wir bekommen täglich Briefe von unseren Gemeindemitgliedern und auch Studenten aus Münster, die sich beschweren," sagt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Korchide solle lieber vorhandene "Monografien und analytische Bibliografien sprachlich und kulturell in den deutschen Sprachraum bringen".

Verrat am Glauben - das weist Khorchide natürlich entschieden zurück, selbstverständlich sei er ein religiöser Mensch. "Es geht doch gar nicht um mich", sagt er, "es geht um Politik und Macht." Tatsächlich erhält Aiman Mazyeks Kritik dadurch Gewicht, dass er für die muslimischen Verbände spricht, die vier der acht Plätze in dem Beirat besetzen sollen, der entscheiden soll, was Lehrinhalt des Zentrums ist und wer als Professor lehren soll. Bei der evangelischen oder katholischen Theologie entscheiden das die Kirchen gemeinsam mit dem Staat, doch der Islam kennt keine Kirchenstrukturen. So ersann man die Beiräte als Notbehelf, um überhaupt die islamische Theologie an die Unis zu bringen.

Vier dieser Plätze also besetzt die Uni, doch um die vier Plätze, die dem Koordinierungsrat der Muslime zustehen, gibt es Streit: Dort sollte auch der Generalsekretär des Islamrats sitzen, der von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs dominiert wird, auf die wiederum der Verfassungsschutz ein scharfes Auge wirft. So lehnte die Bundesregierung, die das ZIT mitfinanziert, den Mann ab. Inzwischen ist ein Ersatz gefunden, doch noch immer hat der Beirat sich nicht konstituiert. Das bedeutet für Aiman Mazyek, dass das Recht der Verbände auf kaltem Weg ausgehebelt wird: Sie seien vorerst ausgesperrt, und an der Uni würden Fakten geschaffen.

Der Beirat soll sich noch vor Weihnachten konstituieren, heißt es. Frieden wird das zunächst nicht bringen - die Kritik der Verbände an Khorchide bleibt. Der kann sich immerhin vom Bundespräsidenten bestätigt sehen: "Wir brauchen Menschen, die das Vielschichtige im Islam zeigen", sagte Gauck und fügte an: "Wir alle befinden uns in einer Experimentierphase". Und bei Experimenten knallt es immer wieder mal.

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