Das Geschäft mit dem Sex bewegt Europa, in vielen Ländern wird über neue, schärfere Regeln diskutiert. In Frankreich berät das Parlament an diesem Freitag über den Vorschlag, Freier mit einer Geldbuße von 1500 Euro zu bestrafen, de facto also ein Sexkaufverbot wie in Schweden einzuführen. In Nordirland, Irland, Belgien, Finnland und Lettland wird Ähnliches erwogen.
Mit der Legalisierung der Prostitution 2001 hat sich das Gewerbe in Deutschland ausgebreitet.
Es wäre ein Kulturbruch, vor allem im Vergleich zu Deutschland, wo die Prostitution 2001 legalisiert wurde. Die damalige rot-grüne Regierung hatte geglaubt, mit der Legalisierung alles richtig gemacht zu haben. Käuflicher Sex lasse sich nicht aus der Gesellschaft verbannen, so die Idee, deshalb sollten Prostituierte nicht länger stigmatisiert werden und wenigstens krankenversichert sein, wenn sie ihrer Tätigkeit nachgingen, die mehr oder weniger zum normalen Job werden sollte.
Inzwischen ist klar: Das Gesetz war ein Fehlschlag. Nur ein paar Dutzend Huren sind sozialversicherungspflichtig angestellt, dafür hat sich das Gewerbe explosionsartig ausgebreitet. Es gibt immer mehr und immer größere Bordelle, aus ganz Europa strömen Sexkäufer ins Land. Auch die Zahl der Prostituierten hat kräftig zugenommen, Schätzungen reichen von 200000 bis 800000. Das Statistische Bundesamt schätzt den Umsatz des Gewerbes im Inland auf 15 Milliarden Euro im Jahr.
Dass nun auch in Deutschland wieder Bewegung in das Thema kommt, ist das Verdienst einer seltsamen Allianz, die sich gegen die Prostitution gebildet hat. Auf der einen Seite Alice Schwarzer, die in Emma seit Jahren gegen das Prostitutionsgesetz wettert. Zuletzt hat sie eine Kampagne mit Prominenten gestartet, die sich ausspricht für "die Ächtung und, wenn nötig, auch Bestrafung der Freier; also der Frauenkäufer, ohne die dieser Menschenmarkt nicht existieren würde". Auf der anderen Seite konservative Unionspolitiker wie Hans-Peter Uhl oder Erika Steinbach, Vertreter der katholischen Sexualmoral, die beim Erlass des Gesetzes Sodom und Gomorrha voraussagten und sich jetzt bestätigt fühlen.
Das Vorbild Schwarzers und ihrer Mitstreiter, auf das sich auch alle Debatten beziehen, ist Schweden. Das Land hat kein Prostitutions-, sondern ein Sexkaufverbot; unter Strafe steht nicht das Anbieten, sondern allein der Kauf sexueller Dienstleistungen. Und dies seit 1999, einer Zeit also, als Deutschland und die Niederlande kurz vor der Legalisierung standen. Das war ein gewagter Schritt damals, aber auch logische Folge des speziellen schwedischen Gesellschaftsbegriffs.
Den sollte man kennen, um das Sexkaufverbot einordnen zu können.
In Schweden wuchs im Laufe des sozialdemokratisch geprägten 20.Jahrhunderts die Überzeugung, dass nur eine egalitäre Gesellschaft harmonisch sein kann, und dass eine solche Gesellschaft prinzipiell machbar ist, ja geradezu staatliche Aufgabe sein muss. Der Einzelne ordnet sich diesem Machbarkeitsgedanken unter. Er versteht sich als Teil dieses Systems und akzeptiert Regulierungen, die andernorts als Eingriff in die Privatsphäre verdammt würden. Leicht gehässig beschreibt das die isländische Politikerin Birgitta Jónsdóttir so: "Wenn in Schweden die Politessen streiken, parken die Menschen trotzdem korrekt und werfen Geld in den Parkometer."
Das Verhältnis zwischen Staat und Individuum sei in Schweden "kommunitär" organisiert, schreibt Susanne Odillet von der Universität Göteborg. Der Staat steht "für kollektive moralische Prinzipien und entscheidet, welche Lebensentwürfe erstrebenswert sind". Dem stellt sie - mit Blick auf Deutschland und andere - das "Autonomieprinzip" gegenüber: Der Staat bleibt neutral gegenüber den Lebensentwürfen der Bürger und greift nur ein, wenn einer dem anderen in die Quere kommt. Auf dieses Staatsverständnis beruft sich der Protest prominenter Franzosen ("343 Dreckskerle") gegen ein Prostitutionsverbot.
Aus dem kommunitären Denken hat sich in Schweden sowohl der umfassende Wohlfahrtsstaat entwickelt, der über soziale Sicherheit Chancengleichheit herstellen will, als auch eine Art Staatsfeminismus. Gleiche Rechte für Frau und Mann, dieser Gedanke ist tief verankert in Schweden, selbst bei konservativen Politikern. Die Folge: Frauen beteiligten sich fast im selben Ausmaß am Arbeitsleben wie Männer, sie bekleiden ebenso viele öffentliche Ämter. Politische Beschlüsse werden auf ihre Folgen für die Gleichberechtigung hin überprüft. Und es gibt in Schweden weit mehr Männer als anderswo, die feministisch denken, hergebrachte Geschlechterrollen in Frage stellen und für ein Gleichgewicht der Kräfte werben. So hat auch das Sexkaufverbot im Grunde eine feministische Intention: Es soll Frauen schützen, die als Opfer des Geschäfts mit ihrem Körper gesehen werden, und damit das System männlicher Dominanz und weiblicher Ausbeutung zerstören.
Eine klare Mehrheit der Schweden - mehr als 70 Prozent in Umfragen - befürwortet diese Absicht und hält es für geboten, dass sich der Staat hier moralpolitisch einmischt. Nicht zuletzt aus erzieherischen Gründen. Das Gesetz sollte normierend wirken, ein Zeichen setzen, dass die ganze Gesellschaft das System der Prostitution als Ausdruck männlicher Gewalt gegen Frauen versteht. Wer anderer Ansicht ist, soll von Rechts wegen auf den rechten Weg gebracht werden. "Beim Sexkaufverbot geht es vor allem um die Vermittlung von Werten und nicht darum, Leute zu bestrafen", sagt Kajsa Wahlberg, die schwedische Berichterstatterin für Menschenhandel. Tatsächlich ist noch kein Freier im Gefängnis gelandet, obwohl die Höchststrafe 2006 auf ein Jahr verlängert wurde. "Aber schwedische Männer überlegen es sich inzwischen zweimal, ob sie zu Prostituierten gehen", sagt Patrik Cederlöf, Koordinator gegen Prostitution und Menschenhandel.
Die meisten Schweden sind fest überzeugt von der - moralisch begründeten - Richtigkeit des Sexkaufverbots. Deshalb erklärt das Schwedische Institut, Äquivalent zum Goethe-Institut, auch Entscheidungsträgern, Sozialarbeitern oder Journalisten aus Europa auf Bildungsreisen den Erfolg des Gesetzes. Fragt man dabei nach Zahlen, etwa ob die Straßenprostitution abgenommen habe und wie viel Prozent in den Untergrund abgewandert sei, rücken schwedische Behörden zwar irgendwann damit heraus. Aber man spürt ihren Unwillen - weil die Politik ja in ihren Augen ohnehin richtig ist. "Für uns ist das selbstverständlich, dass man den Körper von Menschen nicht kaufen sollte", sagt Justizkanzlerin Anna Skarhed, die Ombudsfrau der Regierung. "Das ist nicht okay. Wir schlagen ja auch unsere Kinder nicht mehr."
So erhält man Aussagen, die ein wenig nach Glaubenssätzen klingen: "Ein Prozent der Prostituierten macht das aus eigenem Antrieb, für alle anderen ist es ein richtig schlechtes Geschäft", sagt Skarhed. "Es gibt keine freiwillige Prostitution", sagt Cederlöf. "Ganz wenige Frauen sagen, sie seien wirklich zufrieden, aber auch die hatten keine andere Option." Ist die Prostitution in den Untergrund gewandert? "Das ist nur eine Frage der Polizei-Ressourcen: Wenn die Kunden die Frauen finden, finden wir sie auch." Oder: "Die Gesellschaft insgesamt leidet unter der Prostitution" (Kajsa Wahlberg). Oder: Prostitution wird implizit mit Menschenhandel gleichgesetzt.
Das alles ist umstritten in Deutschland: Natürlich sind nicht alle Prostituierten Opfer von Menschenhandel (womöglich aber trotzdem in einer existenziellen Zwangslage). Die hiesige Sex-Lobby behauptet wiederum, fast jeder im Gewerbe schaffe freiwillig an. Polizei-Experten sprechen hingegen von höchstens 10 bis 20 Prozent. Wie hoch man diese Zahl veranschlagt, das ist auch eine Frage des Standpunkts.
Ein Sexkaufverbot steht hierzulande nicht zur Debatte, auch weil sich in Umfragen eine große Mehrheit dagegen ausspricht. Das sei im Moment nicht durchsetzbar, sagen selbst Experten wie Uwe Dörnhöfer von der Münchner Kripo, der das schwedische Modell für konsequent hält. Vorerst wird stärker reguliert und kontrolliert.Die große Koalition plant eine Erlaubnispflicht für Bordelle, einen besseren Schutz für Opfer von Menschenhandel, eventuell Strafen für Freier, die mit Zwangsprostituierten erwischt werden. Experten bei der Polizei halten anderes für wichtiger: eine Meldepflicht für Prostituierte sowie ein Mindestalter von 21 Jahren.
Ein Sexkaufverbot hingegen könnte nur funktionieren, wenn ein großer Teil der Gesellschaft dahinter steht. Dafür müsste sich die Einstellung zur Prostitution grundsätzlich ändern, sie dürfte nicht mehr als etwas Urmenschliches und Selbstverständliches angesehen werden. Dazu bräuchte es eine breite Diskussion, die auf Umwegen sogar zum selben Ergebnis wie in Schweden gelangen könnte.
Männer müssten sich dann über ihr Verhältnis zu Frauen Rechenschaft ablegen, sie müssten sich fragen: Will ich meine Lust schrankenlos befriedigen können, auch wenn ich damit ein System nähre, in dem womöglich Tausende, wenn nicht Hunderttausende Frauen gedemütigt und ausgebeutet werden? Und sie müssten sich fragen, welches Frauenbild sie ihren Kindern vermitteln wollen: die Frau als gleichwertige Partnerin oder als Sexobjekt, über das man bei Bedarf verfügen kann? Es ist wie beim Rauchverbot: Darf man die Freiheit der Raucher beschneiden, weil andere darunter leiden? Man sollte sogar, heißt es inzwischen, und zwar kräftig. Es hat gedauert, bis die Gesellschaft zu dieser Ansicht gelangte. Aber irgendwann ist es so weit.
Mit der Legalisierung der Prostitution 2001 hat sich das Gewerbe in Deutschland ausgebreitet.
Es wäre ein Kulturbruch, vor allem im Vergleich zu Deutschland, wo die Prostitution 2001 legalisiert wurde. Die damalige rot-grüne Regierung hatte geglaubt, mit der Legalisierung alles richtig gemacht zu haben. Käuflicher Sex lasse sich nicht aus der Gesellschaft verbannen, so die Idee, deshalb sollten Prostituierte nicht länger stigmatisiert werden und wenigstens krankenversichert sein, wenn sie ihrer Tätigkeit nachgingen, die mehr oder weniger zum normalen Job werden sollte.
Inzwischen ist klar: Das Gesetz war ein Fehlschlag. Nur ein paar Dutzend Huren sind sozialversicherungspflichtig angestellt, dafür hat sich das Gewerbe explosionsartig ausgebreitet. Es gibt immer mehr und immer größere Bordelle, aus ganz Europa strömen Sexkäufer ins Land. Auch die Zahl der Prostituierten hat kräftig zugenommen, Schätzungen reichen von 200000 bis 800000. Das Statistische Bundesamt schätzt den Umsatz des Gewerbes im Inland auf 15 Milliarden Euro im Jahr.
Dass nun auch in Deutschland wieder Bewegung in das Thema kommt, ist das Verdienst einer seltsamen Allianz, die sich gegen die Prostitution gebildet hat. Auf der einen Seite Alice Schwarzer, die in Emma seit Jahren gegen das Prostitutionsgesetz wettert. Zuletzt hat sie eine Kampagne mit Prominenten gestartet, die sich ausspricht für "die Ächtung und, wenn nötig, auch Bestrafung der Freier; also der Frauenkäufer, ohne die dieser Menschenmarkt nicht existieren würde". Auf der anderen Seite konservative Unionspolitiker wie Hans-Peter Uhl oder Erika Steinbach, Vertreter der katholischen Sexualmoral, die beim Erlass des Gesetzes Sodom und Gomorrha voraussagten und sich jetzt bestätigt fühlen.
Das Vorbild Schwarzers und ihrer Mitstreiter, auf das sich auch alle Debatten beziehen, ist Schweden. Das Land hat kein Prostitutions-, sondern ein Sexkaufverbot; unter Strafe steht nicht das Anbieten, sondern allein der Kauf sexueller Dienstleistungen. Und dies seit 1999, einer Zeit also, als Deutschland und die Niederlande kurz vor der Legalisierung standen. Das war ein gewagter Schritt damals, aber auch logische Folge des speziellen schwedischen Gesellschaftsbegriffs.
Den sollte man kennen, um das Sexkaufverbot einordnen zu können.
In Schweden wuchs im Laufe des sozialdemokratisch geprägten 20.Jahrhunderts die Überzeugung, dass nur eine egalitäre Gesellschaft harmonisch sein kann, und dass eine solche Gesellschaft prinzipiell machbar ist, ja geradezu staatliche Aufgabe sein muss. Der Einzelne ordnet sich diesem Machbarkeitsgedanken unter. Er versteht sich als Teil dieses Systems und akzeptiert Regulierungen, die andernorts als Eingriff in die Privatsphäre verdammt würden. Leicht gehässig beschreibt das die isländische Politikerin Birgitta Jónsdóttir so: "Wenn in Schweden die Politessen streiken, parken die Menschen trotzdem korrekt und werfen Geld in den Parkometer."
Das Verhältnis zwischen Staat und Individuum sei in Schweden "kommunitär" organisiert, schreibt Susanne Odillet von der Universität Göteborg. Der Staat steht "für kollektive moralische Prinzipien und entscheidet, welche Lebensentwürfe erstrebenswert sind". Dem stellt sie - mit Blick auf Deutschland und andere - das "Autonomieprinzip" gegenüber: Der Staat bleibt neutral gegenüber den Lebensentwürfen der Bürger und greift nur ein, wenn einer dem anderen in die Quere kommt. Auf dieses Staatsverständnis beruft sich der Protest prominenter Franzosen ("343 Dreckskerle") gegen ein Prostitutionsverbot.
Aus dem kommunitären Denken hat sich in Schweden sowohl der umfassende Wohlfahrtsstaat entwickelt, der über soziale Sicherheit Chancengleichheit herstellen will, als auch eine Art Staatsfeminismus. Gleiche Rechte für Frau und Mann, dieser Gedanke ist tief verankert in Schweden, selbst bei konservativen Politikern. Die Folge: Frauen beteiligten sich fast im selben Ausmaß am Arbeitsleben wie Männer, sie bekleiden ebenso viele öffentliche Ämter. Politische Beschlüsse werden auf ihre Folgen für die Gleichberechtigung hin überprüft. Und es gibt in Schweden weit mehr Männer als anderswo, die feministisch denken, hergebrachte Geschlechterrollen in Frage stellen und für ein Gleichgewicht der Kräfte werben. So hat auch das Sexkaufverbot im Grunde eine feministische Intention: Es soll Frauen schützen, die als Opfer des Geschäfts mit ihrem Körper gesehen werden, und damit das System männlicher Dominanz und weiblicher Ausbeutung zerstören.
Eine klare Mehrheit der Schweden - mehr als 70 Prozent in Umfragen - befürwortet diese Absicht und hält es für geboten, dass sich der Staat hier moralpolitisch einmischt. Nicht zuletzt aus erzieherischen Gründen. Das Gesetz sollte normierend wirken, ein Zeichen setzen, dass die ganze Gesellschaft das System der Prostitution als Ausdruck männlicher Gewalt gegen Frauen versteht. Wer anderer Ansicht ist, soll von Rechts wegen auf den rechten Weg gebracht werden. "Beim Sexkaufverbot geht es vor allem um die Vermittlung von Werten und nicht darum, Leute zu bestrafen", sagt Kajsa Wahlberg, die schwedische Berichterstatterin für Menschenhandel. Tatsächlich ist noch kein Freier im Gefängnis gelandet, obwohl die Höchststrafe 2006 auf ein Jahr verlängert wurde. "Aber schwedische Männer überlegen es sich inzwischen zweimal, ob sie zu Prostituierten gehen", sagt Patrik Cederlöf, Koordinator gegen Prostitution und Menschenhandel.
Die meisten Schweden sind fest überzeugt von der - moralisch begründeten - Richtigkeit des Sexkaufverbots. Deshalb erklärt das Schwedische Institut, Äquivalent zum Goethe-Institut, auch Entscheidungsträgern, Sozialarbeitern oder Journalisten aus Europa auf Bildungsreisen den Erfolg des Gesetzes. Fragt man dabei nach Zahlen, etwa ob die Straßenprostitution abgenommen habe und wie viel Prozent in den Untergrund abgewandert sei, rücken schwedische Behörden zwar irgendwann damit heraus. Aber man spürt ihren Unwillen - weil die Politik ja in ihren Augen ohnehin richtig ist. "Für uns ist das selbstverständlich, dass man den Körper von Menschen nicht kaufen sollte", sagt Justizkanzlerin Anna Skarhed, die Ombudsfrau der Regierung. "Das ist nicht okay. Wir schlagen ja auch unsere Kinder nicht mehr."
So erhält man Aussagen, die ein wenig nach Glaubenssätzen klingen: "Ein Prozent der Prostituierten macht das aus eigenem Antrieb, für alle anderen ist es ein richtig schlechtes Geschäft", sagt Skarhed. "Es gibt keine freiwillige Prostitution", sagt Cederlöf. "Ganz wenige Frauen sagen, sie seien wirklich zufrieden, aber auch die hatten keine andere Option." Ist die Prostitution in den Untergrund gewandert? "Das ist nur eine Frage der Polizei-Ressourcen: Wenn die Kunden die Frauen finden, finden wir sie auch." Oder: "Die Gesellschaft insgesamt leidet unter der Prostitution" (Kajsa Wahlberg). Oder: Prostitution wird implizit mit Menschenhandel gleichgesetzt.
Das alles ist umstritten in Deutschland: Natürlich sind nicht alle Prostituierten Opfer von Menschenhandel (womöglich aber trotzdem in einer existenziellen Zwangslage). Die hiesige Sex-Lobby behauptet wiederum, fast jeder im Gewerbe schaffe freiwillig an. Polizei-Experten sprechen hingegen von höchstens 10 bis 20 Prozent. Wie hoch man diese Zahl veranschlagt, das ist auch eine Frage des Standpunkts.
Ein Sexkaufverbot steht hierzulande nicht zur Debatte, auch weil sich in Umfragen eine große Mehrheit dagegen ausspricht. Das sei im Moment nicht durchsetzbar, sagen selbst Experten wie Uwe Dörnhöfer von der Münchner Kripo, der das schwedische Modell für konsequent hält. Vorerst wird stärker reguliert und kontrolliert.Die große Koalition plant eine Erlaubnispflicht für Bordelle, einen besseren Schutz für Opfer von Menschenhandel, eventuell Strafen für Freier, die mit Zwangsprostituierten erwischt werden. Experten bei der Polizei halten anderes für wichtiger: eine Meldepflicht für Prostituierte sowie ein Mindestalter von 21 Jahren.
Ein Sexkaufverbot hingegen könnte nur funktionieren, wenn ein großer Teil der Gesellschaft dahinter steht. Dafür müsste sich die Einstellung zur Prostitution grundsätzlich ändern, sie dürfte nicht mehr als etwas Urmenschliches und Selbstverständliches angesehen werden. Dazu bräuchte es eine breite Diskussion, die auf Umwegen sogar zum selben Ergebnis wie in Schweden gelangen könnte.
Männer müssten sich dann über ihr Verhältnis zu Frauen Rechenschaft ablegen, sie müssten sich fragen: Will ich meine Lust schrankenlos befriedigen können, auch wenn ich damit ein System nähre, in dem womöglich Tausende, wenn nicht Hunderttausende Frauen gedemütigt und ausgebeutet werden? Und sie müssten sich fragen, welches Frauenbild sie ihren Kindern vermitteln wollen: die Frau als gleichwertige Partnerin oder als Sexobjekt, über das man bei Bedarf verfügen kann? Es ist wie beim Rauchverbot: Darf man die Freiheit der Raucher beschneiden, weil andere darunter leiden? Man sollte sogar, heißt es inzwischen, und zwar kräftig. Es hat gedauert, bis die Gesellschaft zu dieser Ansicht gelangte. Aber irgendwann ist es so weit.