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Zeit, dass sich was dreht

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Am Sonntagvormittag um zehn ist der Regierungssitz von den Massen umstellt. Einheiten der Polizei haben die Zufahrtswege von innen abgeriegelt und Barrikaden errichtet. Nun verschanzen sich die Sicherheitskräfte hinter den Mauern aus Beton und Stacheldraht, sie tragen schwarze Uniformen, Helm und Schild. Draußen vor den Absperrungen drängen sich Tausende lärmende Demonstranten, die in Trillerpfeifen blasen und ihr Ziel fest vor Augen haben: Sie wollen da jetzt hinein.

Am achten Tag der Massendemonstrationen gegen die Regierung von Yingluck Shinawatra sieht es so aus, als könnte die thailändische Premierministerin nicht mehr viel ausrichten gegen die Wucht der Proteste. Demonstranten haben während der Woche ein Ministerium nach dem anderen besetzt, sie stürmen gegen Polizeistationen an und nun wollen sie auch noch den Kern der Macht knacken: Government House, den Sitz der Premierministerin.

Wenn ihnen das gelingt, dürfte es für die Regierungschefin düster aussehen. Es wäre ein seltsames politisches Schicksal für eine Frau, deren Partei bei den Wahlen 2011 die absolute Mehrheit im Parlament erringen konnte.



Demonstranten in einer Tränengaswolke.

Aber da ist ja noch das Tränengas, mit dem sich die belagerten Polizisten zur Wehr setzen können, und die Masse an der Pitsanulok Road wird schon bald den beißenden Qualm zu spüren bekommen. Vor der Absperrung schwenken sie seit dem frühen Morgen stolz die nationalen Farben: Rot, Weiß, Blau. Die ganz Mutigen unter ihnen haben sich mit Gasmaske und Schutzbrille bis nach vorne gedrängt, wo sie jetzt immer wieder Versuche unternehmen, die Barrikade zu stürmen. Um

12.58 Uhr spritzen von drüben die Wasserwerfer los und mehrere Tränengasgranaten fliegen herüber. Qualm vernebelt die Straße, die Masse weicht zurück - aber doch nur ein wenig. Ein paar Minuten später rücken sie alle wieder auf.

Sie sind gar nicht so schlecht gerüstet, viele Demonstranten tragen Masken, überall werden Tücher verteilt, die man in Wassereimer tauchen kann, um sich das Gesicht abzuwaschen, wenn das Gas kommt. Pick-ups karren Trinkwasser heran. "Wir wissen, wie man demonstriert", ruft triumphierend ein junger Mann mit Bart und gelbem Stirnband, der Farbe des Königs. "Die werden uns hier nicht wieder los." Als die nächsten Tränengasgranaten fliegen, greift einer der Demonstranten nach dem Behälter und wirft ihn zurück. Gefährliches Pingpong an der Barrikade. Wenige Minuten später bahnen sich schreiende Menschen einen Weg durch die Menge, sie schleppen bewusstlose Verletzte aus der umkämpften Zone.

Auf der anderen Seite des Belagerungsrings, an der Makkawan Bridge, haben sie die Barrikaden mit Graffiti besprüht. "Fuck Government" steht da in Schwarz geschrieben, und daneben in Weiß: "Berlin Wall Bangkok". Und noch ein Stückchen weiter: "Wir stehen hier, weil ihr so übel seid."

Was also befeuert die Proteste? Was schürt so viel Zorn? In der ersten Reihe vor den Graffiti sitzt eine junge Frau mit ihrem Banner in der Hand und sagt: "Diese Regierung ist korrupt und macht ständig nur geheime Deals. Wir wollen sie nicht mehr." Die Geschäftsfrau glaubt, dass sich zu viele Thailänder von den Günstlingen der Regierung kaufen lassen. Das müsse sich ändern, und deshalb sitze sie ganz vorne.

Yingluck Shinawatra ist die jüngere Schwester des Milliardärs und Populisten Thaksin Shinawatra, der Thailand von 2001 bis 2006 regierte. Dann stürzte ihn das Militär und 2008 floh er ins Exil nach Dubai. In seiner Abwesenheit wurde er schließlich wegen Korruption verurteilt. Doch sein Lager ist wieder an der Macht, seitdem es mit der Partei Pheu Thai im Jahr 2011 einen deutlichen Wahlsieg errungen hat.

Es sind Thaksins Gegner, die auf die Straße gehen und seine Schwester im Amt als Marionette betrachten. Besonderen Zorn schürte jüngst ein Amnestiegesetz, das dem früheren Premier die Rückkehr nach Thailand ermöglicht hätte. Zwar hat die Regierung das Vorhaben wieder fallen gelassen, doch die Wut der Opposition war danach nicht mehr zu halten. Die Proteste auf der Straße werden getragen von städtischen Mittelschichten, von Beamten und Kräften der Democratic Party, die ihre Hochburgen im Süden Thailands hat. Sie hält etwa ein Drittel der Sitze im Parlament. Dem Lager von Thaksin, das nach Ansicht vieler immer noch vom Ex-Premier im Exil ferngesteuert wird, werfen Gegner vor, Wahlen durch Stimmenkauf zu gewinnen. Die Anhänger der Regierung leben vor allem im Nordosten Thailands, viele sind arme Reisbauern. Von dort kommen auch die meisten der sogenannten Rothemden, die Thaksin Shinawatra unterstützen.

Am Wochenende waren viele von ihnen in Bussen nach Bangkok gekommen, um sich in einem Stadion zu sammeln und Gegenproteste für die Regierung zu organisieren. Doch am Samstag wurden die Busse von wütenden Demonstranten mit Steinen beworfen. Der Nachmittag endete blutig, zwei Menschen wurden erschossen, viele verletzt. Wer dahintersteckt, war auch am Sonntag noch unklar.

Für die Rothemden ist die aufflammende Gewalt ein gewaltiger Schock, sie wollen nicht noch einmal das Trauma von 2010 durchleben. Damals waren sie es, die in Massen durch die Straßen zogen und protestierten. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Militär und den Rothemden starben mehr als 90 Menschen. So ordnet der Führer der Rothemden am Sonntag den Rückzug an, weil nicht genügend Polizei bereit stehe, um seine Leute zu schützen. Sie räumen das Stadion und rollen in ihren Bussen nach Hause.

Die Regierungsgegner aber laufen weiter Sturm gegen das "Regime Thaksin". Es ist ein seltsamer Aufstand, der manchmal Züge eines Straßenkampfes trägt, manchmal aber auch einem Volksfest gleicht. Am frühen Morgen vor dem Demokratie-Monument: Die Massen versammeln sich, um loszuziehen, die Stimmung ist ausgelassen, kleine Stände verkaufen T-Shirts des Königs, Trillerpfeifen und auch weiße Sandalen, auf deren Sohle das Gesicht von Thaksin Shinawatra gedruckt ist. So treten sie ihn symbolisch mit Füßen.

An der Makkawan-Brücke spielen sich indes absurde Szenen ab. Eine Sängerin der Demonstranten beschwört die Vorfahren, die für das Wohl Thailands gekämpft haben, und so wie einst wollen nun auch sie, die Demonstranten, die Nation retten. Zugleich werfen die Polizisten hinter der Barrikade ihre Musikanlage an. Von dort säuselt nun ebenfalls eine süße Frauenstimme aus dem Lautsprecher, auch sie preist das Land, das es zu retten gilt.

So führen sie akustische Gefechte über den Wassergraben hinweg, beide Seiten inszenieren sich als Hüter der Nation, doch die ist so zerrissen, dass niemand weiß, wer jetzt in Thailand noch Brücken bauen kann.

König Bhumibol Adulyadej wird am kommenden Donnerstag 86 Jahre alt. Während der Feierlichkeiten zumindest dürfte Ruhe in Bangkok herrschen, niemand kann sich vorstellen, dass Protestmärsche und Gewalt des Königs Geburtstag stören, zumal gerade die Demonstranten eine besondere Verehrung und Nähe zu ihrem König demonstrieren. Viele tragen Gelb, die Farbe der Monarchie. Doch wenn die Regierung bis dahin nicht gestürzt ist, wollen die Anführer der Proteste weitermachen.

Wohin das alles führen soll, ist nicht erkennbar. Protestführer Suthep Thaugsuban stiftet mehr Verwirrung als Klarheit, wenn er das Wort erhebt. Kürzlich sprach er davon, einen Volksrat einsetzen zu wollen, der künftig regieren soll. 37 Männer, mit ihm an der Spitze. Das kam bei vielen nicht gut an, und so erwähnt er den Plan am Sonntag mit keinem Wort mehr. Nun wiederholt er lediglich, dass die Regierung keine Legitimität besitze. Und er ruft dazu auf, an diesem Montag der Arbeit fernzubleiben.

Kein Zeichen also dafür, dass das Chaos in Bangkok bald ein Ende findet. Das Militär hält sich auffällig zurück, doch sind die Generäle offenbar mit dem Vorgehen der Polizei nicht ganz einverstanden. Wie thailändische Medien berichten, hat die Armee die Polizei aufgefordert, besser kein Tränengas gegen die Massen einzusetzen.

Während viele rätseln, wohin die Demonstranten die gebeutelte Demokratie Thailands noch treiben wollen, fliegen an der Pitsanulok Road am Nachmittag erneut die Tränengasgranaten. Doch dieses Mal hat sich die Polizei verrechnet. Denn plötzlich wehen die Schwaden zurück über die Barrikade und treffen diejenigen, die sie abgefeuert haben. Applaus und Gelächter heben an in der Masse, sie jubelt über den Rückenwind.

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