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Raketenjahre

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Anna Maria Mühe kommt aus einer berühmten Schauspielerfamilie - ihr Talent musste sie erst beweisen. Das ist ihr längst gelungen. In welche Höhen sie einen Film tragen kann, zeigt sie in der ZDF-Produktion 'Deckname Luna'


Sie gehört zu denen, die nicht im Premieren-Saal sitzen können, wenn vorne ihr Film läuft. Das macht sie ganz hibbelig. Da geht sie lieber nebenan etwas essen, kommt dann erst zum Applaus für Deckname Luna auf die Bühne des Münchner Filmfestes und strahlt.

Und so, eigentlich sogar noch sehr viel glücklicher strahlend, mit inzwischen beachtlich rundem Baby-Bauch, öffnet sie die Glastür ins 'Blaue Band'. Das ist ihr Lieblings-Interview-Café an der Alten Schönhauser Straße in Berlins Mitte. Heiter gelassen lächelnd von innen nach außen, oder nein: von außen ganz für sich nach innen. Die Freunde nennen sie, seitdem sie schwanger ist, 'lachender Buddha', so entspannt glücklich ist Anna Maria Mühe als werdende Mutter.



Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geht es ja gerade Schlag auf Schlag mit den großen Stoffen der jüngeren deutschen Vergangenheit. Vergangene Woche der mit heftig Vorab-Tamm-Tamm angekündigten Rommel-Film in der ARD, der dann doch ein wenig langweilig und beflissen war. An diesem Montag und Donnerstag im ZDF der ganz andere historische Film aus einer ganz anderen, viel bunteren Vergangenheit, die eindeutig auch die bessere Musik und Mode hatte, im Westen jedenfalls.

Anna Maria Mühe, 27, spielt in Deckname Luna eine junge Frau, Lotte aus Rostock, die Anfang der sechziger Jahre als Schweißerin in einer DDR-Werft arbeitet und unbedingt in das Raumfahrtprogramm der UdSSR aufgenommen werden will. Weil sie als Kosmonautin ins All fliegen möchte wie ihr großes Vorbild Juri Gagarin.

Geerbt hat sie die Sehnsucht nach den Sternen von ihrem Großvater, Professor Arthur Noswitz (Götz George), der sich als Raketenforscher in die Dienste der Nationalsozialisten gestellt hat. Er ist aus Sibirien, wo er für die Sowjets arbeiten sollte, nach Augsburg geflohen und bringt jetzt das westdeutsche Raketenprogramm voran. Außerdem trägt der Professor Großvater noch ein Familiengeheimnis, das Götz George von Anfang an mitspielt und das jetzt hier aber trotzdem nicht verraten wird.

Das geht dann so weiter: Die Mauer wird gebaut. Lotte druckt mit ihrem Bruder Flugblätter und wird von ihrem Freund Holger an die Stasi verraten. Als Lotte eine irrwitzige Flucht in den Westen gelingt, der Bruder aber verhaftet und in den Stasi-Knast gesperrt wird, wittert der ehrgeizige und intelligent Stasi-Offizier Julius Moll (Heino Ferch) eine Chance. Er erpresst Lotte mit dem Versprechen, den Bruder freikämpfen zu können - und hofft, so an Professor Noswitz und die Raketenpläne des Westens heranzukommen. Das entwickelt sich dann nach allen Regeln der höheren Drehbuchkunst dramatisch und hat außerdem noch eine Liebesgeschichte zu bieten, drei Liebesgeschichten genau genommen. Wunderbar erzählt ist das alles, mit dem herrlichen Design, der Mode, der Musik, dem Tonfall und der Nikotinabhängigkeit der sechziger Jahre, mit Dokumentationsschnipseln von Mondlandung, Kuba-Krise und KennedyErmordung. Und mit großen Schauspielern.

In besondere Höhen getragen wird die Geschichte von Anna Maria Mühe, die, das muss man nach Filmen wie Novemberkind, Lila, Lila, Bis zum Horizont, dann links! und jetzt Deckname Luna auch endlich mal hinschreiben, sich in die Oberliga gespielt hat. Sie hat diese intensive Fähigkeit, die Tiefenschichten ihrer Figuren zu verstehen, zu verinnerlichen und über die Augen wieder zurückzugeben an die Kamera.

Wie sie das macht? Was für eine Frage. Da antwortet sie irgendetwas, wie alle guten Schauspieler, die das Geheimnis nicht preisgeben wollen. Oder können. Vielleicht kann man es mit Worten ja auch wirklich nicht erzählen: 'Kostüm und die Maske helfen sehr, ein bisschen wie verkleiden, auch weil man mit den Kleidern und dem Make-Up abends die Rolle wieder ablegen kann.' Was ihr schwer gefallen ist. Die Sechziger-Jahre-Westklamotten stehen ihr wirklich gut. Und 'einen Mantel, diesen schönen, türkisen Mantel, den habe ich geschenkt bekommen, als die Dreharbeiten vorbei waren'. Leuchtende Mode-Mädchen-Augen. 'Und dann bereite ich mich auf solche Dreharbeiten sehr strukturiert und genau vor, versuche mir, ein ganz klares Bild von meiner Figur zu machen.' Also hat sie sich unter anderem auch den Stasi-Knast in Hohenschönhausen zeigen lassen: 'Ich habe da Einzelheiten gelernt, die ich gar nicht wusste.'

Eines mussten wir versprechen, bevor wir Anna Maria Mühe trafen. Keine Fragen nach den berühmten und am zu frühen, traurigen Ende so tragisch in eine eigene Stasi-Geschichte verhedderten Schau-spieler-Eltern: Der Mutter Jenny Gröllmann, die 2006 viel zu jung an Krebs gestorben ist, dem Vater Ulrich Mühe, der 2007 bald nach der Oscar-Preis-Verleihung viel zu jung an Krebs gestorben ist, und die Stiefmutter Susanne Lothar, die - viel zu jung - nach alledem auch nicht mehr leben konnte.

Filmemachen sei nun einmal keine Psychotherapie, sagt sie, ohne das Baby-Buddha-Lächeln aufzugeben. Obwohl es sich bei diesem Stoff wirklich anbieten würde. Was für eine deutsch-deutsche Geschichte.

Aus so einer Schauspieler-Familie zu kommen bedeutet aber naturgemäß auch, beweisen zu müssen, dass man selber was geworden ist. Bei Götz George war es ja wieder so, dass er ihr zur Begrüßung mit beiden Händen ein imaginäres Baby-Päckchen hinhält und sagt: 'Ich kenne dich noch, da warst du so!'

Jetzt ist sie so. Und hat selber ein Baby-Päckchen.

Dreharbeiten mit den alten Hasen, mit Otto Sander oder jetzt Götz George und Heino Ferch, wie ist das? 'Was ich so sehr schön angenehm finde an den älteren und jüngeren alten Hasen, ist, dass sie mir mit Respekt begegnen und ich nicht betteln oder darum kämpfen muss, dass ich gehört und gesehen werde.' Werden die dann melancholisch, weil sie so jung ist, und erzählen Veteranengeschichten? 'Sie erzählen Geschichten, wenn ich Glück habe. Ich finde das nur wunderbar, wenn Otto Sander Geschichten erzählt und leuchtende Kinderaugen bekommt.'

Am Ende brechen wir unser Versprechen doch ein wenig und fragen, ob ein Baby zu bekommen nicht auch so etwas ist wie ein Trost, ein Anker in die Zukunft, wenn die wichtigen Menschen der Ursprungsfamilie in so kurzer Zeit auf so dramatische Weise hintereinander wegsterben? Anna Maria Mühes Augen sagen: Das ist jetzt eine von den Fragen, die ich Ihnen nicht beantworten werde. Aber sie sagen auch: Ja.

Deckname Luna, ZDF, 20.15 Uhr. Teil 2, Donnerstag, 8. November, 20.15 Uhr

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