Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

„Jammern ändert nichts“

$
0
0
Zu dem Plakat, das zur Studentendemonstration gegen die Kürzungen der Bildungsausgaben aufruft, fällt Manuel Costa spontan nur ein Wort ein: „Unsinn!" Die Regierung habe zum Sparen „keine Alternative". Der 21-jährige Wirtschaftsstudent steht mit seiner Ansicht nicht allein: Zu der Kundgebung finden sich nur ein paar Hundert Leute ein. In der auf Wirtschaft spezialisierten Lissabonner Nova-Universität, an der Costa studiert, sind die Seminarräume voll, in den Bibliotheken ist kein Platz frei. Dasselbe Bild bietet sich in der Universidade Clássica, mit 20 000 Studenten die größte des Landes: Es wird emsig gelernt. Vor zwei Jahren gab es hier noch große Kundgebungen gegen das Sparprogramm der neuen Mitte-rechts-Regierung. Auch diesmal verteilen wieder junge Leute Zettel mit Protestaufrufen, doch nur vor der geisteswissenschaftlichen Fakultät werden sie sie in größerer Anzahl los. Hier wird am meisten gekürzt, hier haben die Studenten die schlechtesten Berufsaussichten, weil die Regierung einen Einstellungsstopp in Bildungs- und Kultureinrichtungen verfügt hat.



Portugals Jugend hätte zwar gute Gründe auf die Barrikaden zu gehen, aber sie haben einfach keine Zeit dafür.

Costa hätte gar keine Zeit zum Demonstrieren. Zum einen muss auch er für seine nächste Prüfung pauken. Zudem betreibt er mit Kommilitonen eine Internet-Wohnungsvermittlung für Studenten und verdient damit auch etwas Geld. „In drei Stunden waren alle Formalitäten erledigt", berichtet er über die Gründung. Zudem sind junge Firmengründer neuerdings mindestens zwölf Monate von der Umsatzsteuer befreit, wodurch ihre Anzahl zuletztsprungartig gestiegen ist.

Gleichzeitig hat der Anteil der Krisenverlierer jedoch gerade in der jungen Generation zugenommen. Die Polizei verzeichnete in den vergangenen drei Jahren einen starken Anstieg der Jugendkriminalität und des Konsums harter Drogen. Die Caritas beklagt, dass die Mittel für ihre Jugendprogramme kräftig zusammengestrichen worden sind. Ihre Vertreter sprechen von einer „verlorenen Generation". Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 36 Prozent. Allerdings erfasst diese Zahl nur die offiziell Arbeitssuchenden und nicht die Gesamtheit der jungen Leute zwischen 16 und 24 Jahren. Die überwältigende Mehrheit von ihnen geht nämlich zur Schule oder studiert, sodass faktisch weniger als zehn Prozent eines Jahrganges arbeitslos sind. Die Quote nimmt zudem seit zwei Quartalen ab.

Die offizielle Arbeitslosenstatistik sieht überdies etwas weniger dramatisch aus, wenn die Schwarzarbeit einbezogen wird. Experten schätzen, dass bis zu einem Drittel der offiziellarbeitslos gemeldeten jungen Portugiesen schwarz regelmäßig Geld verdient. Darunter die 22-jährige Elisa, sie kellnert in einer Bar im Studentenviertel. Kleine und mittlere Betriebe bilden nach wie vordas Rückgrat der portugiesischen Wirtschaft, oft sind sie seit Generationen in Familieneiner Familiebesitz. Sie fangen einen Teil der Hochschulabsolventen auf, die keine Anstellung finden, die ihrer Qualifikation und Fachrichtung entsprechende Anstellung finden entspricht. Die Bezahlung ist jedoch schlecht. In den Schnellrestaurants, Callcentern und Supermärkten, in denen ebenfalls viele der gut ausgebildeten jungen Portugiesen jobben, ist dies kaum besser. Ein Großteil wohnt wegen der Finanzprobleme bei den Eltern, die Generation „Nesthocker". Andere suchen ihr Heil im Ausland. Begehrtes Ziel: die ehemalige Kolonie Angola, die dank ihrer Ölvorkommen einen Aufschwung erlebt. Sie wirbt besonders um junge Ingenieure, Wirtschafts- und IT-Experten. Die Nova-Universität hat eine Filiale in der Hauptstadt Luanda gegründet.

„Wir haben einen Generationenkonflikt", sagt Sofia Oliveira. Sie ist 22 Jahre alt, studiert ebenfalls an der Nova-Universität und engagiert sich im Nova Economics Club (NEC). Den haben Studenten gegründet, weil das Lehrprogramm ihnen keinerlei Erklärungen für die Krise liefert, in die sich die junge Generation „hineingeworfen" fühlt. Der Club stellt sich einer ehrgeizigen Aufgabe: Er analysiert die Ursachen der Krise und die Maßnahmen der Regierung dagegen, die Ergebnisse dokumentiert er auf Englisch auf seiner Webseite (www.novaeconomicsclub.com). Den Konflikt zwischen den Generationen beschreibt Sofia Oliveira mit einem Satz: „Sie haben sich maßlos verschuldet, wir starten mit einem Riesenschuldenberg ins Erwachsenenleben." Mit „sie" meint sie den Staat ebenso wie die Privathaushalte.

Die Studenten, die im NEC zusammenkommen, sind sich einig: „Jammern und protestieren ändern nichts!" Außerdem verbindet sie ihr Misstrauen gegenüber den heutigen Politikern und Wirtschaftsführern. Vor einem Jahrzehnt, als die meisten der NEC-Mitglieder noch Kinder waren, haben sie den „kollektiven Rausch" in der Gesellschaft mitbekommen, als Portugal die Fußballeuropameisterschaft 2004 ausrichtete. Damals wurden Riesenstadien gebaut, Rieseneinkaufszentren, Riesenautobahnen, Riesenbrücken, alles auf Kredit. Zudem wurde das Heer der Staatsdiener kräftig ausgebaut. Heute bleibt ein Teil dieser Rieseninvestitionen ungenutzt. Und die Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und EU, die Portugal vor zwei Jahren mit einem Kredit mehr als 78 Milliarden Euro vor dem Staatsbankrott gerettet hat, verlangt die drastische Verkleinerung des öffentlichen Dienstes.

„Richtig so!", sagt die Kellnerin Elisa. Ihre Chefin, die Besitzerin der Bar, die über eine 70-Stunden-Woche klagt, nickt dazu. Manuel Costa, der junge Firmengründer, sagt, es seien vor allem Staatsbedienstete, die gegen die Kürzungen demonstrieren. Bei der Debatte im NEC fallen Sätze wie: „Austerität ist unvermeidlich! Steuererhöhung schafft keine Arbeitsplätze!" Oder: „Wir fordern die Liberalisierung des Arbeitsmarktes!" Mit anderen Worten: die Aufweichung des Kündigungsschutzes. Da der jungen Generation die Aufstiegsmöglichkeiten versperrt seien, wie Sofia Oliveira sachlich feststellt. Sie wohnt bei ihren Eltern, die in einem Steuerbüro arbeiten, ein typisches Mittelstandskind.

Andere in dem Club sehen sich bereits als Aufsteiger, sie sind die Ersten in ihren Familien, die eine Universität besuchen: „Wir wollen nicht die verlorene Generation sein. Wir wollen weiterkommen. Aber wir müssen es selbst tun!" Dozenten der Lissabonner Hochschulen bestätigen: Die durch die Krise sozialisierten Studenten seien nicht nur viel fleißiger, sondern auch viel selbständiger und kritischer als frühere Jahrgänge. 

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345