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Marsch der Elenden

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Es ist ein Marsch der Elenden und Geschundenen. Mit Sandalen an den Füßen sind sie losgezogen, mit leichten Jacken in diesem eiskalten israelischen Jahrhundertwinter, und als sie die Zäune ihres Lagers hinter sich hatten, da gab es für 150 afrikanische Flüchtlinge nur noch ein Ziel: Jerusalem.



Die afrikanischen Flüchtlinge protestieren in Jerusalem für ihre Freiheit und Sicherheit. Jetzt droht einigen von ihnen genau das Gegenteil.

Jerusalem war ihre Hoffnung, doch von Beginn an ist es ein Wettlauf gegen die Zeit gewesen. 48 Stunden nur ist die Frist der Freiheit – so lange dürfen sie sich laut Gesetz ungestraft aus ihrem Lager entfernen, danach droht die Verhaftung. Doch in diesen zwei Tagen wollten sie wenigstens die Chance nutzen, das Land auf ihre Misere aufmerksam zu machen. Ihr Protestmarsch war begleitet vom Ruf nach „Freiheit“ und nach „Menschlichkeit“, und als sie am Dienstag endlich ihr Ziel erreichten, da schwenkten sie große Banner vor dem Amtssitz des Premierministers. „Wir sind nicht gefährlich, sondern in Gefahr“, stand auf einem geschrieben, und auf einem anderen „wir sind nicht freiwillig zu Flüchtlingen geworden“.

Die hier demonstrieren, das sind die Ärmsten der Armen. Sie komme aus Sudan und Eritrea, und auf dem Weg ins vermeintlich gelobte Land sind viele durch die Hölle gegangen. Diese Hölle ist der ägyptische Sinai, wo beduinische Schlepperbanden sich an den Flüchtlingen vergehen. Viele von ihnen berichten von Vergewaltigungen, Folter und Geiselnahmen. Doch wer es über die Grenze schafft nach Israel, ist hier alles andere als willkommen.

Im jüdischen Staat werden die Leidgeplagten als Bedrohung wahrgenommen – und die Angst vor großen Flüchtlingsströmen ist nachvollziehbar. Schließlich ist Israel das einzige westliche Land, das von den Armen aus Afrika zu Fuß erreichbar ist. Stetig waren daher in den letzten Jahren die Flüchtlingszahlen angestiegen, bis sich die Regierung mit aller Macht des Themas annahm. Von Flüchtlingen spricht seither kaum noch einer – Mistanenim ist der offizielle Terminus, auf Deutsch heißt das „Eindringlinge“. Premierminister Benjamin Netanjahu warnte gar, dass sie „den jüdischen Charakter Israels“ in Gefahr brächten, andere nannten sie eine „nationale Plage“ oder ein „Krebsgeschwür“.

Mittlerweile ist die 270 Kilometer lange Grenze zu Ägypten fast vollständig mit einem neuen Zaun gesichert, nur noch vereinzelt kommen Flüchtlinge ins Land. Doch die mehr als 50000, die bereits in Israel leben, stehen immer noch im Mittelpunkt hitziger Debatten. Ein Bleiberecht existiert in Israel de facto nicht, seit der Staatsgründung 1948 wurde insgesamt nicht einmal 200 Menschen Asyl gewährt. Die „Eindringlinge“ sind also illegal im Land, sie dürfen nicht arbeiten und bekommen keinerlei öffentliche Unterstützung. Der Staat setzt auf Abschreckung, und vor einer Woche wurde im zweiten Anlauf ein Gesetz verabschiedet, dass die Internierung von Flüchtlingen in einem geschlossenen Lager für ein Jahr erlaubt, danach können sie auf unbestimmte Zeit in ein sogenanntes „offenes Lager“ eingewiesen werden. Zunächst war eine feste Internierung für drei Jahre geplant, doch das hatte der Oberste Gerichtshof gestoppt.

Am vorigen Donnerstag nun waren die ersten knapp 500 Flüchtlinge in ein solches offenes Lager eingewiesen worden. Sie kamen per Bus direkt aus dem Gefängnis, wo die meisten von ihnen nach ihrem illegalen Grenzübertritt bereits für eineinhalb bis zwei Jahre eingesessen hatten. Ihre neue Bleibe trägt den Namen „Holot“, die Dünen. Klingt wie ein Ferienparadies am Strand, liegt aber einsam mitten in der Wüste. Fünf Mann teilen sich ein Zimmer, tagsüber sind die Tore offen, doch morgens, mittags und abends müssen die Insassen zum Zählappell erscheinen. Um zehn Uhr abends wird abgeschlossen bis zum nächsten Morgen. Für Anat Ovadia, Sprecherin einer Hilfsorganisation namens Hotline für Flüchtlinge und Migranten, ist das Dünen-Camp nichts anderes als „ein Gefängnis“. Es sei „grausam, ohne etwas an dem Problem zu lösen“, schimpft sie. Zusammen mit anderen Menschenrechtsgruppen hat ihre „Hotline“ sich deshalb wieder ans Oberste Gericht gewandt. Doch bis zu einer Entscheidung, sagt sie, könne es anderthalb Jahre dauern.

Darauf wollten die Flüchtlinge in Holot nicht warten. Am Sonntagnachmittag erschienen die meisten von ihnen nicht mehr zum Appell, und 150 machten sich zu Fuß auf den Weg nach Norden. Die erste Nacht verbrachten sie im Busbahnhof der Wüstenstadt Beerscheba, die zweite in einem Kibbuz südlich von Jerusalem, wo sie von Bewohnern mit heißem Tee, Essen und Kleidung versorgt wurden. Aktivisten haben sich ihnen angeschlossen, ein paar Politiker aus dem linken Spektrum und ein Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, der sich „besorgt“ zeigte und heftige Kritik übte an Israels Flüchtlingspolitik. Und auch die Polizei war schon zu sehen, doch eingreifen durften die Beamten noch nicht, weil das Gesetz ja eine Verhaftung erst nach 48 Stunden vorsieht.

Mit Bussen hat der Tross am Dienstagmorgen schließlich Jerusalem erreicht, der erste Halt war Netanjahus Amtssitz, danach ging es weiter zur Knesset, dem israelischen Parlament. Der Premier gab ihnen noch mit auf den Weg, dass er den Protestmarsch nicht dulden werde. „Das Gesetz gilt für jeden“ erklärte er, „die Eindringlinge können entweder in die spezielle Einrichtung zurückgehen, in die sie gebracht wurden – oder in ihr Land.“

Die Polizei ließ den markigen Worten Netanjahus schnell Taten folgen. Vor der Knesset wurden die Flüchtlinge festgenommen und in Bussen abtransportiert. Laut Gesetz droht ihnen nun als Strafe für ihren Ruf nach Freiheit eine erneute Unterbringung im Gefängnis.

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