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Die ganze Wahrheit

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Die Aufräumarbeiten in Fukushima werden doppelt so teuer wie gedacht - doch Japans Atomlobby hält an der Kernenergie fest


Tokio - Tepco braucht noch mehr Geld vom Staat. Die Betreiberin des Unglücks-Meilers Fukushima I sagte am Mittwoch, sie schätze, das Aufräumen und die Entschädigung der Opfer kosteten fast 100 Milliarden Euro, nicht 50 Milliarden wie bisher geschätzt. Die japanische Regierung hat bereits 25 Milliarden Euro in die de facto verstaatliche Stromfirma gesteckt, die als Monopolist den Großraum Tokio versorgt. Für Entschädigungen und Dekontamination hatte sie schon früher 50 Milliarden Euro bereitgestellt.



Schlummerndes Grauen: Tepcos Kernkraftanlage in Fukushima

Seiji Maehara, der zuständige Minister, sagte am Mittwoch, solange Tepco am Staatstropf hänge, sei damit zu rechnen, dass die öffentliche Hand weitere Kostenüberschreitungen finanzieren müsse. Gleichwohl klagen viele Arbeiter an der Kraftwerksruine, die Elektrizitätsfirma spare an ihnen und am Material. Die Tanks mit 200000 Tonnen Kapazität, in welche das radioaktiv verseuchte Wasser aus den Reaktorgebäuden gepumpt wird, sind beinahe voll, aber es fällt täglich mehr Wasser an. Eine Lösung ist nicht in Sicht. 100000 Menschen können nicht in ihre Häuser zurückkehren.

Jüngst wurden im Meer vor Fukushima erneut verstrahlte Fische gefangen, es gab Meldungen, Reis aus Fukushima enthalte mehr Cäsium als zulässig. Viele Japaner haben Tepco und die Regierung in Verdacht, sie sagten nicht die volle Wahrheit.

Die Regierung von Yoshihiko Noda hält zwar an der Ankündigung fest, sie wolle bis in die 2030er-Jahre aus der Atomkraft aussteigen. Aber sie hat es versäumt, das rechtskräftig zu beschließen. Mehrere Minister, unter ihnen die umstrittene Erziehungsministerin Makiko Tanaka, kämpfen dagegen. Die USA machen Druck, Japan sollte den Ausstiegsbeschluss widerrufen. Die Liberaldemokraten, die die Atomkraft in Japan einst zur Glaubenssache gemacht hatten, sagen klar, wenn sie an die Macht zurückkehren, werden sie den Beschluss rückgängig machen. Die zwei Reaktoren von Oi, die einzigen, der derzeit laufen, stehen, wie jüngst bestätigt wurde, auf einer aktiven Erdbebenbruchlinie. Die Atomlobby drängt, die derzeit 48 intakten Kernkraftwerke sollten wieder angefahren werden. Und trotz der geschätzten 100 Milliarden Schadensumme von Fukushima hält sie an der Fiktion fest, Kernenergie sei preiswert.

Die Regierung strebt zwar den Ausstieg an, will aber die Wiederaufbereitung abgebrannter Uranbrennstäbe nicht aufgeben. Diese Stäbe sollten ursprünglich im sogenannten schnellen Brüter eingesetzt werden. Diese Reaktor-Technik gilt in Japan zwar als gescheitert, aber die Regierung hat sie bisher offiziell nicht aufgegeben.

Dass sie den Nuklearzyklus beibehalten will, erklärte Vize-Premier Katsuya Okada jüngst mit innenpolitischen Zwängen. Aus ganz Japan haben Atomkraftwerke gebrauchte Brennstäbe an die Wiederaufbereitungsanlage Rokasho in die Präfektur Aomori geschickt. Aber Rokasho hat bisher nur Störungen verursacht. Als sich ein Atom-Ausstieg abzuzeichnen begann, drohte die Präfektur, falls der Nuklearzyklus aufgegeben würde, schicke sie alle abgebrannten Stäbe an die Kraftwerke zurück. Die aber verfügen über keinen Lagerraum. Also hält die Regierung an der Fiktion fest, die Brennstäbe würden dereinst aufbereitet. Dabei entsteht bombenfähiges Plutonium.


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