Kannst Du das besser“, fragt die Website der britischen BBC und zeigt eine Aufnahme der Mona Lisa. Ein Drittel des Fotos wird allerdings von einem milde lächelnden Blonden mit kariertem Sweatshirt eingenommen, der breit im Vordergrund steht. Es ist #MuseumSelfie day auf Twitter, dem Kurznachrichtendienst. Das Phänomen ist nicht neu, dass es einen Tag dafür gibt schon: Immer mehr Menschen stellen sich in Museen vor die Kunst, strecken den Arm ganz weit aus und machen mit dem Smartphone eine Aufnahme von sich selbst. Die Kunst ist im Hintergrund meist nicht nur gut zu sehen, sondern häufig auch irgendwie lustig einbezogen. Wer genau den vergangenen Mittwoch zum #MuseumSelfie day erklärt hat, ließ sich im Nachhinein nicht rekonstruieren, doch bald veröffentlichte Twitter Schnappschüsse, auf denen Kuscheltiere vor säulenbestandenen Portalen zu sehen sind. Man spiegelte sich Glas der Vitrinen oder liess, wie ein Mädchen im Art Institute in Chicago, ein Stück Goldschmiedekunst wie eine Krone über der Frisur schweben. Eine andere setzt sich einen goldschimmernden Brancusi-Kopf auf die Schultern.
Besonders viele Selfies zeigen im Hintergrund Gemälde. Die wenigsten stellen sich vor eine Landschaft, die meisten konkurrieren direkt mit einem anderen Porträt, was die alten Gesichter in Spitzenkragen noch einmal blasser wirken lässt. Kunstgeschichte und Kunstkritik haben schon lange ihre Betrachtung auch auf zeitgenössische Bildmedien ausgedehnt – aber selten sahen Welten so unvereinbar aus, wie auf den vielen Schnappschüssen. Andererseits: Wer heute einer Schulklasse in einem Museumssaal begegnet, versteht, dass sich, wo I-Phone und Samsung draußen bleiben müssen, die Kinder lieber vor dem Eingang an ihre Stromkabel ketten würden. Wer davon ausgeht, dass Kunsttempel niedrigschwellig gebaut sein müssen, der sollte sich fragen, was genau dagegen spricht, im Museum die Kommunikation zu dimmen – wo in ein paar Jahren wahrscheinlich ohnehin die Datenbrille alles dokumentieren wird. Und es käme wohl jetzt schon einer ganzen Generation absurd vor, sich ausgerechnet in der Freizeit vom Datenstrom abzukoppeln, den sie den ganzen Tag bedienen. Warum ausgerechnet im Museum, wo es dort doch angeblich so viel zu sehen und zu diskutieren gibt, das sich ins große Netz einspeisen lässt.
Ohnehin ist es lange her, dass das erste Bild, dem man am Museum begegnete, das Piktogramm mit der durchgestrichenen Kamera war: Die meisten deutschen Häuser gestatten es, dass man in ihren Sammlungen fotografiert, allein in Sonderausstellungen, die ja vor allem Leihgaben zeigen, bleibt es untersagt – oder da, wo Künstler sich sperrig zeigen. Während David Hockney noch vor einigen Jahren im Kölner Museum Ludwig sogar Journalisten komplizierte Verträge unterschreiben ließ, ist die jüngere Generation einladend: Der Brite Phil Collins, der dort jüngst mit Bildschirmen bestückte Wohnwagen aufbaute, wünscht sich sogar, dass möglichst viele Besucher die auch fotografieren und filmen. Grenzen zieht man nur noch, wo die Kunst gefährdet ist – im Münchner Museum Brandhorst herrscht Fotografierverbot, seit jemand beim Fotografieren Katharina Fritschs Warenregal voller Madonnen umschubste.
Normalerweise sind Ausstellungsstücke zum Betrachten gedacht. Das "MuseumSelfie" rückt den Betrachter in den Mittelpunkt.
Das Frankfurter Städel gibt sich dagegen als Avantgarde. Nur wenige Stunden vor Beginn des #MuseumSelfie day erläuterte Direktor Max Hollein Zukunftsperspektiven auf einem Panel der Münchner Digital-Life-Design Conference mit dem Titel „From Museum to Playstations“. In Holleins Haus steht ab Mitte des Jahres allen Besuchern ein kostenfreier Wireless-LAN Zugang zur Verfügung. „Es wird künftig den Besuchern ermöglicht, ihre Eindrücke, Erlebnisse oder Lieblingswerke über soziale Netzwerke schon im Museum zu teilen“, heißt es in der Ankündigung. Zudem werde das Museum einen Instagram-Account eröffnen, „so dass das Medium Bild noch stärker in die Kommunikation mit den Besuchern eingebunden wird“. Die gleichfalls von Hollein geleitete Kunsthalle Schirn hat es schon im vergangenen Herbst als Erfolg verbucht, dass Besucher der Ausstellung „Street-Art Brazil“ über einen Hashtag Bilder posten und Teil einer Echtzeit-Pinnwand im Foyer werden konnten. Man unterhält einen eigenen Kanal auf Youtube, Smartphone und Tablet sind im Städel willkommen, allein Blitz und Stativ müssen vor der Tür bleiben. Die alte Fototechnik mit künstlichem Licht und staksigem Equipment ist gefährlich für Leinwand und Skulptur.
Vorbild der neuen Offenheit fürs Technische in Deutschland könnte eine Aktion des New Yorker Metropolitan Museums gewesen sein, das schon vor einigen Jahren Anzeigen mit dem Slogan überschrieb „Es ist Zeit, dass wir uns getroffen haben“ und dazu Besucher abbildete, die sich im Met fotografiert hatten. Was man als direkte Einladung verstehen kann, zwischen Raffael und Picasso genauso ungezwungen die Parallelwelt des Internets mit dem eigenen Lifestream zu bedienen, als bummele man gerade durch eine Fußgängerzone, in der eine Werbeaktion läuft. Amerikanische Museen haben nicht nur weniger Vorbehalte – sie setzen schon etwas länger darauf, dass das Museum zur Destination wird, wo es weniger um Bildung und mehr um Bilderschätze geht. Das Metropolitan Museum zählt übers Jahr inzwischen 6,5 Millionen Besucher und gilt damit als wichtigstes Touristenziel in New York, das werden die Marketing-Strategen europäischer Museen nicht übersehen haben. Profitiert neben der PR auch die Museumspädagogik? Die Psychologin Linda Henkel aus Connecticut hat kürzlich nachgewiesen, dass sich Studenten im Museum besser an die Bilder erinnern, die sich nicht fotografieren durften. Für Eric Gibson, Autor des The New Criterion ist nicht nur die Erinnerung einzelner in Gefahr, sondern das Museum insgesamt beschädigt, wo es sich den Selfies öffnet. Wer aus dem Ausstellungssaal Selbstporträts verschicke, dem gehe es doch überhaupt nicht mehr um die Kunst, schreibt er unter dem Titel „The Overexposed Museum“. „In vordigitalen Zeiten war das Kunstwerk das Subjekt. Jetzt ist es der Besucher; das Kunstwerk ist sekundär“. Die Aussage so eines Erinnerungsfotos sei nicht mehr länger „ich habe gesehen“, sondern das schlicht touristische „ich war da“. Und tatsächlich drängeln sich vor allem vor prominenten Gemälden wie der Mona Lisa im Pariser Louvre einige, die lange anstehen, nur um sich in dem Moment, in dem sie der Gioconda am nächsten sind, rasch wegzudrehen und die Kamera auf sich zu richten. Jan van Eyck, Raffael, Michelangelo oder Dürer seien diesem Publikum genauso unterschiedslos Attraktionen, wie draußen der Eiffelturm oder das Weiße Haus, schreibt Gibson, und schon deswegen genügte es diesen Weltenbummlern, von der Kunst genau so lange inne zu halten wie vor jedem anderen Etappenziel.
Und das missfällt Gibson grundsätzlich: Zur Kunstbetrachtung gehöre es nun einmal, dass man eben tatsächlich auch die Kunst anschaut, konzentriert. Und darauf, so schreibt Gibson, müsse das Museum selbst bestehen, es gehe nicht nur um das Werk, sondern auch um eine kulturelle Praxis, die man seinem Publikum vermitteln müsse. Im Konzertsaal oder vor der Theaterbühne werde man auch nicht nur mit der Aufführung konfrontiert, sondern, nebenbei, auch mit der Etikette; damit, wie man sich zwischen Loge und Parkett verhält. Wer hustet geht besser, Bonbonpapier darf nicht rascheln, Mobiltelefone müssen ausgeschaltet bleiben. Museen „sind auch die Hüter von etwas anderem: der Kunsterfahrung. Sie ist nicht gegeben und kann nicht vorausgesetzt werden. Sie ist das Ergebnis bestimmter Bedingungen, die von einer Institution vorgegeben werden“.
Ist so viel antiquierte Vernunft dem Museumsgeschäft überhaupt noch bewusst, das selbst seit Jahren am liebsten auf ansteigende Besucherkurven starrt, wo es den Fokus auf sich selbst richtet? Die Dauer des Besuchs – sie liegt im Schnitt zwischen zehn und neunzig Minuten – wird in diese Zahlen nicht eingerechnet. Museumsneubauten wie das MAXXI in Rom, von der Flughafen-erprobten Zaha Hadid entworfen, entrollen sich wie ein schnell organisierter Transitbereich . Max Hollein will künftig wieder strenger zwischen der konzentrierten Stille im Museumstempel und dem Ausbau der digitalen Benutzeroberfläche differenzieren. „Ich bin ganz konservativ. Neben den Bildern soll nicht mit Smartphones gespielt werden. Aber wir haben online die Möglichkeit, weit über die physischen Begrenzungen des Hauses hinaus zu gehen.“
Immerhin, das Museum, das hier auf Sendung geht, kann sich endlich ein Bild von seinem Publikum machen. Auf Twitter.
Besonders viele Selfies zeigen im Hintergrund Gemälde. Die wenigsten stellen sich vor eine Landschaft, die meisten konkurrieren direkt mit einem anderen Porträt, was die alten Gesichter in Spitzenkragen noch einmal blasser wirken lässt. Kunstgeschichte und Kunstkritik haben schon lange ihre Betrachtung auch auf zeitgenössische Bildmedien ausgedehnt – aber selten sahen Welten so unvereinbar aus, wie auf den vielen Schnappschüssen. Andererseits: Wer heute einer Schulklasse in einem Museumssaal begegnet, versteht, dass sich, wo I-Phone und Samsung draußen bleiben müssen, die Kinder lieber vor dem Eingang an ihre Stromkabel ketten würden. Wer davon ausgeht, dass Kunsttempel niedrigschwellig gebaut sein müssen, der sollte sich fragen, was genau dagegen spricht, im Museum die Kommunikation zu dimmen – wo in ein paar Jahren wahrscheinlich ohnehin die Datenbrille alles dokumentieren wird. Und es käme wohl jetzt schon einer ganzen Generation absurd vor, sich ausgerechnet in der Freizeit vom Datenstrom abzukoppeln, den sie den ganzen Tag bedienen. Warum ausgerechnet im Museum, wo es dort doch angeblich so viel zu sehen und zu diskutieren gibt, das sich ins große Netz einspeisen lässt.
Ohnehin ist es lange her, dass das erste Bild, dem man am Museum begegnete, das Piktogramm mit der durchgestrichenen Kamera war: Die meisten deutschen Häuser gestatten es, dass man in ihren Sammlungen fotografiert, allein in Sonderausstellungen, die ja vor allem Leihgaben zeigen, bleibt es untersagt – oder da, wo Künstler sich sperrig zeigen. Während David Hockney noch vor einigen Jahren im Kölner Museum Ludwig sogar Journalisten komplizierte Verträge unterschreiben ließ, ist die jüngere Generation einladend: Der Brite Phil Collins, der dort jüngst mit Bildschirmen bestückte Wohnwagen aufbaute, wünscht sich sogar, dass möglichst viele Besucher die auch fotografieren und filmen. Grenzen zieht man nur noch, wo die Kunst gefährdet ist – im Münchner Museum Brandhorst herrscht Fotografierverbot, seit jemand beim Fotografieren Katharina Fritschs Warenregal voller Madonnen umschubste.
Normalerweise sind Ausstellungsstücke zum Betrachten gedacht. Das "MuseumSelfie" rückt den Betrachter in den Mittelpunkt.
Das Frankfurter Städel gibt sich dagegen als Avantgarde. Nur wenige Stunden vor Beginn des #MuseumSelfie day erläuterte Direktor Max Hollein Zukunftsperspektiven auf einem Panel der Münchner Digital-Life-Design Conference mit dem Titel „From Museum to Playstations“. In Holleins Haus steht ab Mitte des Jahres allen Besuchern ein kostenfreier Wireless-LAN Zugang zur Verfügung. „Es wird künftig den Besuchern ermöglicht, ihre Eindrücke, Erlebnisse oder Lieblingswerke über soziale Netzwerke schon im Museum zu teilen“, heißt es in der Ankündigung. Zudem werde das Museum einen Instagram-Account eröffnen, „so dass das Medium Bild noch stärker in die Kommunikation mit den Besuchern eingebunden wird“. Die gleichfalls von Hollein geleitete Kunsthalle Schirn hat es schon im vergangenen Herbst als Erfolg verbucht, dass Besucher der Ausstellung „Street-Art Brazil“ über einen Hashtag Bilder posten und Teil einer Echtzeit-Pinnwand im Foyer werden konnten. Man unterhält einen eigenen Kanal auf Youtube, Smartphone und Tablet sind im Städel willkommen, allein Blitz und Stativ müssen vor der Tür bleiben. Die alte Fototechnik mit künstlichem Licht und staksigem Equipment ist gefährlich für Leinwand und Skulptur.
Vorbild der neuen Offenheit fürs Technische in Deutschland könnte eine Aktion des New Yorker Metropolitan Museums gewesen sein, das schon vor einigen Jahren Anzeigen mit dem Slogan überschrieb „Es ist Zeit, dass wir uns getroffen haben“ und dazu Besucher abbildete, die sich im Met fotografiert hatten. Was man als direkte Einladung verstehen kann, zwischen Raffael und Picasso genauso ungezwungen die Parallelwelt des Internets mit dem eigenen Lifestream zu bedienen, als bummele man gerade durch eine Fußgängerzone, in der eine Werbeaktion läuft. Amerikanische Museen haben nicht nur weniger Vorbehalte – sie setzen schon etwas länger darauf, dass das Museum zur Destination wird, wo es weniger um Bildung und mehr um Bilderschätze geht. Das Metropolitan Museum zählt übers Jahr inzwischen 6,5 Millionen Besucher und gilt damit als wichtigstes Touristenziel in New York, das werden die Marketing-Strategen europäischer Museen nicht übersehen haben. Profitiert neben der PR auch die Museumspädagogik? Die Psychologin Linda Henkel aus Connecticut hat kürzlich nachgewiesen, dass sich Studenten im Museum besser an die Bilder erinnern, die sich nicht fotografieren durften. Für Eric Gibson, Autor des The New Criterion ist nicht nur die Erinnerung einzelner in Gefahr, sondern das Museum insgesamt beschädigt, wo es sich den Selfies öffnet. Wer aus dem Ausstellungssaal Selbstporträts verschicke, dem gehe es doch überhaupt nicht mehr um die Kunst, schreibt er unter dem Titel „The Overexposed Museum“. „In vordigitalen Zeiten war das Kunstwerk das Subjekt. Jetzt ist es der Besucher; das Kunstwerk ist sekundär“. Die Aussage so eines Erinnerungsfotos sei nicht mehr länger „ich habe gesehen“, sondern das schlicht touristische „ich war da“. Und tatsächlich drängeln sich vor allem vor prominenten Gemälden wie der Mona Lisa im Pariser Louvre einige, die lange anstehen, nur um sich in dem Moment, in dem sie der Gioconda am nächsten sind, rasch wegzudrehen und die Kamera auf sich zu richten. Jan van Eyck, Raffael, Michelangelo oder Dürer seien diesem Publikum genauso unterschiedslos Attraktionen, wie draußen der Eiffelturm oder das Weiße Haus, schreibt Gibson, und schon deswegen genügte es diesen Weltenbummlern, von der Kunst genau so lange inne zu halten wie vor jedem anderen Etappenziel.
Und das missfällt Gibson grundsätzlich: Zur Kunstbetrachtung gehöre es nun einmal, dass man eben tatsächlich auch die Kunst anschaut, konzentriert. Und darauf, so schreibt Gibson, müsse das Museum selbst bestehen, es gehe nicht nur um das Werk, sondern auch um eine kulturelle Praxis, die man seinem Publikum vermitteln müsse. Im Konzertsaal oder vor der Theaterbühne werde man auch nicht nur mit der Aufführung konfrontiert, sondern, nebenbei, auch mit der Etikette; damit, wie man sich zwischen Loge und Parkett verhält. Wer hustet geht besser, Bonbonpapier darf nicht rascheln, Mobiltelefone müssen ausgeschaltet bleiben. Museen „sind auch die Hüter von etwas anderem: der Kunsterfahrung. Sie ist nicht gegeben und kann nicht vorausgesetzt werden. Sie ist das Ergebnis bestimmter Bedingungen, die von einer Institution vorgegeben werden“.
Ist so viel antiquierte Vernunft dem Museumsgeschäft überhaupt noch bewusst, das selbst seit Jahren am liebsten auf ansteigende Besucherkurven starrt, wo es den Fokus auf sich selbst richtet? Die Dauer des Besuchs – sie liegt im Schnitt zwischen zehn und neunzig Minuten – wird in diese Zahlen nicht eingerechnet. Museumsneubauten wie das MAXXI in Rom, von der Flughafen-erprobten Zaha Hadid entworfen, entrollen sich wie ein schnell organisierter Transitbereich . Max Hollein will künftig wieder strenger zwischen der konzentrierten Stille im Museumstempel und dem Ausbau der digitalen Benutzeroberfläche differenzieren. „Ich bin ganz konservativ. Neben den Bildern soll nicht mit Smartphones gespielt werden. Aber wir haben online die Möglichkeit, weit über die physischen Begrenzungen des Hauses hinaus zu gehen.“
Immerhin, das Museum, das hier auf Sendung geht, kann sich endlich ein Bild von seinem Publikum machen. Auf Twitter.