Protest unerwünscht: Polizisten führten während der Verhandlung Unterstützer Xu Zhiyong ab, die in der Nähe des Gerichtsgebäudes ausharrten.
Der Rechtsanwalt Xu Zhiyong, einer der prominentesten Bürgerrechtler Chinas, ist am Sonntag in Peking zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Der als moderat geltende Xu hatte zuletzt für die Offenlegung der Vermögensverhältnisse von Beamten und Funktionären der Kommunistischen Partei gekämpft. Das Gericht befand den 40-Jährigen für schuldig, mit der Organisation von „Menschenansammlungen die öffentliche Ordnung gestört“ zu haben. Menschenrechtsgruppen verurteilten das Verfahren als Schauprozess. Amnesty International nannte den Prozess eine „Schande“, der Asiendirektor von Human Rights Watch (HRW) sprach von einer „Farce, die der Anti-Korruptions-Kampagne des Staatspräsidenten Hohn spricht“. Am Sonntagabend wurde zudem bekannt, dass Chinas Staatssicherheit Hu Jia abgeführt hatte, einen weiteren prominenten Aktivisten.
Der am Sonntag verurteilte Xu Zhiyong ist Mitbegründer der 2012 ins Leben gerufenen „Neuen Bürgerbewegung“. Neben Xu waren in der vergangenen Woche sechs weitere Mitglieder der Bewegung vor Gericht gestellt worden. Einer der Angeklagten, der Milliardär und Philanthrop Wang Gongquan, wurde gegen Kaution freigelassen. Es sind die bedeutendsten Prozesse gegen Bürgerrechtler seit dem Verfahren gegen den Schriftsteller Liu Xiaobo 2009, der ein Jahr später den Friedensnobelpreis zugesprochen bekam und bis heute im Gefängnis sitzt.
„Xu ist unschuldig“, sagte sein Anwalt Zhang Qingfang der Süddeutschen Zeitung. „Er hat immer auf friedliche und rationale Weise in der Bürgerbewegung gearbeitet, selbst ein Tag in Haft wäre inakzeptabel.“ Das Urteil sei ein „Schlag ins Gesicht für alle Aktivisten, die für eine gemäßigte Botschaft standen“, sagte Maya Wang von HRW. Sein Anwalt zitiert Xu Zhiyong mit den Worten, das Urteil zerstöre „den letzten Rest an Würde, den Chinas Justiz noch hatte“. Xu habe seinen Richtern gesagt: „In den vergangenen zehn Jahren hat die Gesellschaft Fortschritte gemacht, aber nicht das autoritäre System.“
Die Inhaftierung und der Prozess kommen ziemlich genau ein Jahrzehnt nachdem Xu Zhiyong einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde: Im Jahr 2003 hatte er gemeinsam mit Mitstreitern einen Appell an die Staatsführung veröffentlicht, einem System das Ende zu bereiten, das es der Polizei erlaubte, Bürger willkürlich zu inhaftieren und deportieren, bloß weil sie nicht in einer Stadt registriert waren. Tatsächlich schaffte die Regierung kurze Zeit später das System ab. Später setzte sich Xu für die Opfer des Milchpulverskandals 2008 ebenso ein wie für Kinder von Wanderarbeitern, denen in den großen Städten Chinas bis heute der Zugang zu Bildung verwehrt wird. In seinem Prozess hatte Xu darauf verzichtet, sich selbst zu verteidigen. Er blieb stumm aus Protest gegen die Richter, die es seinem Anwalt unter anderem verwehrt hatten, Zeugen aufzurufen. Allerdings hatte er ein Schlussplädoyer vorbereitet, dessen weitere Verlesung ihm der Richter allerdings nach nur zehn Minuten untersagte.
Xus Plädoyer fand jedoch schnell den Weg ins Internet, wo es weiter verbreitet wurde. Es ist ein Manifest für einen friedlichen Wandel in China, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für eine Gesellschaft, die in „Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe“ leben soll. Xu warnt vor der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit in China, vor der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich und der grassierenden Korruption. Vor allem den Kampf gegen diese hatte sich die von ihm 2012 mitbegründete „Neue Bürgerbewegung“ auf die Fahnen geschrieben. Der Zorn auf korrupte Funktionäre ist groß in China, die Bewegung war schnell gewachsen, zählte zuletzt mehr als 5000 Mitglieder. In mehreren Städten machte sie mit kleinen Protesten von jeweils kaum mehr als ein paar Dutzend Teilnehmern auf sich aufmerksam, welche immer wieder die Parteifunktionäre zu Transparenz aufforderten. In der Urteilsbegründung hieß es, die Umstände seien „schwerwiegend“, unter anderem, weil Demonstranten „Banner entfaltet“ und „Chaos“ geschaffen hätten. Das Urteil gilt Menschenrechtlern als Warnsignal an alle, die versuchen, sich als Zivilgesellschaft außerhalb der Partei zu organisieren.
In seinem Plädoyer erwähnt Xu Zhiyong seinen christlichen Glauben, zudem spricht er über die Geburt seiner Tochter, die am 13.Januar zur Welt kam. „Meine Entscheidung kommt zu einer Zeit, da mein Kind gerade erst geboren wurde, da meine Familie mich am meisten braucht und ich mich an ihre Seite sehne. Nach Jahren, in denen ich Zeuge des bitteren Kampfes der Unschuldigen und Unterdrückten wurde, bin ich nicht in der Lage, Herr meines eigenen Kummers zu sein – ebenso wenig kann ich, so sehr ich auch möchte, schweigen.“