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Herzschmerz für 89 Cent

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Immer mehr Autoren verkaufen ihre selbst publizierten Werke auf Amazon.

Alle zehn Spitzenreiter stammen von Autorinnen, jedenfalls werden sie unter weiblichen Autorennamen angeboten. Sie tragen Titel wie „Beim zweiten Mal küsst es sich besser“, „Mad about you – erotische Novelle“ oder „Kalter Zwilling: Thriller“, und manchmal bündeln sie die Genres wie „der erotische Liebeskrimi“ von Greta Schneider unter dem Titel „Herzgefängnis“. Sie kosten zwischen 89Cent und 3,99 Euro.

Niedrigpreis-Segment plus Herz-Schmerz-Softporno-Thriller, das klingt, als sei die Amazon-Liste ein Beleg für eine besondere Nähe von Selfpublishing und Trash. Es gibt aber diesen Trash längst in den Taschenbuchprogrammen der Print-Verlage. Und umgekehrt ist das Selfpublishing nicht auf den Trash-Sektor beschränkt. Der Erfolg der „Fifty Shades of Grey“-Trilogie der britischen Autorin E.L. James, gerade in der E-Book-Version, wurde gelegentlich als Zeichen einer besonderen Nähe des E-Book zum Trash gedeutet, aber längst bildet sich im E-Book-Sektor das gesamte Qualitätsspektrum der Bücherwelt ab.

Das Selfpublishing erscheint auf den ersten Blick als Do-it-yourself-Bewegung. An der Grenze zum Markt wird das „Selbst“ aber häufig ein Mischwesen aus Individuum und großen Konzernen. Über das „Kindle Direct Publishing“ (KDP) bietet Amazon Autoren an, ihre E-Books kostenfrei als Downloads zu vertreiben. Auch der Holtzbrinck-Konzern hat inzwischen eine Selfpublishing-Plattform. Die Autoren können 70 Prozent der Nettoeinnahmen erhalten, das ist deutlich mehr als die zehn Prozent, die Autoren in der Regel bei einem Vertrag für ein gedrucktes Buch bekommen. Aber die Kosten haben die Autoren vorher. Denn die E-Books müssen, was Cover, Layout und dergleichen betrifft, in vermarktungsreifem Zustand angeboten werden.

Die reine Digitalisierung ist nicht der Hauptkostenfaktor, für Lektorat und Korrektur sind 800 bis 1200 Euro einzukalkulieren, für das Cover 50 bis 300 Euro. Das heißt: Elemente der Verlagsarbeit wandern in das Selfpublishing ein. Die Lektoren und Buchgestalter der „Selfpublisher“ sind nicht selten entlassene Profis aus der Verlagsbranche.

Früh haben Autoren wie Rainald Goetz erkannt, wie gut sich eine Wechselwirtschaft von Schreiben im Netz und Publikation gedruckter Bücher betreiben lässt: Sein Blog „Abfall für alle“ war erst im Netz, dann als Buch erfolgreich. Noch ist das öffentliche Prestige des Autors stark vom gedruckten Buch abhängig. Aber ökonomisch kann das Selfpublishing schon attraktiv sein, ehe man sich damit einen Namen als Autor macht.

Nicht erst seit den jüngsten Buchmessen ist das Selfpublishing auch in der öffentlichen Wahrnehmung auf dem Weg zur Professionalisierung. Amazon als Vermarkter ist gewiss nicht die Einlösung der alten Idee vom Selbstverlag. Noch feiert das Selfpublishing mit dem erotischen Liebeskrimi Erfolge. Dabei muss es nicht bleiben. Es kann auch besser werden.

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