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Klotzbrocken

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Am Sonntag wird der Uni-Turm Geschichte sein. An der frei werdenden Stelle sollen neue Türme gebaut werden.

Wäre der Beton-Turm in der Mitte von Frankfurt ein Stück kürzer, würde sich das Interesse an seinem Schicksal in Grenzen halten. Aber der Klotz ist nun einmal 116 Meter hoch. Er ist keine Augenweide, beileibe nicht, sondern verschrien bei den Einheimischen, aber auch bei Abertausenden junger Leute, die seit Anfang der 70er Jahre dort vor allem Gesellschaftswissenschaften, Pädagogik und Psychologie studierten. Am Sonntag soll der Brutalismus-Bau in die Luft gejagt werden. Zum Ende seiner Existenz schreibt der AfE-Turm (AfE ist die Abkürzung für Abteilung für Erziehungswissenschaften) sogar Geschichte: Nie zuvor wurde in Europa ein höheres Gebäude gesprengt.

Tausende Schaulustige werden zu dem Spektakel erwartet; Spreng-Touristen, sozusagen, die manchmal lange Wege in Kauf nehmen, um Augenzeuge einer Zerstörung zu sein. Die interessiert die Geschichte des Bauwerks weniger, viel mehr schon die Frage, ob man anständig zuschauen und fotografieren kann. Dabei wird vor ihren Augen eines der, wenn man so will, größten inoffiziellen Graffiti-Archive der Bundesrepublik Deutschlands verschwinden.

Denn der Turm mit seinen 38 Stockwerken wurde von Studentengenerationen bemalt, verziert und ja, beschmiert. Die Foyers, die Toiletten, Wände, Spinde, alles übersät mit Parolen und Kritzeleien, manche künstlerisch, viele belanglos, etliche politisch, andere amüsant, daneben natürlich auch viel dummes Zeug. Schon die ersten Studenten, die 1972 einzogen, hinterließen an den Wänden ihre Spuren, die junge Leute heutzutage kaum noch deuten können. „Keinen Pfennig für das Thieu-Regime“, steht in roten Lettern an einer Wand. Thieu? War der Präsident des mit den USA verbündeten damaligen Südvietnams, der um keinen Preis Frieden mit dem Norden des Landes schließen wollte. Er verließ sein Land 1975.

Später kamen die Solidaritätsbekundungen für die Mitglieder der Terrorgruppe RAF hinzu, Grüße an die damals Hungerstreikenden, Kapitalismuskritik in allen Formen. Und einige der Kritzler waren auch witzig, zumindest nicht bierernst. Der Mahnung eines Vegetariers: „Esst kein Fleisch“, fügte ein anonymer Schreiber hinzu: „Ohne Barbecue-Sauce.“ Und vor gut einem Jahr, als das Ende des Turms schon beschlossene Sache war und der Umzug der Studenten auf den neuen Campus der Wolfgang-von-Goethe-Universität ins Frankfurter Westend besiegelt, erhielt der Klotz eine geradezu poetische Widmung. In einer nächtlichen Aktion schleppten Studenten Farbtöpfe die Treppen hoch und malten in weißen Lettern das Wort „Elfenbein“ auf die Fassade.

Freiheit für die Wissenschaft, jenseits ökonomischer Zwänge – das war die eine Botschaft. Die zweite Botschaft: Scheußliches Gebäude, aber eben doch unser Elfenbeinturm.

Ansonsten kann man dem Bau keine großen Komplimente machen. Konzipiert wurde er für 2500 Menschen, schon in den ersten Jahren war er überfüllt und genaugenommen eine Zumutung. Sieben Fahrstühle sollten Studenten und Lehrende in die Höhe bringen, wobei nicht jeder Aufzug jedes Stockwerk anfuhr. Mindestens zwei Lifte waren stets defekt oder wurden repariert, lange Schlangen vor den Türen gehörten zur alltäglichen Qual der Studenten. Eine Uni-Mitarbeiterin verlor im Jahr 2005 ihr Leben in den Schreckens-Aufzügen. Ihr Lift blieb stecken, sie geriet in Panik, versuchte, zwischen zwei Stockwerken aus der Kabine zu klettern und stürzte in den Schacht.

Was im Fall eines Brandes im Turm passiert wäre, mag sich niemand ausmalen. Stimmt, von den oberen Etagen war der Ausblick wunderbar. Aber die Fenster ließen sich, wie sich ehemalige Studenten erinnern, nicht öffnen. Dankenswerterweise. Sonst hätte man sich, wie sie schauernd sagen, herausgestürzt. Trauer? Nein, keine Trauer. Sondern Erleichterung.

Seit vergangenem Jahr steht der Turm leer, die Fakultäten sind umgesiedelt. Erst sollte er Stück für Stück abgetragen werden, doch die Anwohner protestierten ob des Lärms. Also wird nun gesprengt, am Sonntag um 10 Uhr soll es soweit sein.

Der Sprengmeister kommt aus Bayern, ein Meister seines Fachs, Eduard Reisch, der schon viele Gebäude zum Einsturz brachte, in seiner Heimat auch bekannt als „Krater-Edi“. Vom Dach des nahegelegenen Marriott-Hotels wird Reisch mit einem elektronischen Funksignal die Sprengladungen zünden. Etwa 950 Kilogramm Sprengstoff haben Experten in den vergangenen Tagen in mehr als 1400 Bohrlöcher im Gebäude gestopft. Der Turm soll in zwei Stufen fallen: Erst die Pfeiler, dann der Kern des Gebäudes. Angeblich wird man keine Detonationen spüren. In einem nahegelegenen Labor, so hat es der Sprengmeister versprochen, wird, wenn alles gut geht, nicht ein einziges Gläschen umfallen.

Auch dem Senckenberg-Museum, den umliegenden Wohnhäusern und den U-Bahn-Röhren soll nichts passieren, sagen die Experten. Ganz aus der Nähe wird kaum ein Schaulustiger die Aktion beobachten können. Um den Turm herum wird eine Schutzzone von 250 Metern errichtet. Logenplätze der besonderen Art bot das Marriott-Hotel an – Zimmer mit direktem Blick auf den Turm, für knapp 200 Euro für die Nacht zum Sonntag. Alle längst ausgebucht. Für den letzten Blick auf den Frankfurter Elfenbeinturm.

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