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Gefahr für die Teflon-Ökonomie

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Manchmal ist Jatinder Malhotra froh, wenn er bis zwölf Uhr mittags wenigstens einen Kunden in seinem Laden begrüßen darf. Die Geschäfte laufen schlecht. „Da muss man gar nicht viel herumreden“, sagt er. Wären die Zeiten anders, hätte der Textilunternehmer, der in Thailand produziert, kaum Zeit für dieses Gespräch. Einer seiner Läden liegt an der Hauptgeschäftsmeile Sukhumvit und ist sonst gut besucht. Hemden und Anzüge – dafür ist er bei seinen Kunden bekannt. Jetzt bestellen manche zwar noch übers Internet, aber die Umsätze sind doch eingebrochen, weil keiner mehr hereinschaut. Vor seiner Tür sind jeden Tag Demonstranten unterwegs und keine Kunden.

Malhotras Familie kam einst aus Indien nach Südostasien. „Thailand war immer ein guter Platz für das Geschäft“, sagt Malhotra. Und leben ließ es sich auch prima. Aber jetzt macht er sich Sorgen, weil ein Ende der seit November dauernden politischen Krise nicht abzusehen ist. Auslöser war ein mittlerweile zurück genommenes Amnestiegesetz, das dem Bruder von Übergangs-Regierungschefin Yingluck Shinawatra, Ex-Premier Thaksin Shinawatra, eine Rückkehr aus dem Exil erlaubt hätte.

Frustrierte Händler findet man überall dort, wo die Blockade der Regierungsgegner in Bangkok die Geschäftszeilen seit Wochen stören. Flohmärkte und Garküchen haben diese Gegenden erobert, die an

Demonstranten Tausende Fähnchen, T-Shirts und Trillerpfeifen verkaufen oder sie mit gebratenen Fleischspießchen und Obst bei Laune halten. Doch von der Krise profitiert nur eine kleine Schicht, die ihre Nische gefunden hat.



Auch zwei Tage nach den umstrittenen Neuwahlen protestieren die Thailänder gegen die Regierung.

Was aber bedeutet die politische Krise für die gesamte Ökonomie dieses Landes, das einst als dynamischer Tigerstaat von sich reden machte, in der Asienkrise Ende der neunziger Jahre tief stürzte und sich doch wieder aufgerappelt hat? Leiden die meisten Geschäfte wie das von Textilunternehmer Malhotra? Davon ist bislang noch nichts zu spüren. Thailand galt als recht robuster Standort, vor allem für die industrielle Fertigung. Die zyklisch auftretenden innenpolitischen politischen Krisen des vergangenen Jahrzehnts konnten ihr kaum etwas anhaben. Das hat Thailand als „Teflon-Ökonomie“ bekannt gemacht.

Politische Stürme, wie zuletzt 2007 und 2010, hat die Wirtschaft also recht gut verkraftet. Eine kurze Delle war zu spüren – viel mehr aber auch nicht. „Die Industrie in diesem Land hat bewiesen, wie stark sie ist“, sagt Jörg Buck, Geschäftsführer der deutsch-thailändischen Handelskammer, bei einem Gespräch in Bangkok. „Sie lässt sich durch politische Unruhen nicht so schnell ins Wanken bringen.“

Doch was geschieht, wenn es auf längere Sicht keine politische Lösung gibt und sich die Gräben im Staat weiter vertiefen? Wird der Teflon-Effekt auch dann noch die Wirtschaft schützen? Die meisten Analysten rechnen damit, dass die Regierungskrise noch mehrere Monate anhalten wird. Dann würde Thailands robuste Wirtschaft doch vor einem harten Test stehen. Im Falle einer längeren politischen Lähmung warnt Yongyuth Chalamwong, Direktor des Thailand Development Research Instituts, vor geringerem Wachstum und wachsender Arbeitslosigkeit. Besonders junge Menschen, die jetzt mit ihrer Ausbildung fertig sind, wären davon betroffen. Bislang wird noch mit einem Wachstum zwischen drei und vier Prozent gerechnet.

Hinzu kommt, dass die politische Krise in eine Zeit fällt, in der sich viele Schwellenländer auf der Welt vor dem Ende der lockeren Geldpolitik der US-Zentralbank fürchten. Sie müssen damit fertig werden, dass womöglich große Mengen Kapital aus den aufstrebenden Staaten wieder abfließen. Doch die rivalisierenden Eliten des Landes sind abgelenkt durch ihren zähen Machtkampf, der unentschieden ist. Übergangspremier Yingluck Shinawatra kämpft ums politische Überleben, alte Netzwerke mit teils engen Verbindungen zum Königshaus versuchen, sie zu stürzen.

Investoren beobachten dies mit Unbehagen, auch wenn sie dies nur selten offen artikulieren. Der Automobilhersteller Toyota, der mehr als 800 000 Autos im Jahr in Thailand fertigt, warnte jüngst davor, dass er Investitionspläne im Umfang von 600 Millionen Dollar vielleicht noch mal überdenken müsse, sollte sich die Krise fortsetzen. Geplant war, die Produktion um weitere 200 000 Autos im Jahr zu erhöhen. Thailands Ruf als „Detroit of Asia“ dürfte unter einem möglichen Rückzieher leiden.

Es ist aber auch nicht so, dass die Investoren alle panisch davon laufen würden. Dafür ist Thailand als große und erfolgreiche asiatische Exportnation doch zu attraktiv. Seine strategische Lage in der Wachstumszone Südostasien ist einzigartig. „Wir hatten erst diese Woche wieder interessierte Unternehmer hier, trotz der Krise“, sagt Jörg Buck. Thailand bringt Produzenten viele Vorteile, sie schätzen hier eine gute Infrastruktur und ein vergleichsweise niedriges Lohnniveau. Automobilbauer, chemische Betriebe, Pharmaunternehmen, Umwelttechnik und Maschinenbau – all diese Branchen haben Thailand als wichtigen Standort entdeckt.

Die Unruhen haben aber Auswirkungen: Der Chemiekonzern BASF teilte der Süddeutschen Zeitung mit, dass die „Entwicklung der Proteste in Bangkok unabsehbar sei“ und die Firma einige Geschäftsreisen eingestellt habe. Auch andere Firmen haben Besuchstermine von Spitzenmanagern abgesagt. Gleichwohl bekräftigt BASF, dass die Produktion an allen Standorten in Thailand weiterhin normal läuft.

Offenkundig sind bislang die Verluste für den Tourismus, Buchungen in Europa und Nordamerika gehen zurück. Fachleute aus der zuständigen Behörde rechnen mit einem Rückgang um zehn Prozent. Für manche ist dies noch zu optimistisch geschätzt. Hotels in Bangkok, die normalerweise in diesen Wochen gut gefüllt sind, klagen über schlechte Auslastungen, manchmal liegt sie nur bei 30 Prozent.

Viele Asien-Freunde allerdings, die auf ihren Thailand-Urlaub nicht verzichten wollen, umgehen einfach die Metropole. Im bergigen Norden in der Stadt Chiang Mai freuen sich Hoteliers kurioserweise über eine Auslastung, die höher liegt als in allen fünf Jahren zuvor, wie Phanut Thanalaopanich vom thailändischen Hotelverband erklärt. Und auch die Strände von Phuket, Krabi und Koh Samui sind keineswegs leergefegt. Manche finden es recht bemerkenswert, dass so viele Gäste ihre Reisen trotz politischer Unsicherheit und aufflammender Gewalt nicht storniert haben.

Die Regierung kann den Bauern keinen Reis abkaufen, weil die Banken die Kredite stoppten

Teflon-Thailand? Es ist andererseits nicht zu übersehen, dass die politische Krise auch direkte ökonomische Auswirkungen hat: Probleme, die untrennbar mit der Ohnmacht der Regierung zu tun haben. Beispiel Landwirtschaft: Da Yingluck Shinawatra in den vergangenen Wochen nur eine Übergangsregierung leitete, haben ihr die Banken Kredite verweigert, die nötig sind, um den Bauern im Land Reis zu einem subventionierten Preis abzukaufen. Damit will die Regierung den Wohlstand in den ländlichen Gebieten heben. Nun werden die Bauern von Tag zu Tag verzweifelter, weil sie ohne Geld dastehen und nicht anpflanzen können. Beispiel Verkehr: Ein 64 Milliarden Dollar schweres Infrastrukturprojekt liegt auf Eis. Es sollte Thailands geostrategische Lage ausnutzen und Südostasien durch neue Verkehrswege miteinander vernetzten, vor allem durch neue Schnellzugtrassen. Diese gehören zu einem noch größeren Plan, China mit einem Schnellzug an Singapur anzubinden.

Die Krise dämpft auch die Chance auf einen baldigen Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EU. „Die Aussichten auf einen äußerst raschen Abschluss waren exzellent“, sagt ein Insider. Doch jetzt gibt es keine Regierung in Bangkok, mit der man weiter verhandeln kann. Die belagerte Premierministerin, die am Sonntag umstrittene vorgezogene Neuwahlen abhalten ließ, wird wegen der Blockaden auf absehbare Zeit keine Regierung bilden können – wenn es ihr überhaupt gelingt, sich an der Macht in Bangkok zu halten.

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