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Pleite sein ist eine tolle Motivation

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Der so geniale wie launische David O. Russell, Regisseur von „The Fighter“ und „Silver Linings“ ist mit seiner Gauner-Groteske „American Hustle“ gerade zum dritten Mal in Folge für den Oscar nominiert. Beim Treffen hat er einen langen Vormittag Berlinale-Zirkus hinter sich und sitzt nun leicht störrisch in einer Hotelsuite am Gendarmenmarkt, wo er gleichzeitig in einer Zeitschrift blättert und in sein Smartphone hackt. Die ersten Fragen werden fast nur mit „Yes“ oder „No“ beantwortet, bis er plötzlich aufblickt und seine Augen leuchten: „Kennen Sie die Szene in „Chinatown“, wo Faye Dunaway Jack Nicholson die gebrochene Nase verbindet und ihn fragt, ob es weh tut? Wissen Sie, was er dann antwortet?“ Eine Quizfrage für den Fragensteller, die Antwort entscheidet, ob es an diesem Nachmittag noch zu vollständigen Sätzen kommen wird. Aber man kann ja auch mal Glück haben. Nicholson antwortete lakonisch: „Nur wenn ich atme“. Russel wirft quietschvergnügt sein Handy auf den Sofatisch, nuckelt an seiner Cola-Flasche und hat jetzt sehr große Lust sich zu unterhalten. „Ihr meint das hier in Deutschland wirklich ernst mit dem Kino, oder?“



Russell auf dem roten Teppich der Berlinale

SZ: Was hat Sie an der „American Hustle“-Story, die auf einer wahren Begebenheit beruht, so fasziniert?

David O. Russell Ich suche immer nach Charakteren, bei denen man eine richtige Maulstarre vor Staunen bekommt, wenn man von ihnen hört. Menschen, die man gar nicht richtig beschreiben kann, sondern die man zeigen muss. Und als ich das Drehbuch von Eric Warren Singer las, fand ich genau das Personal, das ich immer suche. Denn neben den ganzen schrägen Gaunereien ist doch das eigentlich Spannende an dieser Geschichte, dass dieses Gaunerpärchen, gespielt von Amy Adams und Christian Bale, tatsächlich auch noch ineinander verknallt war.

Die Liebesgeschichte ist immer am Wichtigsten?

Klar, das ist wie in „Bonnie und Clyde“. Liebe ist doch der Grund, warum man überhaupt ans Leben glaubt und jeden Tag aufsteht. Die Leute in „American Hustle“ sind ja nicht nur Soziopathen und Kriminelle, das sind vor allem liebende Menschen. Und Menschen, die sich verlieben – oder noch besser: die vielleicht noch gar nicht gemerkt haben, dass sie sich verliebt haben – das sind Charaktere, die mich interessieren.

Das verbindet auch Ihre letzten drei Filme, das Boxerdrama „The Fighter“, die Feelgood-Comedy „Silver Linings“ und „American Hustle“. Würden Sie sagen, diese drei Filme bilden eine Art Trilogie, so unterschiedlich sie auch sein mögen?

Absolut. In allen dreien geht es darum, zu überleben, sich neu zu erfinden, die Liebe möglich zu machen. Das war nie als Trilogie geplant, es ist einfach passiert, aber jetzt sehe ich das auch so. „American Hustle“ ist das Destillat der beiden Vorgängerfilme. So einen Film kannst du nicht planen. Die „Fighter“-Darsteller Christian Bale und Amy Adams wollten unbedingt mit den „Silver Linings“-Darstellern Jennifer Lawrence und Bradley Cooper arbeiten, und umgekehrt. Das war dann für alle ein ziemliches Wow-Erlebnis. Die Herausforderung für mich war es, sie so zu zeigen, wie man sie noch nie zuvor gesehen hat.

Dafür haben Sie das Drehbuch gemeinsam mit Ihren Schauspielern weiterentwickelt.

So ein Ding wie „Hustle“ kannst du gar nicht alleine schreiben. Es hat mir geholfen, Christian Bale, Bradley Cooper, Amy Adams und Jennifer Lawrence zuhause zu besuchen und mit ihnen gemeinsam die Dialoge zu entwickeln. Mit Robert De Niro, der in einer großartigen Gastrolle zu sehen ist, habe ich das ebenfalls gemacht, am Telefon. Da spürt man dann eine gemeinsame Sehnsucht, diese Geschichte erzählen zu wollen, das ist überhaupt nichts Künstlerisch-mystisches, sondern ein sehr klarer, bewusster Prozess.

Keine geheimen Kräfte am Werk?

Wissen Sie, irgendwann habe ich gelernt: Not macht erfinderisch. Pleite zu sein ist zum Beispiel eine super Motivation um eine Geschichte zu erzählen – ganz ohne Bullshit. Wenn du Alimente zahlen musst, wenn du ein Haus abbezahlen musst, so wie mir das nach der Scheidung von meiner Frau ging, dann ist das wie eine Knarre an deinem Kopf, mit dem Befehl: Erzähl jetzt verdammt noch mal eine gute Geschichte! Kein Rumgeeiere. Als wäre es dein letzter Film.

Ihre Inspiration füttern Sie dabei gern mit Zitaten aus der Filmgeschichte.

Filmklassiker sind doch wie Songs, die einem ans Herz gewachsen sind. Und da sage ich eben: Die Stimmung will ich jetzt genau wie in diesem einen Song oder Film haben. John Lennon hat uns beigebracht, dass es vollkommen in Ordnung ist, beim Schaffen eines neuen Kunstwerks einen anderen Künstler im Kopf zu haben. Denn am Ende wird es ja trotzdem dein eigenes Ding sein. Und ein wichtiger Film, der für mich einen ganz bestimmten Sound heraufbeschwört, ist zum Beispiel „Chinatown“.

„American Hustle“ ist so rhythmisch erzählt, das der Film fast schon als Musical durchgeht.

Ja, ja, ja! Ich denke mittlerweile immer rhythmischer. Duke Ellington war ein unheimlich wichtiger Einfluss für mich. Und alle singen tolle Songs in diesem Film. Bradley Cooper und Jeremy Renner legen sogar ein „Delilah“-Duett hin. Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mal so etwas mache.

Diese Einlagen sind auch ein Grund, warum Ihre Filme selbst in den dramatischsten Momenten sehr humorvoll sind. Nur Zynismus scheinen sie streng zu meiden.

Ich habe ein sehr romantisches Interesse am Leben und am Kino. Zynismus ist billig, eine Ausrede, ein Fake. Es ist einfach, so zu tun, als wäre einem alles egal. Als wäre alles im Leben Mist, über den man sich lustig machen kann. Mich interessiert aber, warum Leute das Leben und die Liebe ernst nehmen. Warum leben sie, warum lieben sie, was gibt ihnen Energie?

Wenn man sich „American Hustle“ ansieht, scheint es, als ginge Ihnen diese Energie bei Ihren Frauenfiguren derzeit besonders gut von der Hand.

Frauen sind das Geheimnis von großem Kino. Wegen denen macht man das doch alles. Ich hatte in meinem Leben mit vielen starken Frauen zu tun, die setzen deinen Hintern schon in Bewegung, und davor habe ich großen Respekt. Männer sind viel zu vorhersehbar, aber Frauen: Da weißt du nie, was als nächstes kommt. Genial!


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