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Wie der Vater, so der Sohn

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Es ist der Albtraum der Mittelschicht: Man ist beruflich einigermaßen etabliert, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus – da müssen die Eltern ins Heim. Und wenn Rente und Pflegesatz nicht reichen, dann kann das Sozialamt Regress nehmen. Denn Familiensolidarität gilt in beide Richtungen: Erwachsene Kinder haften eben auch für ihre Eltern.



Pflegeheime können zur finanziellen Belastung werden

Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Elternunterhalt wirft ein Schlaglicht auf diese Situation, die in den kommenden Jahren wegen der demografischen Entwicklung dramatisch an Relevanz gewinnen wird (siehe nebenstehenden Artikel). Und zwar ein besonders grelles Schlaglicht. Die bremischen Sozialbehörden nehmen bei einem inzwischen 60-jährigen Mann Regress für einen Teil der Heimkosten seines vor zwei Jahren gestorbenen Vaters. Eines Vaters, der die Familie verlassen und den Sohn enterbt hat. Der Kontakt war Anfang der Siebzigerjahre endgültig abgebrochen, nachdem der Sohn Abitur gemacht hatte. 27 Jahre später erinnerte sich der Vater noch einmal an den Sohn – als er ihn enterbte: Der Sohn solle nur den „strengsten Pflichtteil“ bekommen, schrieb er ins Testament, also so wenig wie gesetzlich nur irgendmöglich. Weil man ja seit 27 Jahren keinen Kontakt mehr habe.

Nun soll der Sohn also 9000 Euro nachzahlen, ein Drittel der gesamten Kosten. Ist das ungerecht? Dazu muss man wissen, dass das Gesetz eine Regel kennt und eine Ausnahme. Die Regel: So wie Eltern für ihre Kinder einzustehen haben, müssen erwachsene Kinder auch für ihre Eltern Unterhalt zahlen – freilich nach weniger strikten Maßstäben. Die Ausnahme: Wenn die Eltern sich „schwerer Verfehlungen“ gegen ihre Kinder schuldig gemacht haben oder selbst kaum je Unterhalt gezahlt haben, dann ist der Anspruch „verwirkt“.

Schwere Verfehlung: Das ist einer dieser moralisch aufgeladenen Juristenbegriffe, wie sie immer noch durch das Familienrecht geistern. Der Richter muss den Schuldigen am zerstörten Familienfrieden identifizieren, bei Streitigkeiten also, die nie in Schwarz und Weiß gemalt sind. Die Geschichte vom hartherzigen Vater und vom verstoßenen Sohn trifft selten die komplexe Realität einer zerstrittenen Familie. Deswegen hat sich der BGH nicht damit aufgehalten, ob der Vater den Sohn tatsächlich – wie dieser behauptet – am 1. Mai 1971 betrunken in eine Glasscheibe gestoßen hat. Oder 1976, bei der Beerdigung des Großvaters: Es kam kein Gespräch zustande – aber wer hat nun mit wem nicht geredet?

Weil Richter so etwas kaum ermitteln können, sagt der BGH: Entscheidend ist, wann der Kontakt abgebrochen wurde. Hier war der Vater immerhin 18 Jahre bei seinem Sohn, also in jener Lebensphase, in der Kinder eine „besonders intensive elterliche Fürsorge benötigen“. Ob es schöne oder schreckliche Jahre waren, darüber lässt sich im Unterhaltsstreit kaum rechten. Gewiss, der Kontaktabbruch sei eine „Verfehlung“, sagt der BGH – aber eben keine „schwere Verfehlung“, weil der Junge schon volljährig war. Und die Enterbung spiele in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle. Mit seinem Geld kann jeder machen, was er will, er kann es der Heilsarmee vererben oder der Geliebten.

Insofern markiert der Beschluss keine dramatische Wende in der BGH-Rechtsprechung. „Bei der Verwirkung hängt die Latte immer sehr hoch“, sagt Isabell Götz, Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags. Wie auch der Student seinen Unterhaltsanspruch behält, wenn er von seinen Eltern Geld, aber sonst nichts mehr will, verlieren Eltern ihren Anspruch nicht bereits dadurch, dass sie sich jahrelang von den Kindern ferngehalten haben. Bei Kleinkindern ist dies jedoch anders, wie der BGH 2004 entschieden hat: Eine Mutter hatte ihr einjähriges Kind bei den Großeltern zurückgelassen, ist in die USA ausgewandert – und hat es irgendwie vergessen. Obwohl das Kind bei den Großeltern behütet aufwuchs, stufte der BGH das Verhalten der Mutter als „schwere Verfehlung“ ein. Gerade Kleinkindern müsse vermittelt werden, „dass ein in Liebe und Zuneigung verbundener Elternteil für es da ist“.

Doch so strikt der BGH im Grundsatz auf Familiensolidarität beharrt, so großzügig ist er bei einer sehr viel entscheidenderen Frage: Wie viel muss jemand von seinem Einkommen für die Heimkosten der Eltern abzweigen? Vor gut zehn Jahren hatte das Gericht die Doppelbelastung der Sandwichgeneration angenommen und die Ansprüche deutlich zurückgefahren. Das lässt sich etwa am sogenannten Selbstbehalt ablesen, also an dem Betrag, der dem Betroffenen auf jeden Fall für seinen eigenen Unterhalt verbleiben muss. Wer für minderjährige Kinder aufkommen muss, hat einen Selbstbehalt von lediglich rund 1000 Euro. Wer dagegen für die Heimkosten seiner Eltern haftet, darf mindestens 1600 Euro für sich behalten. Bei höheren Gehältern kann der Betrag weiter angehoben werden, und zwar um die Hälfte der Differenz zwischen Einkommen und den 1600 Euro. Wer also 2400 Euro netto verdient, hätte damit 2000 Euro Selbstbehalt. „Die Rechtsprechung achtet darauf, dass die Betroffenen sich nicht sonderlich einschränken müssen“, sagt Isabell Götz.

Hinzu kommt die private Altersvorsorge. Fünf Prozent vom Bruttoeinkommen sind für das Sozialamt tabu, hat der BGH entschieden. Auch, weil sonst das Problem nur verschoben wäre: Wer heute nicht ausreichend fürs Alter vorsorgt, wird morgen womöglich selbst zum Sozialfall. Und wer für eigene Kinder zahlt, der muss nur dann für seine Eltern aufkommen, wenn noch etwas übrig bleibt – weil der Kindesunterhalt Vorrang hat.

Nun gibt es, wenn die Eltern pflegebedürftig werden, beileibe nicht immer Streit: „Viele Kinder stehen zu ihrer Unterhaltspflicht, wenn sie mit Augenmaß gestaltet wird“, sagt Götz. Wenn aber gestritten wird, dann gleichen die Urteile mitunter dem Haushaltsplan einer Mittelstadt. Der BGH hat jüngst ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm bestätigt. Das OLG-Urteil ist voller Tabellen, in denen minutiös Steuererstattung und Wohnwert, Versicherungsbeiträge und Vorsorgeaufwendungen verrechnet werden. Am Ende musste die Frau zwar einen Teil der Kosten erstatten – durfte aber sogar ihre Fahrten zum Pflegeheim absetzen. Nur die Aufwendungen für das Reitpferd hat das OLG dann doch nicht akzeptiert.

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