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Letzte Spritze für Kinder

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Als erstes Land der Welt erlaubt Belgien künftig aktive Sterbehilfe auch für Kinder. Für ein entsprechendes Gesetz votierte am Donnerstagabend im Abgeordnetenhaus abschließend eine große Mehrheit aus Sozialisten, Liberalen, Grünen und den flämischen Nationalisten der N-VA. Nur die Christdemokraten und der rechtspopulistische Vlaams Belang stimmten dagegen. Es herrschte kein Fraktionszwang. Im Dezember hatte schon der Senat den Vorschlag gebilligt, der vor allem von Patientenverbänden und der Kirche kritisiert wird.

In Belgien ist, wie in den Niederlanden, die Tötung auf Verlangen seit 2002 legal, aber bisher auf Erwachsene beschränkt. In den Niederlanden liegt die gesetzliche Altersgrenze bei zwölf Jahren. Doch schützt das „Groninger Protokoll“ Ärzte, die Sterbehilfe bei Neugeborenen und jüngeren Kindern praktizieren, vor Strafe. Nach den neuen belgischen Regeln ist Bedingung, dass die Kinder unheilbar krank sind und unter starken Schmerzen leiden, für die es keine Linderung gibt. Ein Psychologe muss bestätigen, dass sie urteilsfähig und in der Lage waren, die Entscheidung zu sterben zu treffen. Außerdem müssen die Eltern zustimmen. Nach Ansicht von Ärzten wäre von dem neuen Gesetz jährlich etwa eine Handvoll Kinder betroffen.



Saaldiener verfolgen die Debatte im belgischen Parlament über die aktive Sterbehilfe an Kindern. So weit ist bisher kein anderes Land gegangen.

In einer Schlussdebatte waren die Meinungen am Mittwoch noch einmal aufeinandergeprallt. Es gehe nicht darum, jemanden zu töten, sondern ihn von seinen Leiden zu befreien, argumentierten die Sozialisten, die federführend hinter dem Gesetz stehen. „Wir haben die Verantwortung, allen zu gestatten, in Würde zu leben und zu sterben“, sagte die Abgeordnete Karen Lalieux. Christdemokraten monierten „Ungenauigkeiten und Lücken“ im Gesetz.

Die Debatte in Belgien war sehr lebhaft verlaufen. Im Herbst hatte zunächst ein offener Brief von 16 Kinderärzten Aufsehen erregt, die eine Ausweitung der Sterbehilfe forderten. Man solle nicht wegen des „Kalenderalters“ Kindern versagen, was man Erwachsenen gewähre. Unheilbar kranke Kinder könnten manchmal „besser über das Leben nachdenken und sich äußern als gesunde Erwachsene“. Außerdem werde die Sterbehilfe an Kindern ohnehin schon „ausnahmsweise“ praktiziert.

Am Dienstag wiederum warnten 160 Kinderärzte in einem Brief an den Parlamentsvorsitzenden vor einem überhasteten Beschluss. Weder im Volk noch in der Medizin bestehe das Bedürfnis, die Praxis zu ändern, sagte der Arzt Stefaan Van Gool. Man habe schließlich ewig über den Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde (ein zentraler Streitpunkt zwischen Flamen und Wallonen) diskutiert, das sei „ein viel einfacheres Problem als das Todspritzen von Kindern“. Auch stellen die Ärzte die Urteilsfähigkeit von Kindern infrage. Nicht umsonst dürfe man erst ab 18 Auto fahren, und im Strafrecht werde die kindliche Impulsivität als strafmindernd gewürdigt. „Aber bei der Sterbehilfe soll die Impulsivität kein Problem sein“, klagt Van Gool.

In Deutschland reagierten Politiker und Ärzte-Organisationen ablehnend. „Eine Ausweitung der aktiven Sterbehilfe auf Kinder und Jugendliche in Belgien ist eine Entscheidung gegen die Schwächsten“, sagte Benno Bolze, Geschäftsführer des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbands, in dem mehr als tausend Einrichtungen für sterbenskranke Patienten organisiert sind. Er widersprach dem Argument vieler Behilfebefürworter, dass es für Kinder keine Linderung des Leidens gibt. Schmerzen ließen sich mit Medikamenten lindern.

Empört zeigte sich auch der CDU-Politiker Michael Brand. „Eine Gesellschaft, die das Töten sogar der eigenen Kinder legalisiert, ist auf der kippenden Bahn.“ Er fürchte, dass weitere Schritte kommen könnten, etwa für Ältere, zur Last fallende und schwer depressive Menschen. In Deutschland ist die aktive Sterbehilfe verboten. Die Union treibt außerdem ein Gesetz voran, das Menschen bestrafen soll, die Hilfe beim Suizid als Service anbieten.

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