Knarren, Drogen, Weltfrieden und eine engelsgleiche Stimme: Bei niemandem liegen Genie und Wahnsinn so dicht beisammen wie bei David Crosby. Und kaum ein Star der Hippiejahre hält so hartnäckig an den Idealen von damals fest, als er mit den Byrds, später mit Stephen Stills, Graham Nash und Neil Young die Sechzigerjahre prägte. Gerade eben hat er „Croz“ veröffentlicht, sein erstes Soloalbum seit 21 Jahren. Beim Interview in seinem Haus in Santa Ynez, einem sonnigen Tal nicht weit von der kalifornischen Pazifikküste bei Santa Barbara entfernt, wirkt er enorm entspannt und gut gelaunt. Dabei klingt seine Platte doch recht kämpferisch.
Findet, dass er nüchtern sehr viel bessere Musik macht: David Crosby.
SZ: Ist Ihre Mission von Liebe, Frieden und Glück, die Sie seit den Sechzigerjahren propagieren, fehlgeschlagen?
David Crosby: Zumindest haben einige Leute nicht wirklich zugehört – und die sitzen auch noch in entscheidenden Positionen. Ein Trauerspiel ist das. Nur: Das bedeutet ja nicht, dass man es nicht weiter versuchen sollte. Ich meine, die Welt ist träge, die Gesellschaft auch. Es hat uns zehn Jahre gekostet, um den Vietnamkrieg zu beenden, dabei dachten wir, wir schaffen das in einem Jahr. Das liegt in der Natur der Dinge. Aber es heißt ja nicht, dass wir uns umdrehen, alle viere von uns strecken und aufgeben sollten. Ich für meinen Teil werde das jedenfalls nicht tun.
Sie bleiben also bei der großen Hippie-Idee von Musik als großem Kommunikator, als der Saat für Liebe und Frieden?
Musik ist eine tolle Art, um Ideen zu kommunizieren. Und Liebe und Frieden sind wahrscheinlich die beiden besten Ideen, die wir je hatten.
Beim Monterey-Festival haben Sie 1967 ja noch gefordert, dass Polizisten und Politiker LSD nehmen sollten, um ihr Bewusstsein zu erweitern. Damals haben die Byrds Sie dafür gefeuert. Was halten Sie denn heute von der Idee?
(Lacht) Ich fürchte, die Polizisten und Politiker würden sich weigern, das zu nehmen. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich etwas davon lernen würden. Aber ich hatte über die Jahre viele gute Ideen, die nicht ganz praktisch waren, was ihre Umsetzung betrifft.
Und Sie selbst? Haben Sie daraus gelernt?
Eine Menge. Nur: Ich werde schon lange nicht mehr high. Erst recht nicht, bevor ich spiele. Ich rauche nicht mal mehr Pot. Einfach, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich halt doch besser klinge, wenn ich nüchtern bin.
Ihr Kumpel Neil Young hat erst letztes Jahr damit aufgehört, und hatte große Angst, ob er nüchtern überhaupt in der Lage wäre, Songs zu schreiben.
Das kriegt er auch ohne hin. Hat er ja schon mehrfach bewiesen. Was meine Person betrifft: Ich wünschte, ich hätte nie damit angefangen. Ich hätte mindestens zehn Jahre lang viel kreativer und produktiver sein können, wenn ich nicht so ein verdammter Idiot gewesen wäre.
Dann ist es ein Mythos, dass Drogen die Kreativität fördern?
Das halte ich für vollkommenen Quatsch. Ich würde eher sagen, dass sie der Kunst im Weg stehen.
Zu richtig harten Drogen haben Sie ja erst gegriffen, als Sie schon Anfang 40 waren. War das nicht ein bisschen spät?
Schon. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einlasse. Ich hatte ein paar emotionale Probleme und habe Drogen benutzt, um sie zu verdrängen. Eine ganz schlechte Idee. Sie haben es richtig schwierig gemacht, Songs zu schreiben. Und ich wünschte, ich hätte damit nicht so viel Zeit verschwendet.
Sie meinen das Jahr, das Sie in einem texanischen Gefängnis verbracht haben?
Genau. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das überlebt habe. Wahrscheinlich nur, weil ich musste.
Aber bei David Crosby dreht sich immer noch alles ums „Aufstehen und Wahrgenommenwerden“?
Oh ja, keine Frage. Das ist es, was mich antreibt – und immer weitermachen lässt. Eben die Hoffnung, dass es doch einen Unterschied macht und das Individuum wirklich etwas verändern kann.
Ist Ihr neues Album wieder ein Aufruf?
Ja. Wobei die Songs vielleicht nicht so offensichtlich sind wie „Ohio“, aber sie behandeln doch Themen wie das Problem der Zwangsprostitution und des Menschenhandels. Oder den Krieg, den inzwischen Maschinen führen. Im Mittleren Osten finden inzwischen täglich Drohneneinsätze statt, wobei es zumeist die falschen Personen erwischt. Nach dem Motto: Das erklärte Ziel ist ein Treffen der Taliban – aber tatsächlich bombardieren sie eine Hochzeit. Im Krieg wurden natürlich immer schon mehr unschuldige Menschen getötet als Kämpfer. Was wirklich schrecklich ist.
Einige Dinge, die während der Sechzigerjahre noch als Wahnvorstellungen der Hippiebewegung galten, sind nun Realität. Hört die NSA wohl Ihre Telefonate ab, liest sie Ihre Mails?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die sonderlich interessant finden würde. Oder vielleicht doch. Wobei unsere Regierung wirklich eine Menge mithört und mitliest – hier, in den USA, wie überall auf der Welt. Trotzdem halte ich es für einen Witz, dass sich Leute ernsthaft darüber aufregen. Eben, weil es ein doch offenes Geheimnis ist, dass die anderen Staaten auch zuhören. Das tun alle – überall.
Warum hat es 21 Jahre gedauert, um ein neues Solo-Album aufzunehmen?
Weil ich an vielen anderen Platten gearbeitet habe. Und insbesondere das letzte – das Doppelalbum mit Graham Nash – war eine sehr befriedigende Sache, mit einigen phantastischen Songs. Davor haben wir als Crosby, Stills & Nash an einem Coveralbum gearbeitet. Das ist allerdings nicht ganz so gut gelaufen. Ich meine, einige der Songs spielen wir immer noch live, aber im Studio, zumal mit diesem Produzenten, hat es einfach nicht funktioniert. Wir haben es danach noch mal alleine versucht und etwa vier oder fünf Songs aufgenommen. Wir werden das demnächst auch zu Ende bringen.
Der Produzent, von dem Sie da sprechen, ist Rick Rubin. Einer der besten der Welt. Was war das Problem?
Das ist immer eine Frage der Chemie. Und mit ihm war die nicht besonders gut. Sprich: Wir leben auf zwei verschiedenen Planeten, und ich fühle mich auf unserem definitiv wohler.
Mit wem haben Sie denn an „Croz“ gearbeitet?
Die meisten Songs sind mit meinem Sohn James entstanden. Wir haben sie zusammen geschrieben, er hat sie arrangiert und produziert und auch darauf gesungen und gespielt. „Radio“ war die erste Nummer. Dann kam „Dangerous Night“, und wir merkten, dass wir da auf dem richtigen Weg sind. Denn für mich sind gute Songs der Dreh- und Angelpunkt. Hast du einen, der bei irgendeinem beliebigen Zuhörer ein starkes Gefühl erzeugen kann, dann hast du den Kern der Sache gefunden. Aber wenn du keinen echten Song hast, kannst du das Ganze noch so polieren und aufblasen – es ist und bleibt ein Haufen Dreck.
Ihr Wort in Gottes Ohren!
Tja, ich wünschte, die Leute würden auf mich hören (lacht). Aber ich verfolge sehr genau, was in der Musikwelt passiert. Zum Glück gibt es immer noch Leute, die mich überraschen. Ich dachte zum Beispiel, Pink wäre eine weitere von diesen fürchterlichen Popdiven. Bis sie „Dear Mr. President“ geschrieben hat. Was dir zeigt, dass man Leute nicht einfach in irgendeine Schublade stecken kann. Und dann sind da halt noch Künstler, von denen ich weiß, dass sie auf allerhöchstem Niveau arbeiten. Wie Shawn Colvin oder Marc Cohn, die schlichtweg wunderbare Musik machen.
Demnach ist David Crosby kein zynischer, alter Mann geworden?
Oh nein. Das wäre zu einfach. Natürlich ist die aktuelle Popmusik ein Riesengeschäft, das betrieben wird, wie eine Fabrik. Und bei der es nur darum geht, in regelmäßigen Abständen, irgendwelche neuen Tussis zu produzieren, irgendwelche Marionetten, die nicht einmal ihre eigenen Songs schreiben, geschweige denn spielen. Das ist von vorne bis hinten durchkalkuliert und völlig überproduziert. Was symbolisch für die Probleme des gesamten Landes ist: Wir interessieren uns nur noch für Oberflächliches, nicht aber für Dinge mit Substanz. Was besonders für die Popkultur gilt. Aber – es gibt genügend Ausnahmen. Lady Gaga ist eine von ihnen. Weil sie schreiben, spielen und singen kann. Und auch etwas zu sagen hat.
Und wie steht es um die Rockmusik?
Nicht ganz so gut. Ich meine, wenn einer von den etablierten Meistern wie Paul Simon oder Paul McCartney mit einem neuen Album aufwartet, kann man das nicht einfach so ignorieren. Da ist immer etwas dabei, das zumindest halbwegs interessant ist, und das deine grauen Zellen zum Glühen bringt.
War es eine bewusste Entscheidung, dieses Album auf Ihrem eigenen Label als Low- Budget-Produktion zu veröffentlichen?
Als No-Budget-Produktion. Wir haben größtenteils in dem Studio gearbeitet, das James bei sich zu Hause eingerichtet hat. Ein paar Sessions haben wir auch noch in Jackson Brownes „Groove Masters“ in Santa Monica aufgenommen – für ein paar Dollar aus der Portokasse.
Was hat dagegen gesprochen, bei einem großen Label anzuheuern?
Wahrscheinlich wäre es kein Problem gewesen. Nur: Es hätte bestimmt keinen Spaß gemacht. Denn ich bin ja nicht süß, ich bin nicht jung, ich bin nicht das, was sie einfach so vermarkten können. Dafür kann ich Songs schreiben. Ich singe über ganz reale Dinge. Ich habe eine hohe Meinung von mir selbst. Ob der Rest der Welt die auch hat, weiß ich nicht. Aber ich fürchte, es ist ziemlich schwierig, einen alten Kerl mit weißen Haaren richtig in Szene zu setzen.
Waren die Sechziger und Siebziger denn besser als das Hier und Jetzt?
Ich denke, das ist ein Mythos. Jedenfalls würde ich nicht pauschal sagen, dass früher alles besser war. Mehr noch: Ich denke, das Beste kommt erst noch.
Selbst, wenn es damals eine spannende Sub- und Gegenkultur gab?
Stimmt. Damals ist phantastische Musik und Kunst entstanden. Aber ich denke, dass wir kurz vor noch gravierenderen, noch einschneidenderen musikalischen Veränderungen stehen.
Was meinen Sie damit?
Nicht so sehr technische Dinge. Fortschritt beruht nicht allein auf Technik. Ich meine vielmehr eine neue, visionäre musikalische Synthese – Rock’n’Roll und Singer/Songwriter-Musik kombiniert mit brasilianischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Einflüssen. Das ist die Zukunft, der Soundtrack zu einer Welt, die näher zusammengerückt ist. In der es keine Grenzen und keine ideologischen Differenzen mehr gibt. In der alles eins ist, und alles Musik.
Findet, dass er nüchtern sehr viel bessere Musik macht: David Crosby.
SZ: Ist Ihre Mission von Liebe, Frieden und Glück, die Sie seit den Sechzigerjahren propagieren, fehlgeschlagen?
David Crosby: Zumindest haben einige Leute nicht wirklich zugehört – und die sitzen auch noch in entscheidenden Positionen. Ein Trauerspiel ist das. Nur: Das bedeutet ja nicht, dass man es nicht weiter versuchen sollte. Ich meine, die Welt ist träge, die Gesellschaft auch. Es hat uns zehn Jahre gekostet, um den Vietnamkrieg zu beenden, dabei dachten wir, wir schaffen das in einem Jahr. Das liegt in der Natur der Dinge. Aber es heißt ja nicht, dass wir uns umdrehen, alle viere von uns strecken und aufgeben sollten. Ich für meinen Teil werde das jedenfalls nicht tun.
Sie bleiben also bei der großen Hippie-Idee von Musik als großem Kommunikator, als der Saat für Liebe und Frieden?
Musik ist eine tolle Art, um Ideen zu kommunizieren. Und Liebe und Frieden sind wahrscheinlich die beiden besten Ideen, die wir je hatten.
Beim Monterey-Festival haben Sie 1967 ja noch gefordert, dass Polizisten und Politiker LSD nehmen sollten, um ihr Bewusstsein zu erweitern. Damals haben die Byrds Sie dafür gefeuert. Was halten Sie denn heute von der Idee?
(Lacht) Ich fürchte, die Polizisten und Politiker würden sich weigern, das zu nehmen. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich etwas davon lernen würden. Aber ich hatte über die Jahre viele gute Ideen, die nicht ganz praktisch waren, was ihre Umsetzung betrifft.
Und Sie selbst? Haben Sie daraus gelernt?
Eine Menge. Nur: Ich werde schon lange nicht mehr high. Erst recht nicht, bevor ich spiele. Ich rauche nicht mal mehr Pot. Einfach, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich halt doch besser klinge, wenn ich nüchtern bin.
Ihr Kumpel Neil Young hat erst letztes Jahr damit aufgehört, und hatte große Angst, ob er nüchtern überhaupt in der Lage wäre, Songs zu schreiben.
Das kriegt er auch ohne hin. Hat er ja schon mehrfach bewiesen. Was meine Person betrifft: Ich wünschte, ich hätte nie damit angefangen. Ich hätte mindestens zehn Jahre lang viel kreativer und produktiver sein können, wenn ich nicht so ein verdammter Idiot gewesen wäre.
Dann ist es ein Mythos, dass Drogen die Kreativität fördern?
Das halte ich für vollkommenen Quatsch. Ich würde eher sagen, dass sie der Kunst im Weg stehen.
Zu richtig harten Drogen haben Sie ja erst gegriffen, als Sie schon Anfang 40 waren. War das nicht ein bisschen spät?
Schon. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einlasse. Ich hatte ein paar emotionale Probleme und habe Drogen benutzt, um sie zu verdrängen. Eine ganz schlechte Idee. Sie haben es richtig schwierig gemacht, Songs zu schreiben. Und ich wünschte, ich hätte damit nicht so viel Zeit verschwendet.
Sie meinen das Jahr, das Sie in einem texanischen Gefängnis verbracht haben?
Genau. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das überlebt habe. Wahrscheinlich nur, weil ich musste.
Aber bei David Crosby dreht sich immer noch alles ums „Aufstehen und Wahrgenommenwerden“?
Oh ja, keine Frage. Das ist es, was mich antreibt – und immer weitermachen lässt. Eben die Hoffnung, dass es doch einen Unterschied macht und das Individuum wirklich etwas verändern kann.
Ist Ihr neues Album wieder ein Aufruf?
Ja. Wobei die Songs vielleicht nicht so offensichtlich sind wie „Ohio“, aber sie behandeln doch Themen wie das Problem der Zwangsprostitution und des Menschenhandels. Oder den Krieg, den inzwischen Maschinen führen. Im Mittleren Osten finden inzwischen täglich Drohneneinsätze statt, wobei es zumeist die falschen Personen erwischt. Nach dem Motto: Das erklärte Ziel ist ein Treffen der Taliban – aber tatsächlich bombardieren sie eine Hochzeit. Im Krieg wurden natürlich immer schon mehr unschuldige Menschen getötet als Kämpfer. Was wirklich schrecklich ist.
Einige Dinge, die während der Sechzigerjahre noch als Wahnvorstellungen der Hippiebewegung galten, sind nun Realität. Hört die NSA wohl Ihre Telefonate ab, liest sie Ihre Mails?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die sonderlich interessant finden würde. Oder vielleicht doch. Wobei unsere Regierung wirklich eine Menge mithört und mitliest – hier, in den USA, wie überall auf der Welt. Trotzdem halte ich es für einen Witz, dass sich Leute ernsthaft darüber aufregen. Eben, weil es ein doch offenes Geheimnis ist, dass die anderen Staaten auch zuhören. Das tun alle – überall.
Warum hat es 21 Jahre gedauert, um ein neues Solo-Album aufzunehmen?
Weil ich an vielen anderen Platten gearbeitet habe. Und insbesondere das letzte – das Doppelalbum mit Graham Nash – war eine sehr befriedigende Sache, mit einigen phantastischen Songs. Davor haben wir als Crosby, Stills & Nash an einem Coveralbum gearbeitet. Das ist allerdings nicht ganz so gut gelaufen. Ich meine, einige der Songs spielen wir immer noch live, aber im Studio, zumal mit diesem Produzenten, hat es einfach nicht funktioniert. Wir haben es danach noch mal alleine versucht und etwa vier oder fünf Songs aufgenommen. Wir werden das demnächst auch zu Ende bringen.
Der Produzent, von dem Sie da sprechen, ist Rick Rubin. Einer der besten der Welt. Was war das Problem?
Das ist immer eine Frage der Chemie. Und mit ihm war die nicht besonders gut. Sprich: Wir leben auf zwei verschiedenen Planeten, und ich fühle mich auf unserem definitiv wohler.
Mit wem haben Sie denn an „Croz“ gearbeitet?
Die meisten Songs sind mit meinem Sohn James entstanden. Wir haben sie zusammen geschrieben, er hat sie arrangiert und produziert und auch darauf gesungen und gespielt. „Radio“ war die erste Nummer. Dann kam „Dangerous Night“, und wir merkten, dass wir da auf dem richtigen Weg sind. Denn für mich sind gute Songs der Dreh- und Angelpunkt. Hast du einen, der bei irgendeinem beliebigen Zuhörer ein starkes Gefühl erzeugen kann, dann hast du den Kern der Sache gefunden. Aber wenn du keinen echten Song hast, kannst du das Ganze noch so polieren und aufblasen – es ist und bleibt ein Haufen Dreck.
Ihr Wort in Gottes Ohren!
Tja, ich wünschte, die Leute würden auf mich hören (lacht). Aber ich verfolge sehr genau, was in der Musikwelt passiert. Zum Glück gibt es immer noch Leute, die mich überraschen. Ich dachte zum Beispiel, Pink wäre eine weitere von diesen fürchterlichen Popdiven. Bis sie „Dear Mr. President“ geschrieben hat. Was dir zeigt, dass man Leute nicht einfach in irgendeine Schublade stecken kann. Und dann sind da halt noch Künstler, von denen ich weiß, dass sie auf allerhöchstem Niveau arbeiten. Wie Shawn Colvin oder Marc Cohn, die schlichtweg wunderbare Musik machen.
Demnach ist David Crosby kein zynischer, alter Mann geworden?
Oh nein. Das wäre zu einfach. Natürlich ist die aktuelle Popmusik ein Riesengeschäft, das betrieben wird, wie eine Fabrik. Und bei der es nur darum geht, in regelmäßigen Abständen, irgendwelche neuen Tussis zu produzieren, irgendwelche Marionetten, die nicht einmal ihre eigenen Songs schreiben, geschweige denn spielen. Das ist von vorne bis hinten durchkalkuliert und völlig überproduziert. Was symbolisch für die Probleme des gesamten Landes ist: Wir interessieren uns nur noch für Oberflächliches, nicht aber für Dinge mit Substanz. Was besonders für die Popkultur gilt. Aber – es gibt genügend Ausnahmen. Lady Gaga ist eine von ihnen. Weil sie schreiben, spielen und singen kann. Und auch etwas zu sagen hat.
Und wie steht es um die Rockmusik?
Nicht ganz so gut. Ich meine, wenn einer von den etablierten Meistern wie Paul Simon oder Paul McCartney mit einem neuen Album aufwartet, kann man das nicht einfach so ignorieren. Da ist immer etwas dabei, das zumindest halbwegs interessant ist, und das deine grauen Zellen zum Glühen bringt.
War es eine bewusste Entscheidung, dieses Album auf Ihrem eigenen Label als Low- Budget-Produktion zu veröffentlichen?
Als No-Budget-Produktion. Wir haben größtenteils in dem Studio gearbeitet, das James bei sich zu Hause eingerichtet hat. Ein paar Sessions haben wir auch noch in Jackson Brownes „Groove Masters“ in Santa Monica aufgenommen – für ein paar Dollar aus der Portokasse.
Was hat dagegen gesprochen, bei einem großen Label anzuheuern?
Wahrscheinlich wäre es kein Problem gewesen. Nur: Es hätte bestimmt keinen Spaß gemacht. Denn ich bin ja nicht süß, ich bin nicht jung, ich bin nicht das, was sie einfach so vermarkten können. Dafür kann ich Songs schreiben. Ich singe über ganz reale Dinge. Ich habe eine hohe Meinung von mir selbst. Ob der Rest der Welt die auch hat, weiß ich nicht. Aber ich fürchte, es ist ziemlich schwierig, einen alten Kerl mit weißen Haaren richtig in Szene zu setzen.
Waren die Sechziger und Siebziger denn besser als das Hier und Jetzt?
Ich denke, das ist ein Mythos. Jedenfalls würde ich nicht pauschal sagen, dass früher alles besser war. Mehr noch: Ich denke, das Beste kommt erst noch.
Selbst, wenn es damals eine spannende Sub- und Gegenkultur gab?
Stimmt. Damals ist phantastische Musik und Kunst entstanden. Aber ich denke, dass wir kurz vor noch gravierenderen, noch einschneidenderen musikalischen Veränderungen stehen.
Was meinen Sie damit?
Nicht so sehr technische Dinge. Fortschritt beruht nicht allein auf Technik. Ich meine vielmehr eine neue, visionäre musikalische Synthese – Rock’n’Roll und Singer/Songwriter-Musik kombiniert mit brasilianischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Einflüssen. Das ist die Zukunft, der Soundtrack zu einer Welt, die näher zusammengerückt ist. In der es keine Grenzen und keine ideologischen Differenzen mehr gibt. In der alles eins ist, und alles Musik.