Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Präzise wie Scherenschnitte

$
0
0
Die Schwanzfedern laufen der Eule in raschelnden Linien aus. Eine Biene landet auf einem Schriftzug. Zwei Männchen, scharf aneinandergerückt, werden zum Ornament. Präzise umrissen wie Scherenschnitte sind die Motive von keinem unnötigen Strich, keinem Detail beschwert. Die Eule gehört zum Verlag, die Biene wirbt für Zucker, und das Strichmännchen-Doppel passt, als Verkörperung des Firmennamens Zwilling, genauso gut auf Messerschneiden wie Anzeigenseiten. Entworfen hat sie der Mann, den man in den USA als Pionier des modernen Logos feiert, der aber in seiner Heimat fast unbekannt ist: Wilhelm Deffke aus Elberfeld.



Das Folkwang-Museum in Essen zeigt noch bis Sonntag Deffkes Werke

Im Jahr 1887 geboren, gehört er zu einem Jahrgang, dem auch Kurt Schwitters, Max Burchatz und Friedrich Vordemberge-Gildewart entstammen, bahnbrechende Erneuerer aus Deutschland, wo es um Papier, Werbung und Typografie geht. Alle waren Künstler, bevor sie sich entschieden, dass es in der Epoche der Druckerpressen und Werbetafeln nicht mehr allzu relevant ist, welche Farben man auf einer Leinwand anrührt. Diese Avantgarde suchte ihr Publikum nicht im Museum, sondern in den Massen, die sich in den jungen Metropolen im Straßengewirr vor Leuchtreklamen und Zeitungsständen zurechtfinden mussten – klare, technoide, gut zu reproduzierende Bildsprache war ja ohnehin das Ziel, auf das die Moderne hingearbeitet hatte. Doch so folgenreich die Errungenschaften dieser Generation waren – was in der deutschen Zwischenkriegszeit entstand, diffamierten erst die Nationalsozialisten, bevor es in Krieg und Wiederaufbau in Vergessenheit geriet.

Eine gerade erschienene Monografie und eine Ausstellung im Essener Folkwang-Museum, die noch an weiteren Stationen gezeigt werden soll, erinnern jetzt an Wilhelm Deffke, der mitten im Ersten Weltkrieg das „Wilhelmwerk“ gründete, eine der ersten modernen Werbeagenturen überhaupt. Er entwarf schnörkellose Schokoverpackungen, Schallplattenhüllen, Zigarettenschachteln. Doch das Logo, das er aus Firmennamen, Produkt oder Standort herausschälte, wurde ihm Kern jeder Werbebotschaft. Wobei seine reduzierten Entwürfe wohl erst jetzt geschätzt werden können, wo auf digitalen Oberflächen das Sign genauso wirkmächtig ist wie Typografie und Bild. Als Avantgardist von Nike-Schwung und Apple-Rund entdeckt man ihn in einer Zeit wieder, in der Kommunikation mit jedem T-Shirt und Autogrill betrieben wird – Markenzeichen sind kostbar geworden, wo der Wert einer Firma sich schon längst nicht mehr in Produktionsstätten oder Labors bemisst, sondern vor allem im Wert der Marke an sich.

Wilhelm Deffke ist so als Brückenfigur zwischen den Epochen zu verstehen – entstammt er doch einer modellhaften Gründerzeit im bergischen Wuppertal. Den Kunstort, in dem seine Geburtsstadt Elberfeld aufging, hat man sich um die Jahrhundertwende als Talsohle voller Industrie vorzustellen, wo ein Junge, dessen Schulausbildung die Eltern nicht länger bezahlen können, sofort in einem Atelier für Musterzeichnung unterkommt und sich an der Abendschule für Zeichenkurse einschreibt. Bald wechselt er an die Handwerker- und Kunstgewerbeschule und entdeckt die Kunst der Batik, ein uraltes Handwerk zwar, in Europa aber vor allem infolge der Kolonialausstellungen populär.

Entscheidend wird für Deffke die Begegnung mit Peter Behrens, in dessen Atelier in Potsdam-Neubabelsberg er im Jahr 1909 eintritt, wo er auch Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe kennenlernt. Aus dem verspielten Gestalter, der für einen AEG-Prospekt einen turbogetriebenen Motor mit einem Band aus hellgrünem Ornament rahmt, wird der Werber, der an einer neuen Form arbeitet: dem Logo. Das junge Jahrhundert wird für solche Signets bald enormen Bedarf haben, gerade hat die deutsche Konsumgüterindustrie das Markenprodukt erfunden.

Als ihn die Großdruckerei Elsner verpflichtet, wird er im Jahr 1914 eines der ersten, charakteristischen Deffke-Signets entwickeln, einen Elefanten, dem der Frakturbuchstaben „E“ als Kopf auf den Schultern sitzt. Das Hybridwesen verkürzt das Profil der Firma auf Assoziationen von solider Schwere, Monogramm-Tradition und einprägsamer Tiersymbolik, unauflöslich verschmolzen wie tagelang eingekochter Siegellack. Was sich von zeitgenössischen Entwürfen dramatisch abhebt, die eher an Wappen und Gildezeichen erinnern oder an die Firmennamen, die man sich kunstvoll geschmiedet über die Ladentür hängt. Deffkes kleine Signets sind universal einsetzbar, von der Litfaßsäule bis zur Leuchtschrift, behaupteten sich auf den Anzeigenseiten und Prospekten. Zum Umzug der Druckerei erscheint ein Buch, das heute als erstes modernes Werbedruckwerk überhaupt gilt, ein Kritiker schrieb, man werde „mit magischer Gewalt immer wieder zu diesem in Farben und Kühnheit schwelgenden Druck hingezogen “.

In der Großdruckerei hatte Deffke auch Carl Ernst Hinkefuß kennengelernt, mit dem er 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, eines der ersten Werbeateliers in Deutschland gründete – das „Wilhelmwerk“. Dessen Logo sieht zwar auf den ersten Blick aus wie die beiden Säulen vor dem Gründerzeithaus am Kaiserdamm, in das sie einziehen – ist aber zum Bild geronnene Typografie und stellt eine römische Zwei dar. Die Partner hatten verstanden, dass die Industrie dringend Studios nach angelsächsischem, vor allem aber amerikanischem Vorbild wünschte: Texter, Schriftzeichner, Lichtbildner und Werbefachmann unter einem Dach. Hinkefuß, der sich mal Ingenieur, mal Reklameanwalt nannte, war schon 1913 durch die USA gereist, um Werbeagenturen und Druckereien zu besuchen. Die deutschen Pioniere annoncierten ihren Verbund als Paarung von „Künstler und Kaufmann” und warben mit Musterbögen um Kunden. In „Handelsmarken und Fabrikzeichen“ heißt es im Jahr 1917: „Größte Knappheit der Form, kraftvolle Schönheit und eigenartige Erfindung sind die zu erfüllenden Voraussetzungen für jede gute Handelsmarke“, die als winziger Stempel genauso dient wie als Reklamemarke oder als „Lackfluß auf Lieferwagen und Autos“. Sogar der spätere Bauhaus-Gründer Walter Gropius reagierte freundlich auf die Zusendung („finde trotz meiner Neigung, scharf zu kritisieren, kaum irgendwelche Mängel“), Kunden erschienen dagegen die Entwürfe als „übermodern“, erinnerten sie doch „eher an kabbalistische Zeichen als an die Fabrikmarke einer Weltfirma“. Doch zukunftsfroh notiert Hinkefuß: „Unsere Arbeit ist kein Tagwerk, sondern ein Lebenswerk wir trachten nicht nach Tageserfolg u. Beifall sondern nach Lebenserfolg.“

Der hat sich nun offenbar mit Verzögerung eingestellt – Deffke galt lange als vergessen, obwohl er sogar mehrmals den prominenten Wettbewerb des Werkbundes zur Gestaltung des Plakats der Jahresausstellung gewann. Die umfassende Monografie, herausgegeben von der Berliner Bröhan-Stiftung, die seinen Nachlass verwaltet, analysiert, wie dem Werbeduo Auseinandersetzungen um Plagiate schadeten, zumal das Duo in der Fachzeitung Das Plakat auch noch rechthaberisch darauf beharrte, andere wollten nur Wettbewerbsvorteile aus den Streitigkeiten ziehen. Eine Sondernummer über Deffke scheiterte, weil Hinkefuß darauf bestand, diese müsse in größerem Format gedruckt werden. „Die gesamte Rezeptionsgeschichte wäre anders verlaufen, wenn die Zeitschrift bereits 1916 ein Heft über ihn herausgebracht hätte”, schreibt Roland Jaeger. Im September 1920 fehlte Deffkes Name im Sonderheft „Die Packung“, in dem er mit seiner Reemtsma-Zigarettenschachtel „hätte erwähnt werden müssen“. Und so blieb Deffke, der noch in den letzten Kriegsjahren seine Logo-Entwürfe verfilmte und bis zu seinem Tod 1950 als Lehrer und Gestalter arbeitete, eine unbekannte Größe.

Der Reemtsma-Erfolg markierte übrigens auch das Ende der Zusammenarbeit mit Hinkefuß – nachdem Deffke einen Wettbewerb der Tabakfirma im Jahr 1919 gewonnen hatte, war er von wechselnden Auftraggebern unabhängig geworden. Das von ihm entworfene Reemtsma-Logo, der stilisierte Bug eines Wikinger-Schiffs, muss als einer der erfolgreichsten Entwürfe dieser Zeit gelten, nicht nur, weil Deffke damit die Tabakindustrie aus verquast orientalisierenden Motivwelten befreite, sondern eines der langlebigsten Firmenzeichen überhaupt entwarf; erst im Jahr 2007 sollte es abgeschafft werden.

Corporate Design: Der Logopionier Wilhelm Deffke, bis 16. Februar im Folkwang-Museum Essen. Die Monografie „Pionier des modernen Logos: Wilhelm Deffke 1887–1950“ kostet 75 Euro.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345