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Der Bettelkönig

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Allein der Titel klingt majestätisch, machtvoll, ja irgendwie magisch: Filmzar von Los Angeles. Man muss dabei sofort an Yul Brynner in „Anastasia“ denken, an Michael Jayston in „Nicholas and Alexandra“ oder an Maximilian Schell in „Peter the Great“. Es ist eine Aufforderung an das Gehirn, ein großartiges Bild zu zeichnen von einem Mann, der zufrieden sein Königreich betrachtet, während gerade über dem Pazifik die Sonne untergeht.



Der neue Filmzar soll Hollywood vor dem Verfall retten

Ken Ziffren trägt diese wunderbare Bezeichnung seit wenigen Wochen, er sieht nicht aus wie Yul Brynner oder Michael Jayston oder Maximilian Schell. Er schaut ein bisschen aus, als würde er in Fernsehserien den schrulligen Onkel verkörpern, den alle mögen und der in jeder Folge durch weise Worte, ein nettes Geschenk oder ein spontanes Fest für ein glückliches Ende sorgt. Wenn er grinst, schiebt er den Unterkiefer nach vorne, hinter der randlosen Brille sind die Augen eines Schelms zu erkennen, seine Stimme ist tief und ruhig. Eine Krawatte oder Fliege trägt er bei öffentlichen Auftritten nur dann, wenn es nicht anders geht.

Ziffren ist 73 Jahre alt, bei seiner Vorstellung am 10. Februar durch Bürgermeister Eric Garcetti trug er eine blaue Krawatte, er grinste nicht. Dieser Filmzar von Los Angeles ist in Wirklichkeit arm dran, denn er ist der Bettelkönig von Hollywood. Seine Aufgabe: Er soll dafür sorgen, dass nicht noch mehr Filme und Fernsehserien außerhalb Kaliforniens produziert werden. Dazu muss er die Politiker im Bundesstaat davon überzeugen, mehr Geld zu investieren.

Wer Ziffren zuhört, der bekommt vom Gehirn ein neues Bild geliefert: von einem Mann, der am Mulholland Drive steht und sieht, wie die Stadt unter ihm langsam absäuft. Wie Menschen flüchten. Wie das Y des Hollywood-Zeichens trostlos am Hügel baumelt und im nächsten Moment einfach hinunterplumpst.

„Es ist ein kritischer Moment für unsere Industrie und die gesamte Wirtschaft“, erklärt Ziffren. Und: „Wenn wir uns jetzt nicht wehren, dann sind diese Arbeitsplätze für immer verloren. Es geht hier um Jobs für Tischler, Elektriker, Maskenbildner. Arbeitsplätze, die es einem erlauben, am Ende des Monats etwas für die Rente und die Ausbildung der Kinder zurückzulegen. Wir können es uns nicht leisten, Tausende dieser Jobs zu verlieren, die die Unterhaltungsindustrie kreiert.“

Der Filmzar von Los Angeles ist also nicht der Verwalter eines glamourösen Imperiums, er ist ein Krisenmanager – der nicht einmal anständig bezahlt wird. Ziffren bekommt exakt einen Dollar Jahresgehalt, mehr wolle er gar nicht. Auf diese Weise könne er der Stadt, der er so viel zu verdanken habe, etwas zurückgeben: „Der Bürgermeister war so nett mir zu sagen, dass ich die Fähigkeiten dazu habe und dass er mir vertraut. So ist das also gekommen, jetzt bin ich begeistert und freue mich darauf.“

Ziffren ist erst der dritte Zar in der Geschichte Hollywoods. Im Jahr 1922 beschlossen die Filmstudios nach zahlreichen Skandalen, dass es sich lohnen könnte, jemanden anzustellen, der aufräumt und das ramponierte Image wieder aufbessert. Sie bezahlten William Hays ein damals unglaubliches Jahresgehalt von 100000 Dollar, offiziell war er Präsident der Motion Picture Producers and Distributors of America, inoffiziell wurde er einfach Filmzar genannt.

In einer Karikatur in der Pittsburgh Sun von 1922 wurde die Aufgabe von Hays damals klar dargestellt: Er sollte eine in Laster, Mord und Sünde ertrinkende Filmindustrie retten. Hays ließ sich Drehbücher zuschicken, äußerte Änderungsvorschläge, verlangte Kürzungen. Im Jahr 1930 trat der Motion Picture Production Code in Kraft, der bis zum Jahr 1968 galt und Regeln enthielt wie etwa, dass „ausschweifendes und lustvolles Küssen zu vermeiden sei“. Hays war 25 Jahre lang Filmzar, danach gab es erst einmal keinen mehr. Es wurde keiner gebraucht, alles lief prächtig.

Doch die aktuelle Krise in Hollywood (siehe Text rechts) ist eine andere, sie hat weniger mit expliziten Filmszenen zu tun, sondern vielmehr damit, dass kaum noch Szenen gedreht werden in dieser Stadt. Besonders deutlich wird das bei der Verleihung der Academy Awards am kommenden Sonntag werden. Natürlich kommen sie an diesem Tag alle gerne nach Los Angeles: Schauspieler, Regisseure, Produzenten. Sie werden über den Roten Teppich vor dem Dolby Theatre flanieren und die besten Filme dieses Jahres feiern. Nur: Diese Filme werden kaum noch in Los Angeles gedreht. „Gravity“ etwa, der Favorit auf die Auszeichnung zum besten Film des Jahres, entstand in Großbritannien und im amerikanischen Bundesstaat Arizona. Der Außenseiter „Her“ ist das einzige in dieser Kategorie nominierte Werk, das tatsächlich in Hollywood produziert worden ist.

Wie schlimm es gekommen ist, zeigt eine Karikatur in der Los Angeles Times. Eine blonde Frau im goldenen Kleid beschwert sich, dass niemand zu ihrer Poolparty gekommen sei: „Wo sind die nur alle?“ Die Antwort ihrer Assistentin: George Clooney filmt in New York, Brad Pitt in Vancouver, Meryl Streep in Louisiana. So sieht sie aus, die bittere Wahrheit für Los Angeles und Kalifornien: 40 Bundesstaaten locken die Produzenten mittlerweile mit üppigen Förderungen und Steuererleichterungen. New York etwa verfügt über ein Budget von 420 Millionen Dollar pro Jahr, gerade erst wurde der Umzug der „Tonight Show“ von Los Angeles nach New York mit 20 Millionen Dollar gefördert. In China wird gerade für acht Milliarden Dollar das größte Filmstudio der Welt gebaut, zur Grundsteinlegung reisten John Travolta, Catherine Zeta-Jones und Leonardo DiCaprio an.

Bereits im Oktober rief Garcetti deshalb den Notstand aus. Er ernannte Tom Sherak, ehemals Präsident der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences, zum Filmzaren. Er wurde dringend gebraucht. Sherak, der vor mehr als zwölf Jahren an Krebs erkrankt war, starb am 28. Januar. Als seine Ärzte ihm mitgeteilt hatten, dass ihm nicht mehr viel Zeit bliebe, rief er Garcetti an und erklärte ihm eine Stunde lang seinen Plan, wie die Filmindustrie in Kalifornien zu retten sei. Zwei Wochen später ernannte Garcetti Ziffren zu Sheraks Nachfolger. „Es ist einschüchternd, in die Fußstapfen einer derart bemerkenswerten und beliebten Person zu treten“, sagt Ziffren. Doch er ist genau der richtige Mann für diesen Job.

Denn: Ziffren ist kein Selbstdarsteller. Er ist ein Beruhiger, ein Schlichter, ein Kompromissfinder. Er ist derjenige, der zwei Streitenden auf die Schulter tippt, sie in ein Hinterzimmer bittet und eine Stunde später mit ihnen wieder herauskommt. Die beiden Kontrahenten haben beide das Gefühl, diesen Streit gewonnen zu haben. Das ist die große Qualität von Ziffren, die er von seinem Vater Paul vermittelt bekommen hat. Der war einer der prominentesten Anwälte der Vereinigten Staaten, agierte auch politisch stets im Hintergrund und war maßgeblich daran beteiligt, dass Los Angeles die Olympischen Spiele 1984 ausrichten durfte.

Ken Ziffren ist ebenfalls Anwalt, zu den Klienten seiner Kanzlei Ziffren Brittenham gehören Oprah Winfrey, Jay Leno und Ben Affleck. In der Filmindustrie machte er sich im Jahr 1988 einen Namen, als er den Zwist zwischen der Gewerkschaft der Drehbuchschreiber sowie den Film- und Fernsehstudios beendete – und so einen fünf Monate dauernden Streik. Er war der Mediator, als die nordamerikanische Footballliga NFL mit Fernsehsendern über einen milliardenschweren Deal verhandelte.

Ziffrens Rezept: „Wir müssen energisch mit anderen Bundesstaaten und Ländern konkurrieren“, und „es geht darum, wettbewerbsfähig zu bleiben und die Industrie dort zu lassen, wo sie hingehört“. Es gibt auch schon einen Plan: Am vergangenen Mittwoch wurde ein Gesetzesvorschlag vorgestellt, demzufolge der Staat Kalifornien die Filmindustrie auch in den kommenden fünf Jahren mit 100 Millionen Dollar pro Jahr fördert. Dem Vorschlag zufolge sollen sich dann auch Fernsehserien mit einer Stunde Laufzeit pro Folge und kostspielige Filmproduktionen um Unterstützung bewerben dürfen. TV-Serien, die von einem anderen Bundesstaat nach Kalifornien zurückkehren, sollen eine Steuererleichterung von 25 Prozent erhalten.

Im Gesetzesvorschlag wird noch keine Summe genannt, Garcetti sprach jedoch bereits davon, dass ihm eine Verdoppelung vorschweben würde. Im Mai soll in Sacramento über das Gesetz verhandelt werden, eine wichtige Rolle spielt dabei Gouverneur Jerry Brown, der noch nicht wirklich glaubt, dass diese Maßnahmen tatsächlich erfolgreich sein werden. „Er muss noch überzeugt werden“, sagt Garcetti.

Brown gilt als enger Freund von Ziffren. Der sagt: „Los Angeles muss die Unterhaltungshauptstadt der Welt bleiben.“ Bei diesen Worten grinst er und schiebt den Unterkiefer nach vorne. Er präsentiert in diesem Moment die wichtigste Eigenschaft eines Filmzaren von Los Angeles. Es ist die Ur-Eigenschaft der Bewohner von Kalifornien: Der Glaube daran, dass am Ende doch alles gut wird.

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