Die Bohème trägt einen weichen Kragen aus Gänsefedern und Laken. Denn die Allgemeinheit packt Künstler – seien es Arme Poeten oder nachtsüchtige Erotomanen – gerne ins Bett. „Artist at Work“, Künstler bei der Arbeit, heißt dann auch eine Serie von Selbstportraits des Kroaten Mladen Stilinovic aus dem Jahr 1978. Fotoaufnahmen die ihn, mitten am helllichten Tag, angezogen im Bett zeigen. Was nicht produktiv wirkt. Aber jetzt steht man ja doch vor einer ganzen Serie von Schwarzweiß-Fotos. Und diese sind mindestens genauso präsent wie die gerahmten Verträge, die sein Kollege Tehching Hsieh mit sich selbst schloss: Ein Jahr lang wollte er jede Stunde eine Stechuhr bedienen und sich dabei von einer 16-Millimeter-Filmkamera festhalten lassen. Dass mit der „One Year Performance“, die am 11. April 1980 begann, ein Jahr verging, das kann man vor den paar Film-Minuten, zu denen die 8760 Einzelaufnahmen verschmelzen, vor allem daran nachvollziehen, dass die zu Beginn kurz rasierten Haare dem Künstler bald wieder über den Kragen seines Overalls hängen. Die wenigen Male, die er verschlief oder nicht zur präzisen Uhrzeit den Mechanismus bedient, dokumentiert er unbarmherzig selbst – es muss ein wenig inspiriertes Jahr gewesen sein, in dem er jede Tätigkeit alle sechzig Minuten zu unterbrechen hatte.
Jungs im Gazastreifen während ihrer Playtime, doch wie ist es um unsere Playtime bestellt? Und wann ist die eigentlich? Das fragten sich auch die Kuratoren der Ausstellung im Lenbachhaus
Die Arbeiten wirken fast satirisch – zumal der in New York lebende Tehching Hsieh ja, bei allem Bemühen, von der Kunst zunächst genauso wenig wahrgenommen wurde wie Stilinovic, dessen Verweigerung allerdings im kommunistischen Jugoslawien leicht als asozial hätte gebrandmarkt werden können. Dass einer Künstler wird, nur weil er keine Lust hat „arbeiten zu gehen“, wie es Fanny von Dannen singt, ist so eine Zeile, die einem einfällt, wenn die Bohème sich so sichtbar gehen lässt – oder zur Bewegung verurteilt. Der ganze Mythos vom Künstler beruht ja auf diesem Gedanken der Freiheit – dass da einer nicht nur ganz allein darüber herrscht, woran er arbeitet, sondern auch, ob dabei überhaupt etwas entsteht und ob es ihm geraten ist.
Weswegen der Titel „Playtime“ der aktuellen Ausstellung im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses das Thema von der entgegengesetzten Warte, von der Freizeit nämlich, angeht. „Playtime“ ist außerdem Titel eines Films, in dem Jacques Tati sich 1967 durch eine Zukunft bewegt, die ganz dem Primat der Produktion unterworfen ist. Eine Welt der gläsernen Fassaden, der Rest ist– wo nicht grau – so doch in beruhigtem Grün und gebürstetem Chrom auch optisch arbeitsbereit. „Playtime“ läuft als Projektion neben der Glasfront des Kunstbaus, was den Vorteil hat, dass man – von der Eingangsrampe aus – gar nicht anders kann, als auch auf die echten Rolltreppen zu schauen, auf das gleichmäßige Ein- und Ausfalten der gezähnten Metallstufen darunter. Was der Ausstellung eine der schönsten Achsen beschert – sieht es doch aus, als entglitten dem realen Mechanismus die Arbeiter, die Allan Sekulas unbetitelte Diaschau fokussiert, die das Ende der Tagesschicht am 17. Februar 1972 bei General Dynamics festhält.
Matthias Mühling, der die Ausstellung zusammen mit Katrin Dillkofer und Elisabeth Giers kuratiert hat, nennt das Werk einen Klassiker. Überhaupt hat er in seiner ersten Gruppenausstellung als Direktor einige Ikonen zusammengeholt – die allerdings der Öffentlichkeit nicht unbedingt ein Begriff sein müssen. Denn die Videoprojektionen, Fotografien, die konzeptuellen Skizzen und Collagen sind das, was das Publikum schon mal als sperrige Schwarzweißkunst apostrophiert. Nicht einmal wuchtige Präsenz der aus weißem Stein gemauerten Skulpturen wird man als Minimal vorbehaltlos genießen können, handelt es sich bei der Arbeit „7:30hrs“ (1999) von Monica Bonvicini doch einfach um Werkstücke, die der – auch sonst dem Kunstbau vertraglich verbundene – Handwerker aufgemauert hat.
Doch waren Selbstversuche vor der Super-Acht-Kamera wie Martha Roslers „Semiotics of the Kitchen“ (1975) für die Kunst folgenreich: Dass Rosler sich eine Küchenschürze umbindet, nur um zunehmend aggressiv den Gebrauch von Rührschüssel und Quirl darzustellen, hat den Spielraum und die Wahrnehmung der Kunst im Zwanzigsten Jahrhundert nachhaltig erweitert. „Ökonomische Ziele und neoliberale Denkstrukturen weiten sich auf alle Lebensbereiche aus“, heißt es im Katalog, „gleichzeitig erfahren wir eine zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und eine schwindende Solidarität mit den Menschen, deren tägliche Arbeit nicht mehr zur Existenzsicherung reicht“. Künstler – darauf weisen die Kuratoren hin – sind da ausdrücklich nicht ausgenommen.
Zum Vorteil der Ausstellung wirkt der Kunstbau so städtisch, dass man die sechs Meter breiten Leinwände „Seele und Gefühl eines Arbeiters“ von KP Brehmer auch für Banner oder Spruchbänder halten könnte, wären sie nicht gleichzeitig die minutiöse Umsetzung einer sozialpsychologischen Befragung. Einem ähnlichen Projekt geht, ungefähr zur gleichen Zeit, auch das Berwick Street Collective nach, eine Künstlergruppe aus Großbritannien, die im London der Siebzigerjahre Reinigungskräften durch die Nachtschicht folgte. Ihr suggestiver, körniger Schwarzweißfilm ist nicht explizit, wird zuweilen sehr langsam, kappt die Tonspur oder verdunkelt sich sekundenlang. Die ästhetische Präsenz von „Nightcleaners, Part 1“ bindet in der Ausstellung auch so sezessionistische Ansätze wie die von Mierle Laderman Ukeles ein, einer Künstlerin, die in den Siebzigerjahren aus ihrem Selbstverständnis, auch Hausfrau und Mutter zu sein, den Gedanken der „Maintenance Art“ verfolgte, also beispielsweise vor der Galerie den Bürgersteig putzte.
Wer sich an dieser Stelle fragt, warum die Ausstellungsmacher nicht das Diktum von Beuys, nach dem Kunst gleich Arbeit sei, berücksichtigen – da der wichtigste deutsche Nachkriegskünstler im Lenbachhaus doch mit vielen Werken vertreten ist –, findet in der Frage schon viele Antworten auf den Charakter der Gruppenschau: Denn gerade sein Selbstverständnis, als Künstler, der schon einiges an Bronze verbacken hat, zum Besen zu greifen und im vollen Ornat (Anglerweste, Filzhut) zum „Ausfegen“ anzusetzen, markiert das autoritäre Selbstverständnis, dem die Generation von Martha Rosler und Allan Sekula entkommen wollte – es ging nicht länger um die Definitionshoheit, sondern darum, sich als Künstler in den Dienst zu stellen.
Die deutschen Museen – mit Ausnahme des Kölner Museums Ludwig unter dem ehemaligen Direktor Kasper König – haben sich solcher Kritik lange nicht gestellt; erst eine junge Generation von Direktoren, aufgewachsen und geprägt von diesen Fragestellungen, wird ihnen jetzt die Museen öffnen. Wobei – sie sind ja eigentlich schon da. Neben dem berühmten Film von Richard Serra „Hands Scraping“ (1968) der seine eigenen kräftigen Bildhauerhände beim Zusammenschieben von Staub und Fusseln auf dem Atelierboden inszeniert, hängen die schlanken, hochformatigen Fotos von Stefan Janitzky. Sie zeigen Brösel, Putzbrocken, Papierfetzen, eben das, was im Museum so zusammengekehrt wird, nach Ende der Öffnungszeit. Wie viele Künstler verdient sich Janitzky seinen Lebensunterhalt in Galerien und Ausstellungshallen – als Reinigungskraft.
Jungs im Gazastreifen während ihrer Playtime, doch wie ist es um unsere Playtime bestellt? Und wann ist die eigentlich? Das fragten sich auch die Kuratoren der Ausstellung im Lenbachhaus
Die Arbeiten wirken fast satirisch – zumal der in New York lebende Tehching Hsieh ja, bei allem Bemühen, von der Kunst zunächst genauso wenig wahrgenommen wurde wie Stilinovic, dessen Verweigerung allerdings im kommunistischen Jugoslawien leicht als asozial hätte gebrandmarkt werden können. Dass einer Künstler wird, nur weil er keine Lust hat „arbeiten zu gehen“, wie es Fanny von Dannen singt, ist so eine Zeile, die einem einfällt, wenn die Bohème sich so sichtbar gehen lässt – oder zur Bewegung verurteilt. Der ganze Mythos vom Künstler beruht ja auf diesem Gedanken der Freiheit – dass da einer nicht nur ganz allein darüber herrscht, woran er arbeitet, sondern auch, ob dabei überhaupt etwas entsteht und ob es ihm geraten ist.
Weswegen der Titel „Playtime“ der aktuellen Ausstellung im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses das Thema von der entgegengesetzten Warte, von der Freizeit nämlich, angeht. „Playtime“ ist außerdem Titel eines Films, in dem Jacques Tati sich 1967 durch eine Zukunft bewegt, die ganz dem Primat der Produktion unterworfen ist. Eine Welt der gläsernen Fassaden, der Rest ist– wo nicht grau – so doch in beruhigtem Grün und gebürstetem Chrom auch optisch arbeitsbereit. „Playtime“ läuft als Projektion neben der Glasfront des Kunstbaus, was den Vorteil hat, dass man – von der Eingangsrampe aus – gar nicht anders kann, als auch auf die echten Rolltreppen zu schauen, auf das gleichmäßige Ein- und Ausfalten der gezähnten Metallstufen darunter. Was der Ausstellung eine der schönsten Achsen beschert – sieht es doch aus, als entglitten dem realen Mechanismus die Arbeiter, die Allan Sekulas unbetitelte Diaschau fokussiert, die das Ende der Tagesschicht am 17. Februar 1972 bei General Dynamics festhält.
Matthias Mühling, der die Ausstellung zusammen mit Katrin Dillkofer und Elisabeth Giers kuratiert hat, nennt das Werk einen Klassiker. Überhaupt hat er in seiner ersten Gruppenausstellung als Direktor einige Ikonen zusammengeholt – die allerdings der Öffentlichkeit nicht unbedingt ein Begriff sein müssen. Denn die Videoprojektionen, Fotografien, die konzeptuellen Skizzen und Collagen sind das, was das Publikum schon mal als sperrige Schwarzweißkunst apostrophiert. Nicht einmal wuchtige Präsenz der aus weißem Stein gemauerten Skulpturen wird man als Minimal vorbehaltlos genießen können, handelt es sich bei der Arbeit „7:30hrs“ (1999) von Monica Bonvicini doch einfach um Werkstücke, die der – auch sonst dem Kunstbau vertraglich verbundene – Handwerker aufgemauert hat.
Doch waren Selbstversuche vor der Super-Acht-Kamera wie Martha Roslers „Semiotics of the Kitchen“ (1975) für die Kunst folgenreich: Dass Rosler sich eine Küchenschürze umbindet, nur um zunehmend aggressiv den Gebrauch von Rührschüssel und Quirl darzustellen, hat den Spielraum und die Wahrnehmung der Kunst im Zwanzigsten Jahrhundert nachhaltig erweitert. „Ökonomische Ziele und neoliberale Denkstrukturen weiten sich auf alle Lebensbereiche aus“, heißt es im Katalog, „gleichzeitig erfahren wir eine zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und eine schwindende Solidarität mit den Menschen, deren tägliche Arbeit nicht mehr zur Existenzsicherung reicht“. Künstler – darauf weisen die Kuratoren hin – sind da ausdrücklich nicht ausgenommen.
Zum Vorteil der Ausstellung wirkt der Kunstbau so städtisch, dass man die sechs Meter breiten Leinwände „Seele und Gefühl eines Arbeiters“ von KP Brehmer auch für Banner oder Spruchbänder halten könnte, wären sie nicht gleichzeitig die minutiöse Umsetzung einer sozialpsychologischen Befragung. Einem ähnlichen Projekt geht, ungefähr zur gleichen Zeit, auch das Berwick Street Collective nach, eine Künstlergruppe aus Großbritannien, die im London der Siebzigerjahre Reinigungskräften durch die Nachtschicht folgte. Ihr suggestiver, körniger Schwarzweißfilm ist nicht explizit, wird zuweilen sehr langsam, kappt die Tonspur oder verdunkelt sich sekundenlang. Die ästhetische Präsenz von „Nightcleaners, Part 1“ bindet in der Ausstellung auch so sezessionistische Ansätze wie die von Mierle Laderman Ukeles ein, einer Künstlerin, die in den Siebzigerjahren aus ihrem Selbstverständnis, auch Hausfrau und Mutter zu sein, den Gedanken der „Maintenance Art“ verfolgte, also beispielsweise vor der Galerie den Bürgersteig putzte.
Wer sich an dieser Stelle fragt, warum die Ausstellungsmacher nicht das Diktum von Beuys, nach dem Kunst gleich Arbeit sei, berücksichtigen – da der wichtigste deutsche Nachkriegskünstler im Lenbachhaus doch mit vielen Werken vertreten ist –, findet in der Frage schon viele Antworten auf den Charakter der Gruppenschau: Denn gerade sein Selbstverständnis, als Künstler, der schon einiges an Bronze verbacken hat, zum Besen zu greifen und im vollen Ornat (Anglerweste, Filzhut) zum „Ausfegen“ anzusetzen, markiert das autoritäre Selbstverständnis, dem die Generation von Martha Rosler und Allan Sekula entkommen wollte – es ging nicht länger um die Definitionshoheit, sondern darum, sich als Künstler in den Dienst zu stellen.
Die deutschen Museen – mit Ausnahme des Kölner Museums Ludwig unter dem ehemaligen Direktor Kasper König – haben sich solcher Kritik lange nicht gestellt; erst eine junge Generation von Direktoren, aufgewachsen und geprägt von diesen Fragestellungen, wird ihnen jetzt die Museen öffnen. Wobei – sie sind ja eigentlich schon da. Neben dem berühmten Film von Richard Serra „Hands Scraping“ (1968) der seine eigenen kräftigen Bildhauerhände beim Zusammenschieben von Staub und Fusseln auf dem Atelierboden inszeniert, hängen die schlanken, hochformatigen Fotos von Stefan Janitzky. Sie zeigen Brösel, Putzbrocken, Papierfetzen, eben das, was im Museum so zusammengekehrt wird, nach Ende der Öffnungszeit. Wie viele Künstler verdient sich Janitzky seinen Lebensunterhalt in Galerien und Ausstellungshallen – als Reinigungskraft.