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Kartoffeln, Kohl und jede Menge Joghurt

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Wenn Thomas Lindt zu seiner örtlichen Tafel geht, muss alles ganz schnell gehen. Rein, Lebensmittel holen, raus. „Es fühlt sich richtig schlecht an, wenn man Leistungen in Anspruch nimmt, die eigentlich für Leute sind, denen es noch schlechter geht als einem selbst“, sagt Lindt. Die Studenten seien in der Tafel außerdem mit Abstand die Jüngsten. „Es ist eine überaus merkwürdige Situation, ich versuche, das so gut es geht zu verdrängen.“ Dennoch: Dem Soziologie-Studenten aus Kassel bleibt nichts anderes übrig, als sich seine Lebensmittel regelmäßig bei der Tafel zu besorgen, dort also, wo Lebensmittel, die Supermärkte nicht mehr brauchen, gegen eine geringe Gebühr an Bedürftige abgegeben wird.



Im Beiertheimer Tafel-Laden in Karlsruhe (Baden-Württemberg) stehen Menschen vor der Kasse Schlange.

Der 27-Jährige bekommt kein Bafög, weil er während seiner Ausbildung zum Erzieher bereits Schul-Bafög erhalten hat und Soziologie als Zweitausbildung gilt. Er komme aus einer Arbeiterfamilie, seine Mutter müsse den Bruder finanzieren, der noch zur Schule geht, sagt Lindt. So muss er monatlich mit den knapp 350 Euro auskommen, die er als Barkeeper verdient. „Essen ist teuer“, sagt er, „da ist es gut, dass es Institutionen wie die Tafel gibt.“ Sein Freundeskreis weiß nicht, dass er wegen seiner Armut zur Tafel muss, deshalb möchte er nicht, dass sein richtiger Name in der Zeitung steht.

Zur Tafel zu müssen ist eine Erfahrung, auf die der Student wie jeder andere gerne verzichten würde. Doch Thomas Lindt ist längst nicht der Einzige, der keine Wahl hat. Tafeln aus ganz Deutschland berichten, dass vermehrt Studenten bei ihnen Lebensmittel holen. „Von den örtlichen Tafeln wird uns immer wieder gemeldet, dass mehr Studenten zu ihnen kommen als früher“, sagt Dorothea Riedel vom Bundesverband Deutscher Tafeln. Wie viele es genau sind, weiß auch der Verband nicht, denn die Zahlen werden von den Tafeln häufig nicht erhoben.

Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Tafeln, führt die Entwicklung auf steigende Mieten in vielen Universitätsstädten zurück. Und: „Die Möglichkeiten für einen Nebenjob in einem eng getakteten Studium werden immer geringer“, sagt er. Studierende müssten in der Regel zwar nur eine gewisse Zeit den Geldmangel überbrücken, und das Studium eröffne ihnen die Perspektive auf einen gut bezahlten Job. „Der finanzielle Aufwand für ein Studium und die steigenden Lebenshaltungskosten führen jedoch dazu, dass immer weniger junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien an die Universitäten gehen“, meint Brühl. Hier seien die Politiker in der Pflicht, für gleiche Bildungschancen zu sorgen. Denn „es ist beschämend für die Politik, dass Studierende zu uns kommen müssen“.

Scham ist ein Gefühl, das auch Thomas Lindt nur zu gut kennt. „Ich habe bei jedem Besuch der Tafel das Gefühl, dass mich das ein Stück unmündig macht“, sagt Lindt. Er könne nicht kaufen, was er wolle, sondern müsse nehmen, was angeboten wird. „Das läuft häufig auf Kartoffeln und Kohl raus. Und Joghurt, jede Menge Joghurt.“ Ein Studentenleben wie viele seiner Kommilitonen hat er nicht. Oft geht er früher nach Hause, wenn er mit Freunden unterwegs ist. „Ich sage dann, ich müsse lernen, dabei kann ich mir nur das nächste Bier nicht leisten.“ Auch Konzertbesuche seien für ihn nicht drin.

Studenten, die zur Tafel gehen, sind bei vielen Ausgabestellen in deutschen Universitätsstädten ein Thema. „Vor neun Jahren, als ich hier angefangen habe, kamen noch gar keine Studenten“, sagt etwa Christine Meier von der Tafel in Augsburg. Heute seien es bis zu zehn, die regelmäßig kämen. Auch in Karlsruhe, Berlin und Kiel kennt man das Phänomen.

Thomas Lindt war sich stets bewusst, dass er sein Studium selbst finanzieren muss. Er hat lange gezögert und sich dann doch dafür entschieden. „Als Erzieher verdient man so wenig, damit hätte ich später niemals eine Familie gründen können“, sagt er. Dass er kein Bafög bekommen würde, war ihm nicht klar. „Das habe ich erst auf dem zuständigen Amt erfahren.“

Bei den fürs Bafög zuständigen Studentenwerken ist das Phänomen bislang nur durch Medienberichte bekannt. „Wir können aber nicht sagen, ob es hier eine Tendenz gibt“, sagt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. Tatsache sei aber auch, dass laut einer aktuellen Umfrage fast ein Viertel der Studierenden im Monat mit weniger als dem Bafög-Höchstsatz von 670 Euro auskommen müssten. „Trotzdem leben Studenten relativ billig, sie bekommen viele Vergünstigungen, etwa bei Kulturangeboten, und stark subventioniertes Mensaessen“, sagt Grob. Auch er könne sich vorstellen, dass die Fälle von Studenten, die zur Tafel müssen, mit hohen Mieten zu tun haben könnten. Zwar müsse man seiner Ansicht nach das Bafög durchaus weniger bürokratisch gestalten. „Wir fordern seit Längerem eine Erhöhung des Elternfreibetrages um zehn Prozent“, sagt Grob. Trotzdem warnt er davor, die Schuld beim Bafög zu suchen. „Vom Gedanken her ist es eine der wichtigsten staatlichen Hilfen“, sagt er. Studenten sollten sich einfach nicht abschrecken lassen von all den Formularen – denn wer Bafög-berechtigt sei, bekomme am Ende, was ihm zusteht.

Thomas Lindt gehört nicht dazu. Er steht am Anfang eines jeden Monats vor der Frage: „Bezahle ich Miete oder Krankenkassenbeitrag?“ Glücklicherweise gewähre ihm sein Vermieter einen kleinen Spielraum bei der Miete. Früher hat Lindt häufiger in den Mülltonnen der Lebensmittelmärkte nach Essbarem gesucht. „Das ist aber richtig, richtig ekelhaft“, sagt er.

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