Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Die Rückkehr der Todesstrafe

$
0
0
Man muss zehn Jahre zurückgehen, um die neuesten Zahlen von Amnesty International (AI) zur Todesstrafe einordnen zu können. 3797 Menschen wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation im Jahr 2004 weltweit hingerichtet. Im vergangenen Jahr waren es 778. Das ist ein Fortschritt, und kein geringer. Der langfristige Trend zeigt klar nach unten. Dennoch sehen die Menschenrechtler Anlass zur Besorgnis, denn seit dem niedrigsten Stand 2010 (527) steigt die Zahl der Exekutionen jetzt wieder, 2012 waren es 682.



Todeszelle im US-Bundesstaat Texas

Und nun also 778. Das sind jene Fälle, die sich aus staatlichen oder anderen Quellen seriös nachweisen lassen. Wie viele Delinquenten tatsächlich per Giftspritze, Galgen oder Gewehrsalve getötet wurden, weiß niemand. Mit Abstand am häufigsten seien Menschen auch 2013 wohl wieder in China mit dem Tod bestraft worden, so AI, vermutlich mehrere Tausend. Doch weil das Land entsprechende Angaben wie ein Staatsgeheimnis behandelt, veröffentlicht AI seit 2009 keine konkreten Zahlen mehr. Dasselbe gilt für Nordkorea, wo mindestens 70 Fälle vermutet werden.

Verantwortlich für den jüngsten Anstieg sind vor allem Iran (mindestens 369) und Irak (169). Überhaupt fällt auf, dass fast 80Prozent der Hinrichtungen außerhalb Chinas in diesen zwei Ländern sowie in Saudi-Arabien stattfinden. Das sei „bestürzend und beschämend“, sagt Oliver Hendrich, der AI-Vorsitzende in Deutschland. Besonders schockierend sei, dass drei der mindestens 79 Hingerichteten in Saudi-Arabien minderjährig gewesen seien. Auch in Iran habe es vermutlich Hunderte offiziell nicht bestätigte Exekutionen gegeben. „Iran hält wie so manches Land Zahlen über Todesurteile und Hinrichtungen geheim“, sagt Hendrich. „Außerdem entsprechen die Gerichtsverfahren oft nicht internationalen Standards.“ Im Irak sei die große Mehrheit der Todesurteile auf der Basis vager Anti-Terror-Gesetze ergangen.

Die USA exekutierten dem AI-Bericht zufolge 39 Menschen, in Südamerika sowie in Russland wurde niemand hingerichtet. Als positiv sieht AI an, dass in ganz Europa und Zentralasien erstmals seit 2009 keine Exekutionen gemeldet worden seien. Und viele Länder, die noch 2012 Gefangene hinrichteten, hätten 2013 keine Todesurteile vollstreckt, darunter Gambia, Pakistan und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, nannte die neuesten Zahlen alarmierend. „Die Todesstrafe ist unmenschlich und rechtspolitisch unsinnig. Sie hat im 21.Jahrhundert keinen Platz“, erklärte er. Besorgniserregend seien vor allem die vielen Hinrichtungen im Irak und in Iran.

Ein Argument gegen die Todesstrafe, das selbst manche ihrer Anhänger ins Grübeln bringt, ist, dass Fehlurteile nie ausgeschlossen, ja sogar recht häufig sind. In den USA wurden seit 1973 nach Angaben des Death Penalty Information Center 144Todgeweihte nach ihrer Verurteilung freigesprochen. Gründe gibt es viele: falsche Zeugenaussagen, schlechte Verteidigung, Polizeifehler, bessere Ermittlungsmethoden. Auch auf Geständnisse ist kein Verlass, weil sie erzwungen oder auf dubiose Weise zustande gekommen sein können. Das Magazin New Yorker deutete im Dezember an, dass die Verhöre amerikanischer Ermittler, die nach der Technik des ehemaligen Polizisten und heutigen Beraters John Reid geschult werden, möglicherweise systematisch falsche Geständnisse hervorbringen.

In den USA sind solche Justizirrtümer besonders gut dokumentiert, aber sie kommen natürlich überall vor. Ein mögliches Opfer könnte auch der Japaner Iwao Hakamada sein, der am Dienstag freigelassen wurde, nach mehr als 40 Jahren in der Todeszelle. Der 78 Jahre alte ehemalige Boxer war 1968 zum Tode am Galgen verurteilt worden, weil er angeblich eine vierköpfige Familie ermordet hatte. Ein Gericht in Shizuoka gab nun Hakamadas Gesuch statt, sein Verfahren wieder aufzunehmen. Anlass sind DNA-Tests, die seine Unschuld vermuten lassen.

Hakamada war 1966 verhaftet worden. Damals arbeitete er in einer Sojafabrik. Ihm wurden Mord, Raub und Brandstiftung vorgeworfen, nachdem sein Chef, dessen Frau und zwei Kinder mit Stichwunden tot in ihrem abgebrannten Haus gefunden worden waren. Nach einem 20 Tage langen Polizeiverhör und anfänglichem Leugnen legte Hakamada ein vermeintliches Geständnis ab, das er zum Auftakt seines Prozesses jedoch widerrief. Die Beamten hätten ihn geschlagen und ihm gedroht. Nach Angaben seiner Verteidiger stimmten zudem DNA-Analysen bei späteren forensischen Untersuchungen nicht mit Proben auf Kleidungsstücken überein, die Hakamada getragen haben soll. Diese DNA-Ergebnisse erkannte das Gericht nun an. Zugleich deutete der Vorsitzende Richter laut Medienberichten an, dass die Ermittler die vermeintlichen Beweise gefälscht haben könnten.

Es ist erst das sechste Mal in der Nachkriegsgeschichte Japans, dass ein Gericht der Wiederaufnahme des Falls eines Häftlings zugestimmt hat, dessen Todesstrafe bereits rechtskräftig verhängt wurde. In vier der fünf vorherigen Fälle waren die Verurteilten freigesprochen worden. Wie die meisten Todeskandidaten lebte Hakamada überwiegend in Einzelhaft und in permanenter Angst, dass es jeden Tag soweit sein könnte. Der Zeitpunkt der Hinrichtung wird den Verurteilten in Japan nicht mitgeteilt. Erst wenige Minuten vor ihrer Exekution erfahren die Gefangenen, dass sie sterben werden. Viele Todeskandidaten treibt diese Angst in den Wahnsinn.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345