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Hilferuf aus Bosnien

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Der Westen hatte sich das Jahr 2014 anders vorgestellt: In der Ukraine wollte man das bilateral ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der EU feierlich unter Dach und Fach bringen. Auch in Bosnien-Herzegowina planten die Europäer einige Wellness-Events: Man war fleißig mit den Vorbereitungen für die Erinnerungsveranstaltungen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beschäftigt. Das Gedenken an die Ermordung des österreichischen Erzherzogs in Sarajewo vor 100 Jahren schien ein guter Anlass zu sein, auf den Unterschied zwischen den tragischen Fehlentscheidungen Europas vor 100 Jahren und der friedensbringenden Europäischen Union heute hinzuweisen.



Bosnische Frauen vor Trümmern des Krieges - Hat die internationale Gemeinschaft das Land im Stich gelassen?

Doch stattdessen begannen in Bosnien am 7. Februar des Gedenkjahres empörte Demonstrationen der Bevölkerung und heftige Gewaltausbrüche in Tuzla und Sarajewo, die sich am nächsten Tag im ganzen Land fortsetzten. Regierungsgebäude standen in Flammen, die Demonstranten forderten über alle ethnischen Grenzen hinweg den Rücktritt unfähiger Politiker, Minister sowie ganzer Regierungen. Unverblümt forderte man das Ende der überhandnehmenden Korruption, höhere Löhne, Arbeitsplätze ohne ethnische Kumpanei und politische Beziehungen. Die hohe Arbeitslosigkeit, sie liegt heute um die 50 Prozent, macht insbesondere die Lebenschancen der jungen Menschen zunichte; sie brennt den Menschen auf den Nägeln.

So ist es kein Wunder, dass selbst die genügsamen Bosnier die Geduld verlieren und erstmals seit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 gewalttätig werden. Auf den Marktplätzen und in den Treffpunkten der Städte im ganzen Land wird täglich weiter diskutiert; immer wieder werden radikale Forderungen zur Veränderung der Lage laut. Dabei ist die Rolle der Internationalen Gemeinschaft völlig unklar. Lange hat sie den Frieden im einstigen Bürgerkriegsland gesichert – doch das Vertrauen hat arg gelitten.

Die Jahre nach dem Dayton-Vertrag haben viele Bosnier enttäuscht, die angeblichen Schutzmächte erscheinen hilf- und ratlos angesichts der sich täglich verschlechternden finanziellen, sozialen und politischen Lage. Der bosnische Staat erodiert. Nach wie vor bekämpfen sich die verschiedenen Volksgruppen im Land, darüber hinaus verfolgen die Kantone eigene Ziele, das Chaos im Land nimmt zu. Es hat nun einen Punkt erreicht, an dem die Arbeiter aus dem industriell geprägten Tuzla und die Studenten und jungen Arbeitslosen in Sarajewo und anderen Städten sich vereinigen; sie wollen, wenn es nicht anders geht, durch einen revolutionären Sturz der Regierenden mit ihren Profiteuren das Land mit Gewalt verändern.

Hat die internationale Gemeinschaft endlich diesen Verzweiflungsruf vernommen? Mit den bisherigen stereotypen Antworten: „Reformen sind notwendig, und die könnt ihr nur selber machen“ ist es nicht mehr getan. Der Satz ist auch sachlich falsch. Schließlich haben die großen Mächte, welche den Dayton-Friedensvertrag zur Beendigung des Krieges in Bosnien-Herzegowina geschlossen haben, die Unordnung im Land mit verursacht: Sie haben ihm drei verschiedene Verfassungen gegeben, die alle gültig, aber untereinander inkompatibel sind, die keine Lösungen der aus der Geschichte und dem Krieg stammenden Probleme ermöglichen. Und dann haben sie Bosnien-Herzegowina alleine stehen lassen.

Der Hohe Repräsentant, der von der internationalen Gemeinschaft das Mandat erhalten hatte, schrittweise einen Rechtsstaat und eine funktionierende Demokratie zu schaffen, wurde ab 2005 durch verschiedene, meist divergierende Einflüsse von Washington, Brüssel, London, Paris und Berlin an der Ausübung seines Mandats gehindert. Der vormalige kroatische Präsident Stjepan Mesić hat sich dieser Tage angesichts der schlimmen Lage in Bosnien an die internationale Gemeinschaft gewandt: Man müsse in ganz anderer Weise als bisher Bosnien-Herzegowina tatkräftig aus dem Desaster helfen.

Bis jetzt gibt es jedoch nur wenige Anzeichen, dass die Bundesrepublik diese Weckrufe versteht. Seit Jahren arbeitet Deutschland darauf hin, das Büro des Hohen Repräsentanten nun gänzlich zu schließen, ohne jedoch irgendeine zukunftsweisende Ersatzkonstruktion zu entwerfen und mit den übrigen Partnern zu besprechen. Deutschland stößt in Washington, London, in der Türkei, in Kanada und Japan, das heißt praktisch bei allen Ländern außerhalb Russlands auf energischen Widerstand gegen diese verrückte Idee. Die Bundesregierung merkt nicht, dass die Zeit für solche Spielchen vorbei ist.

Wir brauchen, um Bosnien zu helfen, wieder die Solidarität aller Bündnispartner, die Vereinigten Staaten eingeschlossen. Die Europäische Union, insbesondere die EU-Kommission, muss den Plan schleunigst ad acta legen, Bosnien zum Mitgliedsland der Europäischen Union zu machen und die Vereinigten Staaten möglichst herauszuhalten.

Wer meint, dass die Transition von Dayton nach Brüssel ohne die USA stattfinden solle, hat die Geschichte seit dem Krieg in den Neunzigerjahren nicht begriffen. Schließlich hat Bosnien-Herzegowina seine Existenz der Initiative der USA, dem Eingreifen der Europäischen Gemeinschaft und letztlich auch dem Friedensvertrag von Dayton zu verdanken. Diese lächerlichen Eitelkeiten zwischen Europa und USA müssen beendet werden. Beide tragen historische und politische Verantwortung in Bosnien-Herzegowina. Für beide sollte die Zeit der Ausflüchte vorbei sein.

Die Demonstranten haben in diesem Punkt recht: So wie bisher kann es mit der internationalen Gemeinschaft nicht weitergehen. Europa und die USA müssen sich schnell zusammensetzen und eine Fortentwicklung des Dayton-Abkommens entwerfen. Natürlich muss dies auch in enger
Abstimmung mit jenen Bosniern erfolgen, die an konstruktiven Lösungen interessiert sind – den Prozess dürften allerdings die Europäer und Amerikaner nicht aus der Hand geben. Die Verfassungen müssen harmonisiert und an demokratischen Grundsätzen ausgerichtet werden. Das unselige ethnische Regime gehört beseitigt – es verhindert den Frieden.

Bei den weiteren Gesprächen müssen zudem beizeiten die Türkei und Russland mit einbezogen werden. Jetzt ist es nicht mehr möglich, vor der Verantwortung, die Europa und die USA in den 90er-Jahren auf dem Balkan übernommen haben, einfach davonzulaufen. Dies gilt auch und gerade für Deutschland. Die Zeit für bequeme Zuschauerplätze bei den Geschehnissen auf dem Balkan und in Osteuropa ist vorbei – jetzt müssen wir selbst klug Hand anlegen und Verantwortung übernehmen.

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