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Von wegen Kuschelhormon

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Das Gute und das Böse gehen meist Hand in Hand durch die Welt. Das lässt sich auch am Beispiel des Hormons Oxytocin demonstrieren. Das Molekül hat in den vergangenen Jahren Karriere als wahres Wundermittel gemacht. Das sogenannte Kuschelhormon festigt die Bindung von Mutter und Kind, stabilisiert die romantische Liebe zwischen Partnern und erhöht das Vertrauen unter Menschen sowie die Neigung zur Nächstenliebe.




Das "Kuschelhormon" Oxytocin kann die Wahrscheinlichkeit häuslicher Gewalt erhöhen.

Aber immer wieder schießen Wissenschaftler mit Meldungen über die dunkle Seite des Hormons dazwischen. Tatsächlich fördert Oxytocin nicht nur das Gute in Mensch und Tier zutage. So fügen Psychologen um Nathan DeWall von der Universität von Kentucky dem Bild des Hormons nun einen düsteren Pinselstrich hinzu (Social Psychological and Personality Science, online): Oxytocin kann demnach die Wahrscheinlichkeit für häusliche Gewalt erhöhen. Zeigt einer der Partner ohnehin eine Neigung zu Aggressionen, werden diese durch das Hormon verstärkt.

Einen weiteren Kratzer verpassen dem Bild vom kuscheligen Hormon nun die Psychologen Shaul Shalvi von der israelischen Ben-Gurion-Universität sowie Carsten De Dreu von der Universität Amsterdam (PNAS, online): Oxytocin verstärkt unter gewissen Umständen auch die Bereitschaft zu lügen.

Die Wirkung von Oxytocin scheint stark von den äußeren Gegebenheiten abzuhängen. Das Hormon fördere nicht automatisch prosoziales Verhalten, wie vielfach angenommen werde, argumentieren die Wissenschaftler um DeWall. In Wettbewerbssituationen steigert in die Nase verabreichtes Oxytocin zum Beispiel laut einer Studie der Psychologin Simone Shamay-Tsoory von der Universität Haifa Neidgefühle und Schadenfreude. Aus anderen Studien ist bekannt, dass das Hormon zwar den Zusammenhalt in Gruppen stärkt, dies aber auf Kosten von Außenseitern, die nicht zu der Gemeinschaft gehören. Jennifer Bartz von der kanadischen McGill University beobachtete wiederum, dass bei unsicheren Personen, die auf Zurückweisung besonders sensibel reagieren, und bei sogenannten Borderline-Persönlichkeiten eine Dosis des Hormons die Bereitschaft zur Kooperation senkt. Aus Studien mit Tieren ist wiederum bekannt, dass Oxytocin unter Umständen Aggressionen und Angriffslust steigern kann, etwa wenn ein Weibchen ihr Neugeborenes gegen einen Feind verteidigt.

Die zwei aktuellen Studien fügen sich also in einen gut gefüllten Giftschrank ein. Die Wissenschaftler um DeWall verabreichten der Hälfte ihrer Probanden eine Dosis Oxytocin per Nasenspray. Die andere Hälfte erhielt ein Placebo. Zusätzlich ermittelten die Psychologen mit entsprechend validierten Tests die Persönlichkeitsmerkmale der Teilnehmer, wobei sie sich besonders für die Neigung zur Aggression gegen den jeweiligen Lebenspartner interessierten. Sie fragten etwa, unter welchen Umständen sie im Streit mit einem Gegenstand nach ihren Partnern werfen würden.

Anschließend setzten die Forscher die Probanden Stress aus, der bekanntermaßen aggressives Verhalten fördert. Dazu mussten die Teilnehmer vor einem feindseligen Publikum einen Vortrag halten, eine reichlich unangenehme Situation. Doch die Tortur war da noch nicht beendet: Anschließend wurden ihnen physische Schmerzen zugefügt. Tatsächlich zeigten vor allem jene Probanden daraufhin gesteigerte Aggressionen, die zuvor Oxytocin bekommen hatten und deren Persönlichkeitstest eine entsprechende Neigung gezeigt hatte. Nicht nur die Dosis macht also das Gift, auch die Umstände entscheiden über die Toxizität eines Stoffes.

Auf diese Formel lässt sich auch die aktuelle Studie von Shalvi und De Dreu bringen. Die Psychologen ließen Gruppen in einem Spiel gegeneinander antreten, bei dem die Teilnehmer leicht schummeln konnten. Hatten sie den Probanden zuvor eine Dosis Oxytocin verpasst, logen diese häufiger als jene aus der Placebogruppe. Mit einer Einschränkung jedoch: Die Neigung zum Betrug erhöhte sich durch das Hormon nur, wenn die ganze Gruppe davon profitierte. Hatte nur der Lügner selbst einen Vorteil, steigerte das Hormon die Neigung zur Lüge hingegen nicht. Oxytocin hält also Gruppen zusammen – auf Kosten anderer.

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