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In der Ferne so nah

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Ziya Ceylan hat genau sechs Minuten, um über die Wahlen zu sprechen, über Recep Tayyip Erdoğan und das politische Chaos in der Türkei. Sechs Minuten, so lange steht seine U-Bahn noch an der Endhaltestelle Ginnheim. Ceylan ist Schienenbahnfahrer bei der Frankfurter Verkehrsgesellschaft, heute fährt er auf der Linie U9. Ein ganz normaler Arbeitstag für den 47-Jährigen, der im Taunus lebt, ganz im Takt der Frankfurter Fahrpläne. Das Land, aus dem er stammt, scheint dagegen völlig aus dem Takt zu sein. Ziya Ceylan hat den schmutzigen Wahlkampf von Deutschland aus verfolgt. Er hat sich geärgert über die, wie er sagt, einseitige Berichterstattung hierzulande. „Ich bin kein eingefleischter Erdoğan-Fan oder so, aber wie man mit ihm umgeht, das ist nicht in Ordnung“, sagt er.




Erdogan hat überall vereinzelt Anhänger, ob im Taunus oder hier im Gaza-Streifen

Am Wahlsonntag kam Ziya Ceylan von einem Ausflug zurück. „Bis 18 Uhr herrschte ja sowieso Berichtverbot in der Türkei, aber danach habe ich mich vor den Fernseher gesetzt und habe von Kanal zu Kanal gezappt“, erzählt er – überwiegend türkische Sender. Bis Erdoğan seine Siegesrede gehalten hatte. „Dann bin ich todmüde ins Bett gefallen.“ Über den AKP-Sieg hat sich Ceylan gefreut. Er ist beeindruckt von dem, was Erdoğan für das Land getan habe, „vor allem für die Wirtschaft“. Fragt man ihn nach einem Beispiel, fällt ihm, natürlich, als Erstes die Infrastruktur ein. Ceylan stammt aus Gaziantep, einer 1,3-Millionen-Einwohner-Stadt im Südosten der Türkei. Dort sei in den vergangenen Jahren „von null auf hundert“ das Schienennetz ausgebaut worden – dank der AKP-Regierung, wie er sagt. Ceylan fährt regelmäßig dorthin, er bildet in Gaziantep Schienenbahnfahrer aus.

Für die politischen Gegner Erdoğans hat er wenig Verständnis. Die Opposition sei doch selbst korrupt, sagt er und zählt etliche der Skandale auf, die die CHP in den vergangenen Jahrzehnten für viele in der Türkei unwählbar gemacht haben. Auch die Gezi-Jugend ist ihm suspekt: „Ich habe Angst, dass es wieder losgeht, dass es wieder Ausschreitungen geben könnte“, sagt er, mit ihren Forderungen kann er nicht viel anfangen. Er kam 1980 aus der Türkei nach Deutschland, es war die Zeit der Straßenkämpfe, dann kam der blutige Putsch. Das hat ihn geprägt, er fürchtet das Chaos. In der Türkei gewählt hat Ceylan nie, obwohl er einen türkischen Pass hat, auf den er stolz ist. Um mitzuwählen, hätte er hinreisen müssen.

Die sechs Minuten sind lange vorbei, aber 20 Minuten später ruft Ceylan noch einmal an, er will noch etwas loswerden. Wenig später ist er ein weiteres Mal am Apparat, er sagt: „Ich habe einen Nachbarn, einen Sozialdemokraten. Er findet, Erdoğan sollte gestürzt werden. Und wissen Sie, wir sind trotzdem Freunde.“ Wenn er sich in seinem Bekanntenkreis umschaue, dann spiegele die Verteilung der Anhänger und Gegner Erdoğans die Situation in der Türkei.

Das entspricht auch der Einschätzung von Yaşar Aydın, der sich für die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem mit den türkischen Migranten in Deutschland beschäftigt. Die deutsche Community sei ein „Spiegelbild“ der Türkei, sagt er. Hier in Deutschland werde das Geschehen dort sehr aufmerksam verfolgt, „vor allem in den sozialen Medien“. Die AKP finde ihre Anhänger in allen gesellschaftlichen Schichten. Wer aus einer eher muslimisch-traditionellen Familie stamme, sei aber mit höherer Wahrscheinlichkeit AKP-Wähler.

Das sind in Deutschland viele, glaubt Tuncay Özdamar, Redakteur bei Funkhaus Europa beim WDR. Er ist ebenfalls 47, und auch er ist nicht in Deutschland geboren, sondern in Kayseri, einer AKP-Hochburg in der Türkei. „Wir haben den Tag mit großer Spannung erwartet, sagt er, „beruflich hatte ich ja ohnehin viel mit dem Thema zu tun.“ Özdamar hat am Sonntag gearbeitet, war aber schon zu Hause, als am Abend die Wahlergebnisse kamen. „Zuerst sah es für die Opposition ganz gut aus“, doch dann wurde immer deutlicher, dass die AKP gewinnen würde– deutlich. „Und da habe ich sehr, sehr schlechte Laune bekommen.“ Der Journalist hält Erdoğan für gefährlich, er befürchtet, dass sich die Türkei in eine Diktatur verwandeln könnte. „Es ist einfach unglaublich, was der Premier sich in den vergangenen Jahren geleistet hat.“

Der Riss zwischen Erdoğan-Befürwortern und Gegnern geht auch durch seine Familie: Einer seiner Brüder ist pro AKP, zwei seiner Geschwister sind Gegner, sie waren Teil der Gezi-Bewegung – da wird politisch auch schon mal heftig debattiert. Doch er glaubt auch, dass die Erdoğan-Gegner in Deutschland nicht in der Mehrheit sind. Gerade in den konservativen Bevölkerungsteilen dominierten diejenigen, die Erdoğan bewunderten – „und die ihn blind wählen würden, so wie man Anhänger einer Fußballmannschaft ist“.

Seine Eltern leben noch in Kayseri, die AKP hat dort ein gutes Ergebnis geholt. Das Kreuzchen seiner Eltern haben sie diesmal nicht bekommen. Er hat ihnen abgeraten, Erdoğans Partei zu wählen. Früher hat er sich in die Wahlentscheidung seiner Eltern nicht eingemischt, aber heute findet er: „Das geht schließlich auch uns Deutsch-Türken etwas an.“

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