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Bier, Sex und wählen

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Es regnete in Strömen, als die Bürger von Glarus Geschichte schrieben. Dreimal mussten die unter freiem Himmel versammelten Wählerinnen und Wähler die Hand heben, bevor das Ergebnis eindeutig feststand: Der kleine Ostschweizer Kanton, wo die Wähler nicht an der Urne, sondern traditionell auf der sogenannten Landsgemeinde abstimmen, hatte als erster Landesteil das aktive Wahlrecht von 18 auf 16 Jahre gesenkt. Nun, sieben Jahre später, wird diskutiert, ob die ganze Schweiz diesem Beispiel folgen soll.



Dürfen bald 16-Jährige mit abstimmen? Der Schweizer Bundespräsident macht sich dafür stark.

Kein Geringerer als der derzeitige Bundespräsident Didier Burkhalter hat der Debatte neuen Schwung verliehen. Er befürworte grundsätzlich, dass junge Schweizerinnen und Schweizer an Referenden, Volksinitiativen oder Parlamentswahlen teilnehmen sollen, schrieb er in einem Zeitungsbeitrag. Auf der politischen Linken in der Eidgenossenschaft rennt der bürgerliche Politiker damit ohnehin offene Türen ein: Jugendliche dürften ab 16 Bier trinken und Sex haben, stellt beispielsweise Juso-Chef Fabian Molina fest, "warum also nicht an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen?"

Das Thema gewann an Brisanz, nachdem eine Analyse des jüngsten Abstimmungsverhaltens ein angeblich katastrophales Desinteresse junger Schweizer am politischen Geschäft ergeben hatte. Beim Votum über die Begrenzung der Zuwanderung, die Anfang Februar mit denkbar knapper Mehrheit angenommen worden war, seien lediglich 17 Prozent der unter 30-Jährigen zur Wahl gegangen, hatten das Berner Meinungsforschungsinstitut GFS und die Universität Genf festgestellt. Die unterschwellige Botschaft: Konservative und alte Besitzstandswahrer hatten der mutmaßlich fremdenfeindlichen Vorlage zum Sieg verholfen – weil die Jungen absolut keinen Bock auf Politik hätten.

Nun stellte sich freilich heraus, dass sich die Meinungsforscher offensichtlich massiv verrechnet haben. Bei einer gesonderten Auswertung in den Kantonen Genf, Neuenburg und St. Gallen kam vielmehr heraus, dass rund 40 Prozent der jungen Wähler an der Abstimmung teilgenommen hatten. Der Zürcher Politologie-Professor Marco Steenbergen geht daher davon aus, dass die GFS-Daten landesweit "nicht repräsentativ" seien.

Tatsächlich ist das Interesse junger Wähler zumal bei kommunalen Abstimmungen recht hoch. Zudem gab es immer wieder Vorstöße, bei Wahlen in den Kantonen das Mindestalter zu senken. Zuletzt scheiterte ein solcher Versuch vor vier Jahren im Kanton Bern am Widerstand der bürgerlichen Parteien. Inzwischen spricht sich allerdings nur noch die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) deutlich gegen ein Wahlalter von 16 aus.

Anderswo in Europa erlauben nur Österreich, Malta und Schottland 16-Jährigen die Teilnahme an Parlamentswahlen. In der Bundesrepublik dürfen Jugendliche in zehn Bundesländern immerhin bei Kommunalwahlen abstimmen. Versuche der Grünen, das Wahlalter für Bundestagswahlen zu reduzieren, hat der Bundestag zweimal abgelehnt. Es blieb bei 18 Jahren, wie praktisch überall im Rest der Welt. Den umgekehrten Weg beschritt nur die Islamische Republik Iran: Dort wurde das Wahlalter angehoben – von 15 auf 18 Jahre.

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