Google hat sogar ein paar Benimmregeln beigelegt. Der wichtigste Punkt für all diejenigen, die sich eine Datenbrille auf die Nase setzen: Grusle dein Gegenüber nicht und sei nicht unhöflich (auch bekannt als „Glasshole“)!
"Ich sehe was, was du nicht siehst", könnte sich diese Frau mit Datenbrille denken
Glasshole – dieses Schimpfwort geben sie inzwischen jener sonderbaren Spezies, die sich seit einiger Zeit im schummrigen Licht der Bars von San Francisco tummelt. Sie ist jung, weiß, männlich. Und sie trägt einen Computer im Gesicht. Bei Google ahnt man, dass diese Spezies nicht der beste Botschafter für das Gerät ist, was der Konzern ganz gern zum nächsten großen Ding machen würde. An diesem Dienstag wird die Datenbrille erstmals in den freien Verkauf kommen. Zugreifen kann allerdings nur, wer in den USA wohnt, im Internet ordert – und sich dabei beeilt. Die Zahl der verfügbaren Geräte ist begrenzt. Mit einem allgemeinen Marktstart zumindest in den USA wurde bisher für dieses Jahr gerechnet. In Europa dürfte es deutlich länger dauern.
Seit etwa einem Jahr lässt Google seine Datenbrille durch einen ausgewählten Kreis von etwa 10000 Mitarbeitern, Entwicklern und Technologiebegeisterten testen. Sie haben faszinierende Szenarien zusammengetragen: Kranke Kinder machen einen virtuellen Ausflug in den Zoo; Amateure trainieren mit einer Profitennisspielerin für Wimbledon; ein Koch kreiert mit Tipps aus dem Netz außergewöhnliche Rezepte. Doch die Pioniere, die sich mit der Brille in die Wirklichkeit wagen, ins Nachtleben der Bay Area zum Beispiel, werden von anderen Gästen mit Missachtung gestraft – im besten Fall. Vor einigen Wochen kam es in der Szene-Kneipe Molotov zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen einer Frau mit Google Glass und einigen anderen Gästen, die sie in der Bar gefilmt hatte. Der Vorwurf „Du tötest unsere Stadt!“ ist auf dem – natürlich mit der Datenbrille aufgezeichneten – Video zu hören, bevor eine unschöne Rangelei beginnt. Inzwischen haben einige Bars der Stadt den Zutritt für Google-Glass-Träger bereits verboten.
Dass die neuen Brillenträger alles andere als beliebt sind, liegt vor allem an der Symbolik: Gerade in San Francisco, wo die Debatte über die Gentrifizierung durch die reichen Nerds tobt, gilt Google Glass als elitäres Gadget, das die Entrückung der IT-Szene demonstriert. Stattliche 1500 Dollar (umgerechnet knapp 1100 Euro) kostet das Gerät – ein stolzer Preis für einen Prototypen, der mit seiner Video- und Fotofunktion das Gegenüber auch noch zum unfreiwilligen Teilnehmer eines sozialen Experiments macht.
Doch es sind nicht nur ein paar Leute, die sich in ihrer Stammkneipe gestört fühlen. Auch Casinos und Kinos gewähren keinen Zutritt mit Google Glass. Neun Bundesstaaten haben begonnen, Gesetzesinitiativen zum Verbot der Datenbrille am Steuer in die Wege zu leiten. Seit mehrere Menschen im Straßenverkehr ihr Leben ließen, weil sie am Steuer auf ihren Handys daddelten, reagiert die amerikanische Öffentlichkeit sensibel auf alles, was Autofahrer zum Multitasking zwingen könnte. Google betont, dass der Bildschirm auf Augenhöhe dafür sorgen würde, dass Fahrer nun auf den Blick aufs Smartphone verzichten könnten und damit aufmerksamer werden. Der Neurologe Earl Miller vom renommierten MIT bezeichnete diese Vorstellung als „Illusion“. Sicherheitshalber schickte das Unternehmen in einige der Bundesstaaten Lobbyisten, um Politiker von der Fahrtauglichkeit mit Google-Glass-Trägern zu überzeugen.
Wenn allerdings schon Amerika so argwöhnt, wie soll das erst in Deutschland werden? In einer vom Branchenverband Bitkom beauftragten Umfrage zeigte sich vor einem knappen Jahr jeder Dritte skeptisch. Ein weiteres Drittel gab an, einen großen Bogen um dieses Ding zu machen.
Es ist alles andere als trivial, den richtigen Moment zu finden, um ein neues Produkt in die Läden zu bringen. Nicht zu früh, wenn das Gerät noch gar nicht ausgreift ist und die Leute noch nichts damit anzufangen wissen. Aber eben auch nicht zu spät, wenn die Neugier schon wieder verebbt. Gerade die Technologiewelt ist reich an Beispielen, dass nicht der erste am Markt erfolgreich ist – sondern der zweite oder dritte, der die ursprüngliche Idee noch verfeinert. Ein Handy, mit dem man auch E-Mails lesen kann? IBM hat es bereits 1992 vorgestellt. Aber es sollte 15 weitere Jahre dauern, ehe Apple mit seinem iPhone die breite Masse begeisterte.
Ist Google Glass also das, was IBMs klobiger Ursprung des Smartphones war? Wird erst jemand anderes die Datenbrille groß rausbringen? Apple hat gerade ein Patent für eine Datenbrille eingereicht, die auch dreidimensionale Bilder anzeigen kann. Facebook hat sich kürzlich für zwei Millionen Dollar Cyberbrillenhersteller Oculus gesichert.
Ein gewöhnungsbedürftiges Design, fehlende Antworten auf drängende Fragen des Datenschutzes – und ein hoher Preis: Massentauglich seien solche Datenbrillen jedenfalls noch nicht, sagt Klaus Böhm von Deloitte. Etwa vier Millionen Datenbrillen werden in diesem Jahr weltweit verkauft, schätzt das Beratungsunternehmen. Das seien, räumt Böhm ein, keine eindrucksvollen Zahlen für solch ein Technikspielzeug. Aber womöglich der erste Schritt zu etwas Größerem. Es sei zwar irritierend, so weiß Böhm aus eigener Erfahrung, wenn das Gegenüber einem nicht in die Augen sehe, sondern auf einen Bildschirm in seiner Brille starre. „Aber vor fünfzehn Jahren, wenn jemanden mit einem Headset auf der Straße telefonierte, wurde er auch seltsam angesehen, weil die Leute dachten, der führt Selbstgespräche.“ Böhm ist überzeugt davon, dass sich Menschen in bestimmten Situationen zusätzliche Informationen wünschen. Wenn auch nicht unbedingt auf der Brille. Ein Toaster könnte per Knopfdruck oder Sprachbefehl eine Gebrauchsanweisung für die richtige Röststufe anzeigen. „Da werden wir noch einiges erleben“, sagt Böhm.
"Ich sehe was, was du nicht siehst", könnte sich diese Frau mit Datenbrille denken
Glasshole – dieses Schimpfwort geben sie inzwischen jener sonderbaren Spezies, die sich seit einiger Zeit im schummrigen Licht der Bars von San Francisco tummelt. Sie ist jung, weiß, männlich. Und sie trägt einen Computer im Gesicht. Bei Google ahnt man, dass diese Spezies nicht der beste Botschafter für das Gerät ist, was der Konzern ganz gern zum nächsten großen Ding machen würde. An diesem Dienstag wird die Datenbrille erstmals in den freien Verkauf kommen. Zugreifen kann allerdings nur, wer in den USA wohnt, im Internet ordert – und sich dabei beeilt. Die Zahl der verfügbaren Geräte ist begrenzt. Mit einem allgemeinen Marktstart zumindest in den USA wurde bisher für dieses Jahr gerechnet. In Europa dürfte es deutlich länger dauern.
Seit etwa einem Jahr lässt Google seine Datenbrille durch einen ausgewählten Kreis von etwa 10000 Mitarbeitern, Entwicklern und Technologiebegeisterten testen. Sie haben faszinierende Szenarien zusammengetragen: Kranke Kinder machen einen virtuellen Ausflug in den Zoo; Amateure trainieren mit einer Profitennisspielerin für Wimbledon; ein Koch kreiert mit Tipps aus dem Netz außergewöhnliche Rezepte. Doch die Pioniere, die sich mit der Brille in die Wirklichkeit wagen, ins Nachtleben der Bay Area zum Beispiel, werden von anderen Gästen mit Missachtung gestraft – im besten Fall. Vor einigen Wochen kam es in der Szene-Kneipe Molotov zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen einer Frau mit Google Glass und einigen anderen Gästen, die sie in der Bar gefilmt hatte. Der Vorwurf „Du tötest unsere Stadt!“ ist auf dem – natürlich mit der Datenbrille aufgezeichneten – Video zu hören, bevor eine unschöne Rangelei beginnt. Inzwischen haben einige Bars der Stadt den Zutritt für Google-Glass-Träger bereits verboten.
Dass die neuen Brillenträger alles andere als beliebt sind, liegt vor allem an der Symbolik: Gerade in San Francisco, wo die Debatte über die Gentrifizierung durch die reichen Nerds tobt, gilt Google Glass als elitäres Gadget, das die Entrückung der IT-Szene demonstriert. Stattliche 1500 Dollar (umgerechnet knapp 1100 Euro) kostet das Gerät – ein stolzer Preis für einen Prototypen, der mit seiner Video- und Fotofunktion das Gegenüber auch noch zum unfreiwilligen Teilnehmer eines sozialen Experiments macht.
Doch es sind nicht nur ein paar Leute, die sich in ihrer Stammkneipe gestört fühlen. Auch Casinos und Kinos gewähren keinen Zutritt mit Google Glass. Neun Bundesstaaten haben begonnen, Gesetzesinitiativen zum Verbot der Datenbrille am Steuer in die Wege zu leiten. Seit mehrere Menschen im Straßenverkehr ihr Leben ließen, weil sie am Steuer auf ihren Handys daddelten, reagiert die amerikanische Öffentlichkeit sensibel auf alles, was Autofahrer zum Multitasking zwingen könnte. Google betont, dass der Bildschirm auf Augenhöhe dafür sorgen würde, dass Fahrer nun auf den Blick aufs Smartphone verzichten könnten und damit aufmerksamer werden. Der Neurologe Earl Miller vom renommierten MIT bezeichnete diese Vorstellung als „Illusion“. Sicherheitshalber schickte das Unternehmen in einige der Bundesstaaten Lobbyisten, um Politiker von der Fahrtauglichkeit mit Google-Glass-Trägern zu überzeugen.
Wenn allerdings schon Amerika so argwöhnt, wie soll das erst in Deutschland werden? In einer vom Branchenverband Bitkom beauftragten Umfrage zeigte sich vor einem knappen Jahr jeder Dritte skeptisch. Ein weiteres Drittel gab an, einen großen Bogen um dieses Ding zu machen.
Es ist alles andere als trivial, den richtigen Moment zu finden, um ein neues Produkt in die Läden zu bringen. Nicht zu früh, wenn das Gerät noch gar nicht ausgreift ist und die Leute noch nichts damit anzufangen wissen. Aber eben auch nicht zu spät, wenn die Neugier schon wieder verebbt. Gerade die Technologiewelt ist reich an Beispielen, dass nicht der erste am Markt erfolgreich ist – sondern der zweite oder dritte, der die ursprüngliche Idee noch verfeinert. Ein Handy, mit dem man auch E-Mails lesen kann? IBM hat es bereits 1992 vorgestellt. Aber es sollte 15 weitere Jahre dauern, ehe Apple mit seinem iPhone die breite Masse begeisterte.
Ist Google Glass also das, was IBMs klobiger Ursprung des Smartphones war? Wird erst jemand anderes die Datenbrille groß rausbringen? Apple hat gerade ein Patent für eine Datenbrille eingereicht, die auch dreidimensionale Bilder anzeigen kann. Facebook hat sich kürzlich für zwei Millionen Dollar Cyberbrillenhersteller Oculus gesichert.
Ein gewöhnungsbedürftiges Design, fehlende Antworten auf drängende Fragen des Datenschutzes – und ein hoher Preis: Massentauglich seien solche Datenbrillen jedenfalls noch nicht, sagt Klaus Böhm von Deloitte. Etwa vier Millionen Datenbrillen werden in diesem Jahr weltweit verkauft, schätzt das Beratungsunternehmen. Das seien, räumt Böhm ein, keine eindrucksvollen Zahlen für solch ein Technikspielzeug. Aber womöglich der erste Schritt zu etwas Größerem. Es sei zwar irritierend, so weiß Böhm aus eigener Erfahrung, wenn das Gegenüber einem nicht in die Augen sehe, sondern auf einen Bildschirm in seiner Brille starre. „Aber vor fünfzehn Jahren, wenn jemanden mit einem Headset auf der Straße telefonierte, wurde er auch seltsam angesehen, weil die Leute dachten, der führt Selbstgespräche.“ Böhm ist überzeugt davon, dass sich Menschen in bestimmten Situationen zusätzliche Informationen wünschen. Wenn auch nicht unbedingt auf der Brille. Ein Toaster könnte per Knopfdruck oder Sprachbefehl eine Gebrauchsanweisung für die richtige Röststufe anzeigen. „Da werden wir noch einiges erleben“, sagt Böhm.