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Im Kreislauf des Todes

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Das Entsetzen war groß an Heiligabend, und man reagierte demonstrativ mit Entschlossenheit. Soweit das eben geht bei den Vereinten Nationen. Der Sicherheitsrat trat in New York zusammen und beriet über die grässlichen Nachrichten aus dem jüngsten Staat der Erde. Den Südsudan, 2011 vom Sudan unabhängig geworden und unter großer Anteilnahme des Westens aus der Taufe gehoben, hatte soeben eine Rebellion entzweigerissen. Die Regierung war auseinandergebrochen, zwei politische Lager hatten sich entlang ethnischer Grenzen gebildet. Und sie hatten begonnen, was als ethnische Säuberungen in den internationalen Sprachgebrauch eingegangen ist: Zivilisten der jeweils anderen Ethnie wurden gejagt und grausam ermordet. Häscher gingen von Haus zu Haus.




Riek Machar, der Rebellenführer, warnt vor einer "Dinkokratie", also einer Herrschaft der Ethnie der Dinka

In der weihnachtlichen Krisensitzung beschloss der Sicherheitsrat dann postwendend, die Blauhelm-Mission im Südsudan – 7000 Soldaten und Polizisten – schnellstmöglich um 5500 Kampfsoldaten zu verstärken. Vier Monate liegt das zurück. Und eingetroffen sind von ihnen– Stand Ostermontag – 800.

Vier Monate zieht sich das nun schon hin: Die UN-Abteilung für Friedenseinsätze telefoniert die potenziellen Entsendestaaten ab, aber sie bekommt Absagen reihum. Inzwischen mussten sogar Soldaten von anderen UN-Missionen abgezogen werden, aus Haiti oder Westafrika, um die Truppe im Südsudan zu verstärken. In diesen vier Monaten hat sich das, was als vom ethnischen Hass befeuerter Machtkampf in der Hauptstadt Juba begann, zu einer rassistischen Verfolgungskampagne ausgeweitet. Mit Massakern im ganzen Land, in Krankenhäusern, in Moscheen – besonders in Gegenden, in denen Öl gefördert wird. Das Öl ist der große Schatz des Südsudans. Ihn wollen die Politikercliquen beider Ethnien nicht miteinander teilen.

Sowohl der Präsident des Südsudan, ein Angehöriger des Stammes der Dinka, als auch sein Widersacher, der zum Stamm der Nuer zählt, peitschen ihre Truppen mit rassistischen Parolen auf. Der Rebellenführer, Riek Machar, warnt vielsagend vor einer „Dinkokratie“, die der Präsident errichten wolle – also einer Diktatur der Dinka. Präsident Salva Kiir hingegen wirft den Nuer vor, den Wohlstand des Landes an sich reißen zu wollen. Die Folgen dieser Hetzreden sind katastrophal.

Inzwischen dürften 1,2 Millionen Südsudanesen auf der Flucht sein. Mehr als zehntausend Zivilisten sind ermordet worden – Dinka und Nuer. Und die Staatengemeinschaft, die am 24. Dezember mit der UN-Resolution 2132 ihre „äußerste Beunruhigung und Besorgnis über die sich rasch verschärfende Sicherheits- und humanitäre Krise im Südsudan“ zu Papier gebracht hatte, ist mittlerweile mit anderen Konflikten beschäftigt.

Anders als in Ruanda im Jahr 1994 scheinen die Massaker im Südsudan keinem fertigen Drehbuch zu folgen. Aber die grausigen Szenen erinnern sehr an damals. Die Öl-Stadt Bentiu im Norden des Landes wurde bereits zu Beginn der Karwoche von Rebellen erobert. Doch die Details ihres Wütens dringen erst jetzt nach draußen, festgehalten in einem Bericht der UN-Mission im Südsudan. Danach hatten 300, vielleicht auch 400 Zivilisten vom Volk der Dinka in der Kali-Ballee-Moschee von Bentiu Zuflucht gesucht, schreibt die UN-Mission in ihrem Bericht. Die Nuer-Angreifer verrammelten die Türen der Moschee von außen und feuerten durch die Fenster hinein. Wer sich danach noch bewegte, wurde aus nächster Nähe erschossen. „Die Rebellen wählten Angehörige bestimmter Nationalitäten und Ethnien aus und eskortierten sie in Sicherheit, während die anderen getötet wurden“, schreiben die UN. Auch im Krankenhaus seien Männer, Frauen und Kinder getötet worden, weil sie Dinka waren oder sich nicht am Jubel über die Eroberung der Stadt beteiligt hätten. Über den Radiosender Bentiu FM sollen die Rebellen ihre Anhänger aufgerufen haben, Dinka-Frauen zu vergewaltigen – eine grausige Reminiszenz an das Hassradio, das 1994 in Ruanda die Völkermörder angefeuert hatte.

Diese Stadt ist während der vergangenen vier Monate schon mehrmals erobert und zurückerobert worden: ein Kreislauf des Mordens. Massaker an der Gruppe der Dinka folgten Massakern an den Nuer, der Völkermord trifft alle. Regierungstruppen und Rebellen versuchen inzwischen, sich im Terror zu überbieten, sagen Beobachter: Wenn sie die Menschen schon nicht mehr für sich gewinnen können, dann wollen sie sie wenigstens unterwerfen.

Die Blauhelme, immerhin, schauen nicht weg. Sie hoffen weiter auf Verstärkung und mühen sich, die Menschen zu schützen. Schon im Dezember, als das Töten begann, öffneten sie die Tore ihrer Lager für Flüchtlinge. Dies sei die Lehre aus Ruanda, erklärte damals der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. In Ruanda vor zwanzig Jahren hatten die UN-Soldaten weitgehend untätig zugeschaut, während die Hutu 800000 Menschen abschlachteten. Aber die Blauhelm-Truppe im Südsudan ist klein. Und sie ist nicht die einzige internationale Truppe im Land. Auch die ostafrikanische Staatengemeinschaft Igad hat Militär geschickt. Doch den Igad-Soldaten, vor allem jenen aus Uganda, haftet der Ruf an, parteiisch zu sein: Sie halten mehr oder weniger offen zur Regierung des Südsudan, sind also Teil des Problems.

70000 Südsudanesen haben inzwischen Zuflucht in den UN-Camps gesucht, aber echten Schutz gibt es dort nicht. Stacheldrahtzäune halten keine Gewehrkugeln oder Granaten auf. Am Karfreitag erst drangen 350 Rebellen in das UN-Gelände in der Stadt Bor ein. UN-Soldaten aus Indien, Nepal und Südkorea stellten sich den Angreifern zwar in den Weg, aber bevor sie diese zurückdrängen konnten, waren

58 Menschen tot, unter ihnen einige der Blauhelme selbst.

In den Lagern haben die UN gar schon begonnen, verängstigte Zivilisten nach Ethnien getrennt unterzubringen – Schilder empfehlen: Dinka links, Nuer rechts. Es ist eine pragmatische Maßnahme, um Racheakten und Schlägereien vorzubeugen, aber auch eine Kapitulation vor der Logik der rassistischen Agiteure – und das vielleicht gespenstischste Bild aus dem Südsudan in diesen Tagen, das nichts Gutes ahnen lässt.

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