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Er ist ziemlich groß, der Einfluss von Interessengruppen auf neue europäische Richtlinien. Die Reform des Datenschutzes, die seit mehr als drei Jahren in Brüssel verhandelt wird, gilt für Transparency International als Paradebeispiel: Internetkonzerne hätten versucht, massiv Einfluss auf die Verordnung zu nehmen, klagt Christian Humborg, Geschäftsführer der Antikorruptionsorganisation. Wortgleich hätten sich Passagen aus Stellungnahmen amerikanischer IT-Konzerne in Änderungsanträgen von Europaparlamentariern wiedergefunden, wie Recherchen der Initiative Lobbyplag zeigten.



Die Europa-Abgeordneten stehen im Parlament in Brüssel. Ihre Entscheidungen sollen noch zu stark durch Lobbygruppen beeinflusst werden.

Für Transparency ist das nur einer von vielen kritischen Fällen. EU-Regeln gegen Korruption gebe es zwar, doch diese würden oft nicht umgesetzt, analysiert die Organisation in einer neuen Studie. So kritisierte Transparency unter anderem, dass die Erklärungen über Nebeneinkünfte der Europaparlamentarier nicht kontrolliert würden. Wechselten EU-Kommissionsbeamte in den Privatsektor, würden die – oftmals interpretierbaren – Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten zu lax ausgelegt. Es mangele auch noch immer am Schutz für „Whistleblower“, Hinweisgeber aus dem Inneren des Apparats. Ganz allgemein reiche aber nicht aus, was Brüssel dem ausufernden Lobbyismus entgegensetze, sagte der Leiter der Studie, Mark Perera, am Donnerstag bei der Vorstellung des Berichts in Brüssel.

Die EU-Institutionen machten zwar viele Dokumente und Informationen aus ihren Entscheidungsprozessen öffentlich zugänglich, vor allem das EU-Parlament. Viele wichtige Verhandlungen liefen aber hinter verschlossenen Türen ab. Das betreffe insbesondere die sogenannten Triloge, also jene diskreten Unterredungen zwischen Vertretern von EU-Parlament, Rat und Kommission, die bei Gesetzgebungsvorhaben das entscheidende Glied in der Kette sind. Allein in der vergangenen Legislaturperiode habe es mehr als 1500 „Triloge“ gegeben. Doch mitunter sei nicht mal mehr zu eruieren gewesen, an welchen Daten sich die Vertreter der Institutionen zusammengesetzt hatten, klagte Perera.

Er mahnte auch ein verbindliches Lobbyregister aller Interessenvertreter in Brüssel an. Das würde zumindest eine Dunkelziffer aufklären. Konservative Schätzungen gehen nämlich davon aus, dass sich in Brüssel 15000 Lobbyisten tummeln. Doch niemand vermag verlässlich zu sagen, ob es nicht vielleicht doch doppelt so viele sind, wieNichtregierungsorganisationen munkeln. Klarheit sei allein schon deshalb wünschenswert, weil „die letzten EU–Korruptionsskandale allesamt auch Lobbyskandale waren“, erklärte der Leiter des Transparency-Büros in Brüssel, Carl Dolan.

Seine Mitarbeiter hatten über einen Zeitraum von neun Monaten gleich zehn EU-Institutionen untersucht, darunter das Europäische Parlament, die EU-Kommission, den Europäischen Rat sowie die Justizbehörde Eurojust und das Polizeiamt Europol – nicht aber die Zentralbank in Frankfurt, aus Zeitgründen, wie es hieß. Dabei ging es auch nicht um die Aufdeckung oder Aufklärung konkreter Sachverhalte. Die Einrichtungen wurden vielmehr strukturell geprüft – mit Blick auf Unabhängigkeit, Transparenz, Ressourcen, Rechenschaftspflicht und Integrität.

Das Ergebnis: Obwohl laut Transparency gleich 70 Prozent der Europäer die Korruption in EU-Institutionen für gegeben ansehen, steht „Brüssel“ weder besser noch schlechter als die 28 EU-Mitgliedsstaaten da. Auch Deutschland kommt in der Studie übrigens vergleichsweise schlecht weg. „Europäische Institutionen haben in manchen Bereichen wirksamere Regeln zur Vermeidung von Korruption als deutsche“, heißt es in dem Papier. Die Veröffentlichung von Dokumenten im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens seien umfassender als in Deutschland, schreiben Fachleute von Transparency. Auch die Vorgaben für die Parteienfinanzierung forderten mehr Transparenz.

Für eine Kontroverse sorgte derweil die Kritik von Transparency am Europaparlament. Die Abgeordnetenkammer sei die einzige der zehn untersuchten EU-Institutionen gewesen, die sich an der Studie nicht aktiv beteiligt habe, klagten die Transparency-Vertreter. In einem von Parlamentspräsident Schulz (SPD) unterschriebenen Brief, heißt es, das Europaparlament sei bereits eine „extrem transparente Institution“, zudem werde es von internen Prüfern, dem Haushaltskontrollausschuss, dem Europäischen Rechnungshof und OLAF kontrolliert.

Schützenhilfe bekam Schulz ausgerechnet von einer seiner schärfsten Kritikerinnen, der CDU–Europaparlamentarierin Ingeborg Gräßle. Sie zeigte sich verwundert, dass Transparency ihre Bitte um Kooperation an das Generalsekretariat des Europaparlaments gerichtet habe, also an die Parlamentsverwaltung. Dies unterlaufe die Freiheit des Mandats: „Wir Abgeordnete sind nicht bessere Verwaltungsbeamte, sondern unseren Wählern verantwortlich.“

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