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„Ein vergiftetes Geschenk“

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Ein 45-jähriger Mann, der seine Familie oder einen Kredit mit einer Risikolebensversicherung absichern will, zahlt mindestens 194 Euro im Jahr und damit 259 Prozent mehr als ein 30 Jahre alter Mann unter sonst gleichen Bedingungen – Nichtraucher, Versicherungssumme 150000 Euro. Das Alter ist eine entscheidende Größe bei der Preisfindung.




Altersunabhängige Beiträge könnten zu höheren Kosten für alle führen

Das könnte bald anders sein. Die Europäische Kommission will mehr Gleichbehandlung von Menschen unterschiedlichen Alters durchsetzen. Ihr Vorschlag einer Antidiskriminierungsrichtlinie würde die Versicherer in Sachen Altersbewertung neuen Regeln unterwerfen.

Dass die Kommission damit die Versicherer gegen sich aufbringen würde, war von vornherein klar. Doch nun hagelt es vonseiten der Verbraucherschützer Kritik für den Vorschlag. Sie bezweifeln, dass ihre Klientel von der altersneutralen Behandlung profitieren würde. Sie würde zwar Senioren nicht länger benachteiligen, die bisher häufig zu Unrecht höhere Beiträge zahlen müssten. Doch die Verbraucherschützer fürchten, dass die altersunabhängige Bewertung zu steigenden Beiträgen für alle Versicherten führt.

Versicherer berücksichtigen das Kundenalter bei der Kalkulation der Prämien für Personenversicherungen, dazu zählen Kranken-, Lebens-, Pflege- und Berufsunfähigkeitspolicen. Davon schließen sie auf das Erkrankungs- und Sterberisiko. Ältere Personen erhalten den Schutz nur gegen höhere Beiträge, denn sie verursachen mit höherer Wahrscheinlichkeit als junge Versicherte Schäden, für die der Versicherer aufkommen muss. Auch auf die Beiträge für Kfz-Haftpflichtversicherungen hat das Alter einen direkten Einfluss: Jungen und besonders betagten Fahrern unterstellen Versicherer ein erhöhtes Unfallrisiko.

Wird die Antidiskriminierungsrichtlinie vom Europäischen Rat verabschiedet, dürfen Versicherer nicht länger unterschiedliche Prämien für junge und ältere Kunden berechnen. Nur wenn das Alter das Risiko unmittelbar beeinflusst, könnte es Ausnahmen geben: Einen Altersaufschlag müssten die Versicherer dann durch exakte Daten und Statistiken rechtfertigen. Damit würde die EU drastisch in die Risikobewertung der Unternehmen eingreifen. Das EU-Parlament nahm den Richtlinienvorschlag bereits an. Wann die Abstimmung im Europäischen Rat erfolgt, steht noch nicht fest.

Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament, findet die Bewertung von Risiken nach dem Alter nur dann richtig, wenn ein direkter Zusammenhang zwischen den Lebensjahren und dem Schadenaufkommen besteht, nicht aber bei einem rein statistischen Phänomen. Das liegt vor, wenn vorwiegend ältere Menschen eine Police kaufen, und diese Altersgruppe entsprechend mehr Schäden verursacht. Bei einigen Produkten spricht jedoch nichts gegen die Altersbewertung, findet Giegold: „Eine Rentenversicherung ohne jegliche Berücksichtigung des Alters der Versicherten kann ich mir kaum vorstellen.“

Ein scharfer Kritiker der geplanten Richtlinie ist Hans-Georg Jenssen vom Verband Deutscher Versicherungsmakler. „Es ist doch ein Unterschied, ob jemand mit 20 Jahren oder erst mit 70 eine Krankenversicherung abschließt”, sagt er. Ohne Berücksichtigung des Alters müssten junge Versicherte im Versicherungskollektiv die höheren Erkrankungs- und Sterberisiken älterer Versicherter mittragen. Die Policen würden im Vergleich zur heutigen Situation für sie teurer werden. Vergleichsweise günstiger würden die Beiträge für sie erst im Alter. „Wenn die Jüngeren überwiegend die Verlierer wären, ist das ein vergiftetes Geschenk der Politik“, meint Jenssen.Vor steigenden Prämien warnt auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Die altersneutrale Kalkulation verhindere risikogerechte Tarife. Damit würde „das durchschnittliche Prämienniveau insgesamt deutlich steigen“.

Für mehr Gleichbehandlung sorgte die Politik bereits mit den im Jahr 2012 eingeführten Einheitsprämien für Männer und Frauen. Zuvor berechneten die Versicherer unterschiedliche Beiträge entsprechend der geschlechtsspezifischen Lebenserwartung und Sterbewahrscheinlichkeit. Die Lage der jeweils Benachteiligten habe sich durch die Einführung der Unisex-Tarife allerdings kaum verbessert, moniert Axel Kleinlein, Chef des Bundes der Versicherten. Ähnliches fürchtet er bei der altersneutralen Bewertung: Berufsunfähigkeits- und Risikolebenspolicen würde es in vielen Fällen nicht mehr zu bezahlbaren Preisen geben. „Dann geht es allen gleich, aber eben gleich schlecht“, sagt er. Das träfe gerade Familiengründer und Alleinverdiener, die diesen Schutz dringend nötig haben.

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