Eine lange Straße, ein Vorstadthotel, wer hier absteigt, der erfährt schon am Eingang, dass die Rheinländer nach den tollen Tagen keineswegs die Absicht haben, Trübsal zu blasen. Der „Tanz in den Mai“ steht an, so verkündet es ein Plakat, die Maikönigin ist zu wählen, und vorher ist noch der Maibaum aufzustellen. Es ist ganz schön was los im Kölner Vorort Godorf, aber es könnte sein, dass der eine oder andere Hotelgast mit diesen Dingen derzeit nicht viel anfangen kann. Zum Beispiel die beiden afghanischen Familien, die seit vielen Wochen im ersten Stock wohnen. Die Familien Maqsudi und Samim.
Eigentlich hätte dies die Geschichte eines Happy Ends sein sollen. Zwei Afghanen, viele Jahre als Dolmetscher in Diensten der Bundeswehr, schaffen es nach langer Ungewissheit, zusammen mit ihren Frauen und Kindern in Deutschland Aufnahme zu finden. In der Sicherheit. Die Angst, was aus ihnen werden soll, jetzt, da die Bundeswehr das Land verlässt, die Todesangst, dass sich die Taliban an ihnen rächen könnten für ihre Treue den Deutschen gegenüber - alles vorbei. Das Kaff am Südrand von Köln mag vielleicht nicht aussehen wie die Endstation Sehnsucht, aber es hätte für die beiden Familien dazu werden können. Hätte.
Von Masar-i-Sharif nach Köln. Doch so hübsch wie auf diesem Panoramabild sieht die Stadt für geflohene afghanische Dolmetscher, die für die Bundeswehr gearbeitet haben, nicht aus.
Mohamed Daoud Maqsudi, 33, trifft mit seiner hochschwangeren Frau und seinen drei kleinen Kindern am 15. Januar am Kölner Flughafen ein. Die Familie wird abgeholt und in das Hotel in Godorf gebracht. Es wartet ein Zimmer von höchstens zehn Quadratmetern mit zwei Betten. Mal schlafen die Kinder auf dem Boden, mal die Erwachsenen. Das ungleich größere Problem jedoch ist, dass die Familie keine Hilfe bekommt. Keinen Ansprechpartner hat, keine Informationen, keine Adressen - nichts. Dass es für Leute wie sie ein Jobcenter gibt, ein Ausländeramt, Beratungsstellen, Sozialdienste, niemand sagt es ihnen.
Essenspakete, immerhin, die erhalten sie, aber es ist kalte Nahrung, Käse, hart gekochte Eier, ungewohnt für die Kinder, ungeeignet für eine Frau im achten Monat. Von der segensreichen Einrichtung der „Tafel“ weiß Maqsudi nichts. Wochen später, als sich schließlich ein Sozialarbeiter der Familie annimmt und erst mal einen Krankenhaustermin macht für die Schwangere, da stellt sich heraus, dass der Embryo Untergewicht hat. Der Sozialarbeiter sammelt Geld in seinem Bekanntenkreis und geht mit der Familie in den Supermarkt Essen kaufen. Es ist ein Großeinkauf, und es ist, mitten in Deutschland, ein Versuch, gegen Hunger anzugehen.
In den Wochen davor ist es ein einsamer Kampf. Maqsudi, der Familienvater, hat keine Wahl, er muss versuchen, sich auf eigene Faust im Kölner Ämterdschungel zurechtzufinden. Aber er spricht noch kein Deutsch, die Formulare, die man ihm in die Hand drückt, versteht er nicht. Er wird herumgeschickt, abgewimmelt, zurückgewiesen, er ist ein lästiger Fremder, und so behandelt man ihn. „Wie Dreck“, sagt einer, der es miterlebt hat.
Es ist zum Verzweifeln, und es gibt Tage, da bringt Daoud Maqsudi diese Verzweiflung auch zum Ausdruck. „Gehe ich eben zurück nach Afghanistan“, sagt er dann, „und lasse mich erschießen.“ Nur einmal wird Hilfe geleistet. Aber nicht von einem Deutschen. Nicht von einer Kölner Behörde. Es ist ein in Köln lebender Deutschafghane, an den Daoud Maqsudi sich in seinem Elend wendet. Er hat keinen Boden unter die Füße bekommen, und nun hat er auch kein Geld mehr. Der Deutschafghane leiht ihm tausend Euro.
Köln hat 4000 Asylsuchende, in den Behörden sind die Herzen hart geworden, niemand scheint dort zu wissen, dass Afghanen wie Mohamed Daoud Maqsudi gar keine Asylbewerber sind, sondern Menschen, die sich hier niederlassen dürfen. Weil sie nach ihrem hochriskanten Einsatz für die Bundeswehr in Afghanistan gefährdet sind. Sie haben Deutschland unschätzbar wertvolle Dienste geleistet, und dank ihrer Orts- und Menschenkenntnis waren sie weit mehr als nur Dolmetscher. Wenn es auf Patrouille ging, dann waren es nur zu oft die Maqsudis, die tödliche Gefahren rechtzeitig voraussahen. Es sind Leute, denen Deutschland etwas schuldet – und die es nicht verdient haben, ignoriert, vernachlässigt oder als Bittsteller herumgeschubst zu werden. Doch es geht sogar noch schlimmer als im Fall Maqsudi.
Am 26. Februar trifft Abdul Ahad Samim mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter in Köln ein. Samim, 24, ist einer, um den man sich ganz besonders kümmern müsste. Als am 25. Mai 2011 in der Nähe von Kundus ein Gefechtsfahrzeug vom Typ Fuchs in eine Sprengfalle gerät und der darin sitzende Hauptmann Markus Matthes von der Sprengkraft der Explosion getötet wird, da sitzt sein Dolmetscher Abdul Ahad Samim neben ihm – und überlebt, äußerlich nahezu unversehrt. Aber seither trägt er ein schweres Trauma mit sich herum. Er kommt mit Druck nicht mehr zurecht, er schwitzt schnell, wird nervös, hat Gedächtnislücken und immer wieder Kopfschmerzen, als würde sein Kopf mit einem Hammer bearbeitet.
Eigentlich müsste man ihn vom Flughafen weg zum Therapeuten bringen. Aber es ist niemand da, um die Familie abzuholen. Niemand. Glaubt man das? Der Mann hätte seine Loyalität fast mit dem Leben bezahlt, und zum Dank setzt man ihn in einer fremden Stadt einem Albtraum aus. Es ist Karneval, die ganze Stadt ist jeck, und mittendrin eine verzweifelte Familie, die den Eindruck haben muss, sie wäre in einem Irrenhaus gelandet. Bei einem Verwandten im Stadtteil Mülheim findet sie Unterschlupf, aber die Wohnung ist klein, zu klein für eine Familie, viel zu klein für zwei Familien. Die Nachbarn beschweren sich.
Wieder macht sich einer auf in den Behördendschungel. Wieder kommt er nicht weit. Seine Heiratsurkunde wird abgelehnt, weil sie auf Englisch abgefasst ist und nicht wie vorgeschrieben auf Deutsch. Man fragt ihn nach der Meldebescheinigung, er versteht das Wort nicht und wird weggeschickt. Als er sagt, sein Gastgeber könne ihn, Samim, und seine Familie nicht auf Dauer beherbergen und durchfüttern, sagt man ihm, er solle das „schriftlich nachweisen“. In der Kreissparkasse Köln, wo sie offenbar die Namen ausländischer neuer Kunden mit denen von Terrorverdächtigen abgleichen, denken sie zunächst, Samim könnte zu den Taliban gehören, ehe sich der Irrtum aufklärt.
Auch bei Abdul Ahad Samim kommt der Tag, da möchte er am liebsten nach Afghanistan zurückreisen. Aber dann trifft er seinen Landsmann und Dolmetscherkollegen Maqsudi. Der hat Hilferufe abgesetzt über das Internet, und so erfährt schließlich und eher zufällig der Sozialdienst der Bundeswehr von der Sache. Erst jetzt, sechs Wochen nach Ankunft der Familie, bekommt sie Unterstützung. Später wird sich ein Presseoffizier der Bundeswehr, Oberstleutnant Michael Backhaus, gegenüber der SZ damit brüsten: „Wo wir was sehen, da gucken wir nicht weg sondern tun etwas. Wir helfen, wo wir können.“
Tatsächlich jedoch erweisen sie sich im Sozialdienst der Bundeswehr als recht ausdauernd im Weggucken. Eine schwangere Frau leidet Schmerzen, sie ist offensichtlich unterversorgt und braucht dringend Hilfe, doch der Sozialdienst lässt Wochen untätig verstreichen, bis schließlich ein Sozialarbeiter den Fall übernimmt. Nun hat die Familie Maqsudi erstmals Glück. Denn das ist ein Mann, der sich offenbar anrühren lässt vom Schicksal der Familie, und als Mohamed Daoud Maqsudi ihm von der Not der Familie Samim erzählt, da übernimmt er deren Betreuung gleich mit und besorgt ihr ebenfalls ein Zimmer in dem Hotel in Godorf.
Schwierig war die Situation der zwei Dolmetscher schon lange. Bereits 2012, bei einer Begegnung in Masar-i-Scharif, redete Mohamed Daoud Maqsudi von seinen Sorgen und Ängsten. Es war nicht der Krieg, der begleitet ihn schon das ganze Leben. Es waren nicht die Sprengfallen, die Bomben, die Hinterhalte, die waren Teil des Risikos, das Maqsudi eingegangen war, als er sich vom deutschen Militär als Mitarbeiter hatte verpflichten lassen. Es war vielmehr das bedrohliche Gefühl, dass er auf die Todeslisten der Taliban geraten könnte - als Verräter, als Kollaborateur der Invasoren. Er tat alles, um nicht aufzufallen. Er fuhr ein Auto, das lackiert war wie ein Taxi. Auf dem täglichen Weg ins Feldlager der Deutschen wechselte er die Routen. War er mit einem Einsatztrupp auf Patrouille, dann versuchte er sich in den Dörfern neugierigen Blicken durch Vermummung zu entziehen, mit Sonnenbrille, Helm und Halstuch. In der Nachbarschaft verbreitete er die Legende, er arbeite für eine Baufirma und nebenher als Taxifahrer. Aber dann war doch wieder mal eine Pressekonferenz im Lager, natürlich gab es etwas zu dolmetschen - und prompt geriet Maqsudi ins Fernsehen oder in die Zeitung.
Wurde er darauf angesprochen, dann log er, das müsse ein Irrtum sein. Aber Maqsudi wusste, dass er den Kampf um die Bewahrung seines Geheimnisses längst verloren hatte, und das erfüllte ihn mit schlimmen Befürchtungen. Je näher der Abzug der deutschen Truppen rückte, desto größer wurden seine Sorgen. Würde man ihn und seine Familie mitnehmen nach Deutschland? Würde man ihnen ein Schlupfloch öffnen heraus aus der Gefahr? Oder würde man sie schutzlos zurücklassen? Hunderte afghanische Ortskräfte stellten sich diese Fragen, und die Antworten, die sie bekamen, waren für die meisten eine große Enttäuschung.
Mohamed Daoud Maqsudi aber gehörte zu den Glücklichen. Er wurde als „konkret gefährdet“ eingestuft und bekam eine „Aufnahmezusage“. Der Weg ins gelobte Land allerdings ist mit Hindernissen nur so gespickt. Die Geburtsurkunde oder die Heiratsurkunde beizubringen, mag anderswo ein kurzer Behördengang sein. In Afghanistan bedeutet es: gefährliche Reisen machen, korrupte Beamte bestechen, Übersetzungen anfertigen lassen, Übersetzungen beglaubigen lassen, Stempel sammeln und immer noch mehr Stempel. Es ist eine Sache von Wochen oder Monaten.Kein gutes Verfahren für einen, der konkret gefährdet ist, und wie konkret die Gefahr war, das wurde Ende letzten Jahres deutlich. Es begann mit einem Telefonanruf. Wir kennen dich, hörte Maqsudi eine Stimme sagen, wir kennen dein Haus, wir kennen die Schule deiner Kinder. Was soll das, antwortete Maqsudi, ich bin Taxifahrer, du musst eine falsche Nummer gewählt haben. Fortan wechselte die Familie die Wohnungen, wohnte mal hier, mal da, ließ die Kinder nicht mehr weg. Es war ein Versuch, eine Gefahr abzuwehren, die nicht mehr abzuwehren war. Die Schüsse kamen wenig überraschend.
Maqsudi war mit dem Auto unterwegs, als er zwei Männer mit einem Motorrad am Straßenrand sah. Sie winkten. Es sah aus wie eine Bitte um Pannenhilfe. Maqsudi trat auf die Bremse, aber als er näher kam, sah er Pistolen in den Händen der Männer. Er gab wieder Gas, dann hörte er drei Schüsse. Zwei Projektile prallten an der Fahrertür ab, eines blieb an der Innenverkleidung stecken. Im Rückspiegel sah er, wie die Täter mit dem Motorrad die Verfolgung aufnahmen, dann fiel noch ein Schuss, die Kugel fand man später im Kofferraum. Maqsudi meldete den Vorfall seinen deutschen Vorgesetzten. Kurz danach hieß es, er könne sein Visum bei der Deutschen Botschaft in Kabul abholen.
Auf Abdul Ahad Samim wurden keine Schüsse abgefeuert. Aber manchmal stellt sich das Entsetzen auch ein, wenn man gar nicht persönlich betroffen ist. Vielleicht ist es dann sogar noch größer, weil all die unbeantworteten schrecklichen Fragen der Phantasie so viel Raum geben. Wie kam die Leiche in den Kofferraum? Wie geriet der Mann in die Hände der Täter? Mohamed Jawad Wafa war Dolmetscher im Feldlager Kundus, er war Samims langjähriger Kollege, und er war, genau wie Samim, auf dem Weg nach Deutschland. Aber in diesem Fall war das Prozedere nicht nur lang, es war zu lang. Vor der Abreise kamen die Mörder.
Sie erdrosselten den 25-Jährigen offenbar mit einem Kabel und warfen ihn mit gefesselten Händen und einer Plastiktüte über dem Kopf in den Kofferraum eines Toyota Corolla. Für die Deutschen war das ein unangenehmer Fall, denn er schien genau das zu bestätigen, was ihre Ortskräfte schon immer vorausgesagt hatten. Vor allem aber ließ er ihr Auswahl- und Ausreiseverfahren als unangemessen langsam und bürokratisch und letztlich weltfremd erscheinen. Nicht wirklich überraschend, dass man im deutschen Lager sehr schnell zu dem Schluss kam, die Taliban könnten die Tat nicht begangen haben.
Dagegen spricht, dass Wafa zuvor einen Drohbrief der Islamisten erhalten hatte und dass Drohanrufe auch bei seinen Brüdern eingegangen waren. Für Samim blieben da nur noch wenige Zweifel. Ich könnte der Nächste sein, dachte er. Die Angst verließ ihn nicht mehr bis zum Abflug.
Kaum zu glauben, was an Stress so alles hineinpasst in ein afghanisches Leben, und zum Schluss dann auch noch eine finanzielle Belastung. Die Bundeswehr nimmt die ausreisenden Ortskräfte nicht in ihren Flugzeugen mit, sie lässt sie ihre Flüge selber buchen und bezahlen. Für die fünfköpfige Familie Maqsudi bedeutete das einen Preis von 3717 Dollar, für Samim über 2000 Dollar. Dass es dann, in Samims Fall, mit dem Abholen nicht klappte, erklärt das Bundesinnenministerium damit, dass der Betreffende seine Flugdaten offenbar nicht frühzeitig genug mitgeteilt habe. Tatsächlich hat Samim sie sogar dreimal durchgegeben, und mit jeder Mail, sagt er, habe er es dringlicher gemacht.
Auch für die fehlende Unterstützung in den ersten Wochen hat das Ministerium eine Erklärung. Auf die vielen Migrationsberatungsstellen in Deutschland würden die Ortskräfte eigens in einem Informationsblatt hingewiesen, das ihnen vor der Ausreise von der Deutschen Botschaft in Kabul ausgehändigt würde. Soll heißen: Selber schuld, wenn sie das nicht lesen. Ein halbes DIN-A4-Blatt ist die Stellungnahme des Innenministeriums lang, eine Entschuldigung oder auch nur ein Bedauern sucht man vergebens. Fälle wie die der Familien Maqsudi und Samim seien bisher ohnehin „nur vereinzelt“ aufgetreten.
Wahr ist das nicht. In einem internen Schreiben der Bundeswehr, das der SZ vorliegt, heißt es, dass solche Problemfälle „häufiger“ vorkämen. Gewiss gibt es auch positive Beispiele. Kleinere Gemeinden organisieren die Aufnahme zum Teil vorbildlich und stehen den eingereisten Afghanen bei ihren ersten Schritten im neuen Land intensiv zur Seite. Köln indes hat großen Nachholbedarf, aber wenigstens sind die beiden Familien jetzt in den guten Händen eines Mannes, dessen Hilfsbereitschaft kaum Grenzen zu kennen scheint. Samim und Maqsudi schwärmen geradezu von ihm, was er alles für sie tue und organisiere, sogar in seiner Freizeit, sogar mit seinem Privatgeld.
Der Familie Maqsudi hat der Mann ein bisschen Luft verschafft, indem er ihr in dem Hotel in Godorf zusätzlich zu dem kleinen Zimmerchen noch ein zweites besorgt hat. Inzwischen hat er eine schöne, große Wohnung gefunden, in die die Familie demnächst einziehen wird. Für Samim hat er einen Kontakt zu einem Psychiater hergestellt. Er war zur Stelle, als sich vor dem Hotel in Godorf, in dem noch andere Ausländer untergebracht sind, eine kleine Gruppe von Fremdenfeinden versammelte. Deutschland ist deutsch, krakeelten die, und es war gut, dass da einer der Familie Maqsudi den Weg zum Eingang bahnte. Dank des Helfers haben die Behörden viel von ihrem Schrecken verloren, bald wird hoffentlich ein gesundes Kind geboren werden und auch sonst alles gut.
Zumindest so gut wie möglich, wenn man sich Sorgen macht um die Eltern und die Verwandten in der Heimat. Wenn man an die Kollegen im Sprachendienst denkt, die Freunde, die zurückgeblieben sind und weiter mit ihrer Angst leben müssen. 1700 Ortskräfte hatte die Bundeswehr in Afghanistan und hat sie zum Teil immer noch. 960 von denen haben angegeben, sie fühlten sich bedroht und gefährdet, doch zugesagt wurde eine Aufnahme bislang weniger als einem Drittel, und eingetroffen sind sowieso erst 107. Zusammen mit Ehefrauen und Kindern sind es 346 Personen. Nicht gerade eine Invasion.
Wenn Maqsudi und Samim typisch sind, dann handelt es sich um gebildete Menschen mit hervorragenden Zeugnissen von ihren deutschen Vorgesetzten, um Menschen, die vorankommen wollen und Deutschland als Chance begreifen – so man sie ihnen denn gibt. Mohamed Daoud Maqsudi, Lehrer von Beruf, würde gerne ein Handwerk lernen, Samim würde gerne sein Studium der Wirtschaftswissenschaften fortsetzen. Klar, manches muss vorher noch geregelt werden, mit hämmernden Kopfschmerzen lernt es sich schlecht. Auch müssen sie erst noch perfekt Deutsch sprechen lernen, doch das dürfte kein großes Hindernis sein, schon werfen sie die eine oder andere deutsche Wendung in die Englisch geführte Unterhaltung.
Man sitzt im Schankraum ihres Hotels, er ist noch nicht geöffnet, niemand bedient, aber Maqsudi rennt nach oben in sein Zimmer, wo er einen Kocher hat, und kommt mit einem frisch aufgebrühten Kaffee für den Gast wieder herunter. Er sei hier zu Hause, sagt er, er sei der Gastgeber.
Eigentlich hätte dies die Geschichte eines Happy Ends sein sollen. Zwei Afghanen, viele Jahre als Dolmetscher in Diensten der Bundeswehr, schaffen es nach langer Ungewissheit, zusammen mit ihren Frauen und Kindern in Deutschland Aufnahme zu finden. In der Sicherheit. Die Angst, was aus ihnen werden soll, jetzt, da die Bundeswehr das Land verlässt, die Todesangst, dass sich die Taliban an ihnen rächen könnten für ihre Treue den Deutschen gegenüber - alles vorbei. Das Kaff am Südrand von Köln mag vielleicht nicht aussehen wie die Endstation Sehnsucht, aber es hätte für die beiden Familien dazu werden können. Hätte.
Von Masar-i-Sharif nach Köln. Doch so hübsch wie auf diesem Panoramabild sieht die Stadt für geflohene afghanische Dolmetscher, die für die Bundeswehr gearbeitet haben, nicht aus.
Mohamed Daoud Maqsudi, 33, trifft mit seiner hochschwangeren Frau und seinen drei kleinen Kindern am 15. Januar am Kölner Flughafen ein. Die Familie wird abgeholt und in das Hotel in Godorf gebracht. Es wartet ein Zimmer von höchstens zehn Quadratmetern mit zwei Betten. Mal schlafen die Kinder auf dem Boden, mal die Erwachsenen. Das ungleich größere Problem jedoch ist, dass die Familie keine Hilfe bekommt. Keinen Ansprechpartner hat, keine Informationen, keine Adressen - nichts. Dass es für Leute wie sie ein Jobcenter gibt, ein Ausländeramt, Beratungsstellen, Sozialdienste, niemand sagt es ihnen.
Essenspakete, immerhin, die erhalten sie, aber es ist kalte Nahrung, Käse, hart gekochte Eier, ungewohnt für die Kinder, ungeeignet für eine Frau im achten Monat. Von der segensreichen Einrichtung der „Tafel“ weiß Maqsudi nichts. Wochen später, als sich schließlich ein Sozialarbeiter der Familie annimmt und erst mal einen Krankenhaustermin macht für die Schwangere, da stellt sich heraus, dass der Embryo Untergewicht hat. Der Sozialarbeiter sammelt Geld in seinem Bekanntenkreis und geht mit der Familie in den Supermarkt Essen kaufen. Es ist ein Großeinkauf, und es ist, mitten in Deutschland, ein Versuch, gegen Hunger anzugehen.
In den Wochen davor ist es ein einsamer Kampf. Maqsudi, der Familienvater, hat keine Wahl, er muss versuchen, sich auf eigene Faust im Kölner Ämterdschungel zurechtzufinden. Aber er spricht noch kein Deutsch, die Formulare, die man ihm in die Hand drückt, versteht er nicht. Er wird herumgeschickt, abgewimmelt, zurückgewiesen, er ist ein lästiger Fremder, und so behandelt man ihn. „Wie Dreck“, sagt einer, der es miterlebt hat.
Es ist zum Verzweifeln, und es gibt Tage, da bringt Daoud Maqsudi diese Verzweiflung auch zum Ausdruck. „Gehe ich eben zurück nach Afghanistan“, sagt er dann, „und lasse mich erschießen.“ Nur einmal wird Hilfe geleistet. Aber nicht von einem Deutschen. Nicht von einer Kölner Behörde. Es ist ein in Köln lebender Deutschafghane, an den Daoud Maqsudi sich in seinem Elend wendet. Er hat keinen Boden unter die Füße bekommen, und nun hat er auch kein Geld mehr. Der Deutschafghane leiht ihm tausend Euro.
Köln hat 4000 Asylsuchende, in den Behörden sind die Herzen hart geworden, niemand scheint dort zu wissen, dass Afghanen wie Mohamed Daoud Maqsudi gar keine Asylbewerber sind, sondern Menschen, die sich hier niederlassen dürfen. Weil sie nach ihrem hochriskanten Einsatz für die Bundeswehr in Afghanistan gefährdet sind. Sie haben Deutschland unschätzbar wertvolle Dienste geleistet, und dank ihrer Orts- und Menschenkenntnis waren sie weit mehr als nur Dolmetscher. Wenn es auf Patrouille ging, dann waren es nur zu oft die Maqsudis, die tödliche Gefahren rechtzeitig voraussahen. Es sind Leute, denen Deutschland etwas schuldet – und die es nicht verdient haben, ignoriert, vernachlässigt oder als Bittsteller herumgeschubst zu werden. Doch es geht sogar noch schlimmer als im Fall Maqsudi.
Am 26. Februar trifft Abdul Ahad Samim mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter in Köln ein. Samim, 24, ist einer, um den man sich ganz besonders kümmern müsste. Als am 25. Mai 2011 in der Nähe von Kundus ein Gefechtsfahrzeug vom Typ Fuchs in eine Sprengfalle gerät und der darin sitzende Hauptmann Markus Matthes von der Sprengkraft der Explosion getötet wird, da sitzt sein Dolmetscher Abdul Ahad Samim neben ihm – und überlebt, äußerlich nahezu unversehrt. Aber seither trägt er ein schweres Trauma mit sich herum. Er kommt mit Druck nicht mehr zurecht, er schwitzt schnell, wird nervös, hat Gedächtnislücken und immer wieder Kopfschmerzen, als würde sein Kopf mit einem Hammer bearbeitet.
Eigentlich müsste man ihn vom Flughafen weg zum Therapeuten bringen. Aber es ist niemand da, um die Familie abzuholen. Niemand. Glaubt man das? Der Mann hätte seine Loyalität fast mit dem Leben bezahlt, und zum Dank setzt man ihn in einer fremden Stadt einem Albtraum aus. Es ist Karneval, die ganze Stadt ist jeck, und mittendrin eine verzweifelte Familie, die den Eindruck haben muss, sie wäre in einem Irrenhaus gelandet. Bei einem Verwandten im Stadtteil Mülheim findet sie Unterschlupf, aber die Wohnung ist klein, zu klein für eine Familie, viel zu klein für zwei Familien. Die Nachbarn beschweren sich.
Wieder macht sich einer auf in den Behördendschungel. Wieder kommt er nicht weit. Seine Heiratsurkunde wird abgelehnt, weil sie auf Englisch abgefasst ist und nicht wie vorgeschrieben auf Deutsch. Man fragt ihn nach der Meldebescheinigung, er versteht das Wort nicht und wird weggeschickt. Als er sagt, sein Gastgeber könne ihn, Samim, und seine Familie nicht auf Dauer beherbergen und durchfüttern, sagt man ihm, er solle das „schriftlich nachweisen“. In der Kreissparkasse Köln, wo sie offenbar die Namen ausländischer neuer Kunden mit denen von Terrorverdächtigen abgleichen, denken sie zunächst, Samim könnte zu den Taliban gehören, ehe sich der Irrtum aufklärt.
Auch bei Abdul Ahad Samim kommt der Tag, da möchte er am liebsten nach Afghanistan zurückreisen. Aber dann trifft er seinen Landsmann und Dolmetscherkollegen Maqsudi. Der hat Hilferufe abgesetzt über das Internet, und so erfährt schließlich und eher zufällig der Sozialdienst der Bundeswehr von der Sache. Erst jetzt, sechs Wochen nach Ankunft der Familie, bekommt sie Unterstützung. Später wird sich ein Presseoffizier der Bundeswehr, Oberstleutnant Michael Backhaus, gegenüber der SZ damit brüsten: „Wo wir was sehen, da gucken wir nicht weg sondern tun etwas. Wir helfen, wo wir können.“
Tatsächlich jedoch erweisen sie sich im Sozialdienst der Bundeswehr als recht ausdauernd im Weggucken. Eine schwangere Frau leidet Schmerzen, sie ist offensichtlich unterversorgt und braucht dringend Hilfe, doch der Sozialdienst lässt Wochen untätig verstreichen, bis schließlich ein Sozialarbeiter den Fall übernimmt. Nun hat die Familie Maqsudi erstmals Glück. Denn das ist ein Mann, der sich offenbar anrühren lässt vom Schicksal der Familie, und als Mohamed Daoud Maqsudi ihm von der Not der Familie Samim erzählt, da übernimmt er deren Betreuung gleich mit und besorgt ihr ebenfalls ein Zimmer in dem Hotel in Godorf.
Schwierig war die Situation der zwei Dolmetscher schon lange. Bereits 2012, bei einer Begegnung in Masar-i-Scharif, redete Mohamed Daoud Maqsudi von seinen Sorgen und Ängsten. Es war nicht der Krieg, der begleitet ihn schon das ganze Leben. Es waren nicht die Sprengfallen, die Bomben, die Hinterhalte, die waren Teil des Risikos, das Maqsudi eingegangen war, als er sich vom deutschen Militär als Mitarbeiter hatte verpflichten lassen. Es war vielmehr das bedrohliche Gefühl, dass er auf die Todeslisten der Taliban geraten könnte - als Verräter, als Kollaborateur der Invasoren. Er tat alles, um nicht aufzufallen. Er fuhr ein Auto, das lackiert war wie ein Taxi. Auf dem täglichen Weg ins Feldlager der Deutschen wechselte er die Routen. War er mit einem Einsatztrupp auf Patrouille, dann versuchte er sich in den Dörfern neugierigen Blicken durch Vermummung zu entziehen, mit Sonnenbrille, Helm und Halstuch. In der Nachbarschaft verbreitete er die Legende, er arbeite für eine Baufirma und nebenher als Taxifahrer. Aber dann war doch wieder mal eine Pressekonferenz im Lager, natürlich gab es etwas zu dolmetschen - und prompt geriet Maqsudi ins Fernsehen oder in die Zeitung.
Wurde er darauf angesprochen, dann log er, das müsse ein Irrtum sein. Aber Maqsudi wusste, dass er den Kampf um die Bewahrung seines Geheimnisses längst verloren hatte, und das erfüllte ihn mit schlimmen Befürchtungen. Je näher der Abzug der deutschen Truppen rückte, desto größer wurden seine Sorgen. Würde man ihn und seine Familie mitnehmen nach Deutschland? Würde man ihnen ein Schlupfloch öffnen heraus aus der Gefahr? Oder würde man sie schutzlos zurücklassen? Hunderte afghanische Ortskräfte stellten sich diese Fragen, und die Antworten, die sie bekamen, waren für die meisten eine große Enttäuschung.
Mohamed Daoud Maqsudi aber gehörte zu den Glücklichen. Er wurde als „konkret gefährdet“ eingestuft und bekam eine „Aufnahmezusage“. Der Weg ins gelobte Land allerdings ist mit Hindernissen nur so gespickt. Die Geburtsurkunde oder die Heiratsurkunde beizubringen, mag anderswo ein kurzer Behördengang sein. In Afghanistan bedeutet es: gefährliche Reisen machen, korrupte Beamte bestechen, Übersetzungen anfertigen lassen, Übersetzungen beglaubigen lassen, Stempel sammeln und immer noch mehr Stempel. Es ist eine Sache von Wochen oder Monaten.Kein gutes Verfahren für einen, der konkret gefährdet ist, und wie konkret die Gefahr war, das wurde Ende letzten Jahres deutlich. Es begann mit einem Telefonanruf. Wir kennen dich, hörte Maqsudi eine Stimme sagen, wir kennen dein Haus, wir kennen die Schule deiner Kinder. Was soll das, antwortete Maqsudi, ich bin Taxifahrer, du musst eine falsche Nummer gewählt haben. Fortan wechselte die Familie die Wohnungen, wohnte mal hier, mal da, ließ die Kinder nicht mehr weg. Es war ein Versuch, eine Gefahr abzuwehren, die nicht mehr abzuwehren war. Die Schüsse kamen wenig überraschend.
Maqsudi war mit dem Auto unterwegs, als er zwei Männer mit einem Motorrad am Straßenrand sah. Sie winkten. Es sah aus wie eine Bitte um Pannenhilfe. Maqsudi trat auf die Bremse, aber als er näher kam, sah er Pistolen in den Händen der Männer. Er gab wieder Gas, dann hörte er drei Schüsse. Zwei Projektile prallten an der Fahrertür ab, eines blieb an der Innenverkleidung stecken. Im Rückspiegel sah er, wie die Täter mit dem Motorrad die Verfolgung aufnahmen, dann fiel noch ein Schuss, die Kugel fand man später im Kofferraum. Maqsudi meldete den Vorfall seinen deutschen Vorgesetzten. Kurz danach hieß es, er könne sein Visum bei der Deutschen Botschaft in Kabul abholen.
Auf Abdul Ahad Samim wurden keine Schüsse abgefeuert. Aber manchmal stellt sich das Entsetzen auch ein, wenn man gar nicht persönlich betroffen ist. Vielleicht ist es dann sogar noch größer, weil all die unbeantworteten schrecklichen Fragen der Phantasie so viel Raum geben. Wie kam die Leiche in den Kofferraum? Wie geriet der Mann in die Hände der Täter? Mohamed Jawad Wafa war Dolmetscher im Feldlager Kundus, er war Samims langjähriger Kollege, und er war, genau wie Samim, auf dem Weg nach Deutschland. Aber in diesem Fall war das Prozedere nicht nur lang, es war zu lang. Vor der Abreise kamen die Mörder.
Sie erdrosselten den 25-Jährigen offenbar mit einem Kabel und warfen ihn mit gefesselten Händen und einer Plastiktüte über dem Kopf in den Kofferraum eines Toyota Corolla. Für die Deutschen war das ein unangenehmer Fall, denn er schien genau das zu bestätigen, was ihre Ortskräfte schon immer vorausgesagt hatten. Vor allem aber ließ er ihr Auswahl- und Ausreiseverfahren als unangemessen langsam und bürokratisch und letztlich weltfremd erscheinen. Nicht wirklich überraschend, dass man im deutschen Lager sehr schnell zu dem Schluss kam, die Taliban könnten die Tat nicht begangen haben.
Dagegen spricht, dass Wafa zuvor einen Drohbrief der Islamisten erhalten hatte und dass Drohanrufe auch bei seinen Brüdern eingegangen waren. Für Samim blieben da nur noch wenige Zweifel. Ich könnte der Nächste sein, dachte er. Die Angst verließ ihn nicht mehr bis zum Abflug.
Kaum zu glauben, was an Stress so alles hineinpasst in ein afghanisches Leben, und zum Schluss dann auch noch eine finanzielle Belastung. Die Bundeswehr nimmt die ausreisenden Ortskräfte nicht in ihren Flugzeugen mit, sie lässt sie ihre Flüge selber buchen und bezahlen. Für die fünfköpfige Familie Maqsudi bedeutete das einen Preis von 3717 Dollar, für Samim über 2000 Dollar. Dass es dann, in Samims Fall, mit dem Abholen nicht klappte, erklärt das Bundesinnenministerium damit, dass der Betreffende seine Flugdaten offenbar nicht frühzeitig genug mitgeteilt habe. Tatsächlich hat Samim sie sogar dreimal durchgegeben, und mit jeder Mail, sagt er, habe er es dringlicher gemacht.
Auch für die fehlende Unterstützung in den ersten Wochen hat das Ministerium eine Erklärung. Auf die vielen Migrationsberatungsstellen in Deutschland würden die Ortskräfte eigens in einem Informationsblatt hingewiesen, das ihnen vor der Ausreise von der Deutschen Botschaft in Kabul ausgehändigt würde. Soll heißen: Selber schuld, wenn sie das nicht lesen. Ein halbes DIN-A4-Blatt ist die Stellungnahme des Innenministeriums lang, eine Entschuldigung oder auch nur ein Bedauern sucht man vergebens. Fälle wie die der Familien Maqsudi und Samim seien bisher ohnehin „nur vereinzelt“ aufgetreten.
Wahr ist das nicht. In einem internen Schreiben der Bundeswehr, das der SZ vorliegt, heißt es, dass solche Problemfälle „häufiger“ vorkämen. Gewiss gibt es auch positive Beispiele. Kleinere Gemeinden organisieren die Aufnahme zum Teil vorbildlich und stehen den eingereisten Afghanen bei ihren ersten Schritten im neuen Land intensiv zur Seite. Köln indes hat großen Nachholbedarf, aber wenigstens sind die beiden Familien jetzt in den guten Händen eines Mannes, dessen Hilfsbereitschaft kaum Grenzen zu kennen scheint. Samim und Maqsudi schwärmen geradezu von ihm, was er alles für sie tue und organisiere, sogar in seiner Freizeit, sogar mit seinem Privatgeld.
Der Familie Maqsudi hat der Mann ein bisschen Luft verschafft, indem er ihr in dem Hotel in Godorf zusätzlich zu dem kleinen Zimmerchen noch ein zweites besorgt hat. Inzwischen hat er eine schöne, große Wohnung gefunden, in die die Familie demnächst einziehen wird. Für Samim hat er einen Kontakt zu einem Psychiater hergestellt. Er war zur Stelle, als sich vor dem Hotel in Godorf, in dem noch andere Ausländer untergebracht sind, eine kleine Gruppe von Fremdenfeinden versammelte. Deutschland ist deutsch, krakeelten die, und es war gut, dass da einer der Familie Maqsudi den Weg zum Eingang bahnte. Dank des Helfers haben die Behörden viel von ihrem Schrecken verloren, bald wird hoffentlich ein gesundes Kind geboren werden und auch sonst alles gut.
Zumindest so gut wie möglich, wenn man sich Sorgen macht um die Eltern und die Verwandten in der Heimat. Wenn man an die Kollegen im Sprachendienst denkt, die Freunde, die zurückgeblieben sind und weiter mit ihrer Angst leben müssen. 1700 Ortskräfte hatte die Bundeswehr in Afghanistan und hat sie zum Teil immer noch. 960 von denen haben angegeben, sie fühlten sich bedroht und gefährdet, doch zugesagt wurde eine Aufnahme bislang weniger als einem Drittel, und eingetroffen sind sowieso erst 107. Zusammen mit Ehefrauen und Kindern sind es 346 Personen. Nicht gerade eine Invasion.
Wenn Maqsudi und Samim typisch sind, dann handelt es sich um gebildete Menschen mit hervorragenden Zeugnissen von ihren deutschen Vorgesetzten, um Menschen, die vorankommen wollen und Deutschland als Chance begreifen – so man sie ihnen denn gibt. Mohamed Daoud Maqsudi, Lehrer von Beruf, würde gerne ein Handwerk lernen, Samim würde gerne sein Studium der Wirtschaftswissenschaften fortsetzen. Klar, manches muss vorher noch geregelt werden, mit hämmernden Kopfschmerzen lernt es sich schlecht. Auch müssen sie erst noch perfekt Deutsch sprechen lernen, doch das dürfte kein großes Hindernis sein, schon werfen sie die eine oder andere deutsche Wendung in die Englisch geführte Unterhaltung.
Man sitzt im Schankraum ihres Hotels, er ist noch nicht geöffnet, niemand bedient, aber Maqsudi rennt nach oben in sein Zimmer, wo er einen Kocher hat, und kommt mit einem frisch aufgebrühten Kaffee für den Gast wieder herunter. Er sei hier zu Hause, sagt er, er sei der Gastgeber.