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Die Zehn-Minuten-Makler

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Zhang Zhonghai wird vom Glück geküsst an diesem Vormittag. Die dreistellige Nummer, die ihm von der Maklerfirma zugeteilt wurde, blinkt auf der Elektroniktafel. Die Moderatorin im hellblauen Satinkleid liest über Mikrofon laut vor: „Jiu bai bashi ba“, „neunhundertachtundachtzig“. Das ist Zhangs Nummer. Der Arbeiter ist gut zu erkennen am gelben Schutzhelm, den er trägt. Er kam direkt von der Baustelle herüber. Jetzt gehört er zu den Auserwählten, die von der Immobilienfirma Lefuqiang – übersetzt: glücklich, reich, stark – ihre Chance bekommen zum Wohnungskauf. Was Zhang Zhonghai nicht weiß: Schon fünf Minuten später wird er seine Unterschrift unter einen Kaufvertrag für eine Wohnung setzen, die noch nicht gebaut ist und von der er nicht weiß, wie groß und wie teuer sie eigentlich ist.



Kaufinteressenten betrachten Modelle neuer Wohnhäuser auf einer Immobilienmesse in Peking.

Wer sich fragt, ob der Immobilienboom in China bald ein Ende hat, findet hier in Hefei, Hauptstadt der ostchinesischen Provinz Anhui, einen Anhaltspunkt darauf, dass die Hysterie um Eigentum zumindest in den Metropolen des Landes groß bleibt. Zwar sank die landesweite Nachfrage im ersten Quartal 2014 laut Statistik um 7,7 Prozent, doch von sinkendem Interesse ist in Hefei nichts zu spüren. 480 Wohnungen bietet Lefuqiang an, mehr als 90 Prozent davon werden an diesem Tag tatsächlich verkauft. Parallel finden in der Stadt neun andere Verkaufsveranstaltungen statt. Und so geht das jede Woche. Im März wurden in der Fünf-Millionen-Metropole insgesamt 8600 Einheiten verkauft, im Schnitt für 7400 Yuan pro Quadratmeter, umgerechnet knapp 900 Euro. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Hefeis Stadtplaner wollen bis 2030 zehn Millionen Einwohnern Platz schaffen. Deshalb haben Bauentwickler begonnen, riesige Landstriche nördlich des Zentrums zu erschließen. Neue Nordstadt heißt die Gegend. Vorher gab es hier nur ein paar Dörfer und Äcker.

Im Zehn-Minuten-Takt liest die Moderatorin ein neues Dutzend Zahlen vor. Stundenlang. Dennoch gehen mehrere Hundert Interessenten leer aus. Zhang Zhonghai mit dem gelben Helm dagegen kämpft sich strahlend durch die Menschenmasse in Richtung Bühne, wo Männer in dunklen Anzügen ein Spalier bilden für die Gewinner des Tages. Über regennassen roten Filz werden die potenziellen Käufer ins Foyer eines Gebäudes geleitet. Was dort in den wenigen Minuten bis zur Vertragsunterzeichnung geschieht, würde in vielen anderen Ländern wohl als rechtswidrig gelten und die geschlossenen Verträge anfechtbar machen. Statt die potenziellen Käufer über Vertragsdetails aufzuklären, erzeugen die Makler eine Hysterie wie vor einem Lastwagen mit Hilfsgütern im Krisengebiet.

Zwei Männer brüllen parallel über Lautsprecher durch die Halle. Einer schreit: „Hier geht es nicht um Minuten, hier geht es um Sekunden.“ Die beiden Krawattenträger stehen vor einer Tafel mit Zahlen darauf. Jede symbolisiert ein Apartment. Rote Aufkleber neben einer Zahl bedeuten: verkauft. Wie bei einer Neuinfektion mit Windpocken vermehren sich die Punkte im Minutentakt. Zhang Zhonghai wird beim Eintreten sofort in Beschlag genommen. Makler brüllen den Kunden ins Ohr wie ein Arzt seinem schwerhörigen Patienten. Die einzige Botschaft: „Kaufen, jetzt! Sonst schnappt es Ihnen ein anderer weg.“ Quadratmeterpreise und Wohnungsgrößen sind draußen im Vorzelt ausgehängt. Wer das übersieht, ist selber schuld. Wer keine Fragen stellt, der bekommt auch keine Infos. Zhang Zhonghai hat noch nie eine Wohnung gekauft. Er weiß gar nicht, was er fragen soll. Für die Maklerprofis ein gefundenes Fressen.
Auch andere Kunden sind sichtlich mit der Situation überfordert. Ein junges Paar Mitte 20 wurde ebenfalls binnen weniger Minuten zum Kauf gedrängt. „Ehrlich gesagt, bin ich nicht zufrieden mit der Wohnung, die wir bekommen haben“, sagt die Frau. Weshalb haben sie dann gekauft? „Weil man sonst leer ausgeht. So ist das halt in China“, ist sie überzeugt.

Der Kauf einer Wohnung bedeutet soziale Absicherung. Die Euphorie ist aber auch das Resultat vom Ende eines kommunistischen Dogmas. Die Bebauungsreform von 1998 beendete die Verteilung von Wohnraum in Verbindung mit der Arbeitsstelle. Stattdessen durften die Bürger eigene Immobilien kaufen. Die Urbanisierung nahm Tempo auf. 700 Millionen Chinesen leben jetzt in der Stadt. 2030 werden es schätzungsweise 300 Millionen mehr sein.

Im Sog dieser Dynamik konnten sich in der kurzen Zeit weder ein Rechtssystem, das sich an ethischen Verkaufsgrundsätze orientiert, noch ein wirksamer Verbraucherschutz entwickeln. Als wenig anstößig gilt deshalb das Gebaren der Immobilienfirmen. „Es gibt nicht viele Wohnungen, die unsere Qualität aufweisen können. Wer eine davon haben will, der muss sich eben schnell entscheiden“, sagt der verantwortliche Marketingmanager Zeng Jinjie. Nur wenige entscheiden sich dagegen, wenn sie in der Kakofonie des Irrsinns noch einen klaren Kopf behalten können.

Arbeiter Zhang hat dem Drängen des Maklers nachgegeben. Ein Stempel bestätigt seinen Kaufwunsch. Dann sorgt ein Mitarbeiter mit roter Weste dafür, dass er es sich auf dem Weg zur Anzahlung und Vertragsunterzeichnung nicht anders überlegt. 30 Prozent des Verkaufspreises werden sofort fällig. Das will der Gesetzgeber so, um Spekulationsblasen zu verhindern. Seit Jahren warnen Beobachter vor der Überhitzung des Marktes und den Folgen einer geplatzten Blase. Überflüssig, glaubt Marketingchef Zeng. Er sagt: „Die Blase kann man vernachlässigen. Sie wird in der Praxis von der Nachfrage verdaut.“

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