Der Mann ist eben immer für eine Überraschung gut. Vor einigen Tagen hat Michael Gerhardt, Verfassungsrichter seit 2003, seine Versetzung in den Ruhestand beantragt. Gewiss, Anfang April ist er 66 Jahre alt geworden. Aber dass der drahtige Jurist, der mit scheinbar unerschöpflicher Schaffenskraft so viele zentrale Verfahren im Zweiten Senat bearbeitet hat, 15 Monate vor Ablauf seiner zwölfjährigen Amtszeit seinen Abschied einreichen würde – damit hat niemand gerechnet. „Wir sind aus allen Wolken gefallen“, sagt ein Richterkollege.
Michael Gerhardt (links) ist derzeit im Zweiten Senat für das NPD-Verbotsverfahren als „Berichterstatter“ zuständig. Konflikten ging er nicht aus dem Weg - sein Rücktritt erfolgt aus persönlichen Gründen.
Vorerst wird Gerhardt freilich im Amt bleiben. Verfassungsrichter müssen spätestens mit 68 abtreten, können aber bereits mit Erreichen der regulären Altersgrenze ihre Pensionierung beantragen – vorausgesetzt, es ist ein Nachfolger ernannt. Mitunter kann sich das hinziehen: Jürgen Kühling, der dieser Tage 80 geworden ist, musste nach seinem Ruhestandsantrag 20 Monate auf die Pensionierung im Jahr 2001 warten.
Auf Gerhardts Abschiedsgesuch wird die Politik indes zügig reagieren müssen. Denn die Personalie ist politisch brisant: Gerhardt ist derzeit im Zweiten Senat für das NPD-Verbotsverfahren als „Berichterstatter“ zuständig – wäre also die zentrale Figur für Vorbereitung und Konzeption des Prozesses. Seine Auswechslung – sofern sie rasch ins Werk gesetzt wird – wird das Verfahren allerdings nicht gefährden, sondern vielleicht sogar vom Zeitdruck befreien. Denn ob sich das Verfahren wirklich bis zum regulären Ende von Gerhardts Amtszeit im Sommer 2015 wird abschließen lassen, gilt auch im Gericht durchaus als zweifelhaft. Womöglich hätte Gerhardt deshalb nächstes Jahr mit einer Hängepartie à la Kühling rechnen müssen. Mag sein, dass er sich dies mit seinem vorzeitigen Abschied ersparen wollte.
Jedenfalls wird die SPD, die das informelle Vorschlagsrecht für Gerhardts Stelle hat, sich nun schon wieder auf die Kandidatensuche machen müssen. Dabei haben sie gerade eine Richtersuche hinter sich: Am 22.Mai soll der Bundestag die Nachfolgerin der nach zwölf Jahren ausscheidenden Richterin Gertrude Lübbe-Wolff wählen. Im Gespräch ist Doris König, Professorin für Internationales Recht und Präsidentin der privaten Bucerius Law School. Um am selben Termin auch Gerhardts Nachfolger zu küren, müsste freilich in Rekordzeit ein geeigneter Jurist gefunden werden.
Der vorzeitige Abschied von Michael Gerhardt könnte die Gewichte im Zweiten Senat neu austarieren. Das gilt nicht zuletzt für das NPD-Verbotsverfahren: Gerhardt ist ein unkonventioneller Kopf, der völlig unbeeindruckt von politischen Opportunitäten entscheidet. Bei den Wahlrechtsurteilen zu den Überhangmandaten sowie zu den Sperrklauseln bei Europawahlen – also bei jenen Entscheidungen, die die Politik bis aufs Blut gereizt haben –, war Gerhardt nicht nur Berichterstatter, sondern wahrscheinlich auch die prägende Figur im Senat. Dass sein juristisches Urteil über den Verbotsantrag gegen die Extremistenpartei sich dem politischen Druck gebeugt hätte, darf als ausgeschlossen gelten.
Gerhardt, der vom Bundesverwaltungsgericht nach Karlsruhe kam, ist Konflikten nie aus dem Weg gegangen, auch nicht innerhalb des Senats. Immer wieder stimmte er gegen die Mehrheit und formulierte abweichende Meinungen von großer Gedankenklarheit – die häufig die Schwachstelle im Urteil der Kollegen offenlegten, etwa beim EU-Haftbefehl und bei der Professorenbesoldung. Jüngst, im Verfahren zu den Befugnissen der Europäischen Zentralbank, warf er den Kollegen vor, ihre Kompetenzen in EU-Fragen zu überschreiten.
Was ihn letztlich zum Abschied bewogen hat, ist unklar. Er trete „aus persönlichen Gründen“ ab, bestätigte ein Gerichtssprecher eine Meldung des Spiegel. Was das bedeutet? Zu Zeiten des Lissabon-Urteils im Jahr 2009 schien Gerhardt mit dem Zweiten Senat eins zu sein. Wer ihm in jüngster Zeit begegnet ist, konnte eher den Eindruck bekommen, dass die Zeit der Eintracht vorbei ist.
Michael Gerhardt (links) ist derzeit im Zweiten Senat für das NPD-Verbotsverfahren als „Berichterstatter“ zuständig. Konflikten ging er nicht aus dem Weg - sein Rücktritt erfolgt aus persönlichen Gründen.
Vorerst wird Gerhardt freilich im Amt bleiben. Verfassungsrichter müssen spätestens mit 68 abtreten, können aber bereits mit Erreichen der regulären Altersgrenze ihre Pensionierung beantragen – vorausgesetzt, es ist ein Nachfolger ernannt. Mitunter kann sich das hinziehen: Jürgen Kühling, der dieser Tage 80 geworden ist, musste nach seinem Ruhestandsantrag 20 Monate auf die Pensionierung im Jahr 2001 warten.
Auf Gerhardts Abschiedsgesuch wird die Politik indes zügig reagieren müssen. Denn die Personalie ist politisch brisant: Gerhardt ist derzeit im Zweiten Senat für das NPD-Verbotsverfahren als „Berichterstatter“ zuständig – wäre also die zentrale Figur für Vorbereitung und Konzeption des Prozesses. Seine Auswechslung – sofern sie rasch ins Werk gesetzt wird – wird das Verfahren allerdings nicht gefährden, sondern vielleicht sogar vom Zeitdruck befreien. Denn ob sich das Verfahren wirklich bis zum regulären Ende von Gerhardts Amtszeit im Sommer 2015 wird abschließen lassen, gilt auch im Gericht durchaus als zweifelhaft. Womöglich hätte Gerhardt deshalb nächstes Jahr mit einer Hängepartie à la Kühling rechnen müssen. Mag sein, dass er sich dies mit seinem vorzeitigen Abschied ersparen wollte.
Jedenfalls wird die SPD, die das informelle Vorschlagsrecht für Gerhardts Stelle hat, sich nun schon wieder auf die Kandidatensuche machen müssen. Dabei haben sie gerade eine Richtersuche hinter sich: Am 22.Mai soll der Bundestag die Nachfolgerin der nach zwölf Jahren ausscheidenden Richterin Gertrude Lübbe-Wolff wählen. Im Gespräch ist Doris König, Professorin für Internationales Recht und Präsidentin der privaten Bucerius Law School. Um am selben Termin auch Gerhardts Nachfolger zu küren, müsste freilich in Rekordzeit ein geeigneter Jurist gefunden werden.
Der vorzeitige Abschied von Michael Gerhardt könnte die Gewichte im Zweiten Senat neu austarieren. Das gilt nicht zuletzt für das NPD-Verbotsverfahren: Gerhardt ist ein unkonventioneller Kopf, der völlig unbeeindruckt von politischen Opportunitäten entscheidet. Bei den Wahlrechtsurteilen zu den Überhangmandaten sowie zu den Sperrklauseln bei Europawahlen – also bei jenen Entscheidungen, die die Politik bis aufs Blut gereizt haben –, war Gerhardt nicht nur Berichterstatter, sondern wahrscheinlich auch die prägende Figur im Senat. Dass sein juristisches Urteil über den Verbotsantrag gegen die Extremistenpartei sich dem politischen Druck gebeugt hätte, darf als ausgeschlossen gelten.
Gerhardt, der vom Bundesverwaltungsgericht nach Karlsruhe kam, ist Konflikten nie aus dem Weg gegangen, auch nicht innerhalb des Senats. Immer wieder stimmte er gegen die Mehrheit und formulierte abweichende Meinungen von großer Gedankenklarheit – die häufig die Schwachstelle im Urteil der Kollegen offenlegten, etwa beim EU-Haftbefehl und bei der Professorenbesoldung. Jüngst, im Verfahren zu den Befugnissen der Europäischen Zentralbank, warf er den Kollegen vor, ihre Kompetenzen in EU-Fragen zu überschreiten.
Was ihn letztlich zum Abschied bewogen hat, ist unklar. Er trete „aus persönlichen Gründen“ ab, bestätigte ein Gerichtssprecher eine Meldung des Spiegel. Was das bedeutet? Zu Zeiten des Lissabon-Urteils im Jahr 2009 schien Gerhardt mit dem Zweiten Senat eins zu sein. Wer ihm in jüngster Zeit begegnet ist, konnte eher den Eindruck bekommen, dass die Zeit der Eintracht vorbei ist.