Spätestens mit Beginn der Fußball-WM in Brasilien wird die Diskussion wieder losgehen. Etliche Spiele werden kurz vor Mitternacht abgepfiffen wie die Partien Deutschland gegen Ghana oder Spanien gegen die Niederlande. Bei anderen Matches wie England gegen Italien ertönt der Schlusspfiff sogar nach Mitternacht hiesiger Zeit. Für viele Kinder und Jugendliche ist das zu spät, um vor dem Fernseher zu sitzen. Die Einschätzung, der Schlaf vor Mitternacht sei der gesündeste, wird schließlich seit Generationen von Eltern weitergegeben.
Der gesündeste Schlaf ist der vor Mitternacht, heißt es – dabei kann die Tiefschlafphase, je nach Rhythmus, auch zwischen 1 und 3 Uhr sein.
Bei dieser Empfehlung scheint es sich aber weniger um eine medizinische Weisheit als um ein probates Mittel zu handeln, Kinder oder jugendliche Nachtschwärmer früher ins Bett zu bekommen. Womöglich rührt die Vermutung daher, dass die ersten zwei, drei Stunden des Schlafes tatsächlich die tiefsten sind. Und je tiefer der Schlaf, desto größer die Erholung. Wer früh ins Bett geht, etwa um 21 oder 22 Uhr, erlebt die Phase des erholsamsten Schlafes vor Mitternacht und ein Abweichen von diesem Rhythmus führt zum bleiernen Gefühl am Morgen danach.
Wer allerdings daran gewöhnt ist, erst um 1 Uhr ins Bett zu gehen, hat seine tiefste Schlafphase dann eben zwischen 1 und 3 Uhr nachts. Und die ist genauso gesund und erholsam wie die vor Mitternacht, wenn dies der regelmäßige Schlafrhythmus ist. Nur der ständige Wechsel, etwa bei Schichtarbeitern, laugt Körper und Seele auf Dauer aus und kann krank machen.
Allerdings können sich die meisten Kinder und Jugendlichen (und auch die meisten Erwachsenen) keinen Schlafrhythmus nach Wunsch erlauben. Auch wenn Schlafmediziner überzeugt sind, dass es gesünder und effektiver wäre, wenn der Unterricht erst um 9.30 Uhr beginnen würde, müssen die meisten Kinder in Deutschland schon um 8 Uhr oder früher antreten. Daher ist es theoretisch zwar unschädlich, von 1 Uhr nachts bis morgens um 9 Uhr zu schlafen – in der Praxis lässt sich das aber kaum durchhalten.
Wie viel Schlaf der Mensch überhaupt braucht, darüber diskutieren Experten seit Jahrzehnten. Erstaunlicherweise hat sich die durchschnittliche Schlafdauer in Europa seit dem Mittelalter kaum verändert – sie beträgt etwas mehr als sieben Stunden. Die Unterschiede sind jedoch schon in jungen Jahren enorm: Manche Kinder schlafen in der vierten Klasse noch jede Nacht zehn oder elf Stunden – andere werden ständig wach, kommen aber trotzdem mit sieben Stunden aus und brauchen damit nicht viel mehr als ihre Eltern.
Dabei ist die zentrale Frage der Schlafforschung noch gar nicht beantwortet: Warum müssen wir überhaupt schlafen? Der Züricher Wissenschaftler Alexander Borbély, der sich sein ganzes Forscherleben mit dem Schlaf beschäftigt hat, gibt jetzt – im Ruhestand – zu, dass dies „eine etwas peinliche Frage“ für Schlafforscher sei. Trotz vieler Erklärungsversuche gibt es bisher keine eindeutige Antwort.
Für eine ausreichende Schlafdauer gibt es allerdings viele gute Argumente. „Zu wenig Schlaf beeinträchtigt die Entwicklung – außerdem macht es alt und ruiniert die Gesundheit“, sagt Jürgen Zulley, Schlafforscher aus Regensburg. Denn im Schlaf leistet der Körper zahlreiche Ausbesserungsarbeiten an Zellen und Organen. Im Tiefschlaf werden zudem Wachstumshormone ausgeschüttet, die bei Kindern das Längenwachstum und die Organentwicklung anregen. Auch das Immunsystem erholt sich im Schlaf und bereitet sich auf neue Abwehraufgaben vor.
Der Traum, im Schlaf zu lernen, dürfte sich so bald aber nicht erfüllen: „Es bringt nichts, wenn man im Schlaf mit Informationen berieselt wird“, so Jan Born, Schlafforscher an der Uni Tübingen. Aber an dem Brauch, sich ein Buch unter das Kopfkissen zu legen, ist doch etwas dran. Immerhin wird während der Nachtruhe Gedächtnis gebildet. „Man muss sich das als aktives Durcharbeiten und Verdauen der Inhalte vorstellen, die man am Tag aufgenommen hat“, so Born.
Born und sein früheres Team in Lübeck haben in eleganten Versuchen festgestellt, dass sich tiefere Einsichten oft erst einstellen, wenn man geschlafen hat. Die Forscher ließen Freiwillige Zahlenreihen ergänzen, die bestimmten Regeln folgten. Zwei der Regeln waren leicht zu erkennen, die dritte „versteckt“. Nach dem ersten Test pausierten alle Probanden. Eine Gruppe durfte über Nacht schlafen, die zweite musste nachts wach bleiben, eine dritte blieb tagsüber wach. Fast 60 Prozent derjenigen, die schliefen, erkannten die versteckte Regel am nächsten Tag. In den anderen Gruppen gelang das nur 20 Prozent der Probanden.
„Durch den Schlaf gewinnen wir eine neue Sicht auf Probleme. Das führt zu schnelleren Lösungen“, sagt Born. Im Wachzustand, so die Vermutung, werden Gedächtnisinhalte zunächst im Hippocampus abgelegt, einer Art Zwischenspeicher im Mittelhirn. Erst im Schlaf werden sie an bereits bestehende Gedächtnisinhalte in der Großhirnrinde angepasst. „Der Hippocampus hält die Kopie bereit, die im Langzeitgedächtnis verankert wird“, so Born.
Diese Form der Übertragung findet hauptsächlich im Tiefschlaf statt. Wird der Schlaf verkürzt, leidet das Gedächtnis. „Schlafmangel macht müde und dumm“, sagt Jürgen Zulley deswegen. In Versuchen lässt sich das beeindruckend zeigen: Wird der Schlaf Erwachsener und Jugendlicher von vier auf acht Stunden gesteigert, verbessert sich das Gedächtnis der Probanden. Praktisch bedeutet das: Wenn man am Tag vor einer Prüfung lange lernt, so Borns Rat, „ist es wichtig, genügend zu schlafen, um am nächsten Tag keine Abrufschwierigkeiten zu bekommen“.
Zu wenig Schlaf führt aber nicht nur zu Gedächtnislücken, sondern auch zu Einschränkungen des Stoffwechsels: Die Zuckerverwertung wird beeinträchtigt. Wer chronisch zu wenig schläft, entwickelt häufiger Diabetes, Übergewicht, Hochdruck und Herzleiden. „Auch wenn kurzfristig die psychische Belastung durch Schlafentzug überwiegt, sind langfristig die körperlichen Folgen gravierender“, so Zulley. Wo die kritische Grenze zum Schlafmangel liegt, können Forscher jedoch noch nicht sagen. Versuchsratten sterben an komplettem Schlafmangel jedenfalls genauso schnell wie bei Nahrungsentzug.
Schlafforscher warnen davor, den Schlaf drastisch zu verkürzen – womit nicht nur Napoleon und Edison kokettierten. Kurzschläfer gelten schließlich als effizient und leistungsbereit. Die ehemalige Talk-Lady Sabine Christiansen wollte sich wohl auch dieses Image geben. Sie hatte in einer ihrer Sendungen mit dem Bekenntnis verblüfft: „Die Deutschen schlafen zu lange. Eine Kuh beispielsweise kommt mit drei bis vier Stunden Schlaf am Tag aus. Ich auch.“ Werner Bartens
Der gesündeste Schlaf ist der vor Mitternacht, heißt es – dabei kann die Tiefschlafphase, je nach Rhythmus, auch zwischen 1 und 3 Uhr sein.
Bei dieser Empfehlung scheint es sich aber weniger um eine medizinische Weisheit als um ein probates Mittel zu handeln, Kinder oder jugendliche Nachtschwärmer früher ins Bett zu bekommen. Womöglich rührt die Vermutung daher, dass die ersten zwei, drei Stunden des Schlafes tatsächlich die tiefsten sind. Und je tiefer der Schlaf, desto größer die Erholung. Wer früh ins Bett geht, etwa um 21 oder 22 Uhr, erlebt die Phase des erholsamsten Schlafes vor Mitternacht und ein Abweichen von diesem Rhythmus führt zum bleiernen Gefühl am Morgen danach.
Wer allerdings daran gewöhnt ist, erst um 1 Uhr ins Bett zu gehen, hat seine tiefste Schlafphase dann eben zwischen 1 und 3 Uhr nachts. Und die ist genauso gesund und erholsam wie die vor Mitternacht, wenn dies der regelmäßige Schlafrhythmus ist. Nur der ständige Wechsel, etwa bei Schichtarbeitern, laugt Körper und Seele auf Dauer aus und kann krank machen.
Allerdings können sich die meisten Kinder und Jugendlichen (und auch die meisten Erwachsenen) keinen Schlafrhythmus nach Wunsch erlauben. Auch wenn Schlafmediziner überzeugt sind, dass es gesünder und effektiver wäre, wenn der Unterricht erst um 9.30 Uhr beginnen würde, müssen die meisten Kinder in Deutschland schon um 8 Uhr oder früher antreten. Daher ist es theoretisch zwar unschädlich, von 1 Uhr nachts bis morgens um 9 Uhr zu schlafen – in der Praxis lässt sich das aber kaum durchhalten.
Wie viel Schlaf der Mensch überhaupt braucht, darüber diskutieren Experten seit Jahrzehnten. Erstaunlicherweise hat sich die durchschnittliche Schlafdauer in Europa seit dem Mittelalter kaum verändert – sie beträgt etwas mehr als sieben Stunden. Die Unterschiede sind jedoch schon in jungen Jahren enorm: Manche Kinder schlafen in der vierten Klasse noch jede Nacht zehn oder elf Stunden – andere werden ständig wach, kommen aber trotzdem mit sieben Stunden aus und brauchen damit nicht viel mehr als ihre Eltern.
Dabei ist die zentrale Frage der Schlafforschung noch gar nicht beantwortet: Warum müssen wir überhaupt schlafen? Der Züricher Wissenschaftler Alexander Borbély, der sich sein ganzes Forscherleben mit dem Schlaf beschäftigt hat, gibt jetzt – im Ruhestand – zu, dass dies „eine etwas peinliche Frage“ für Schlafforscher sei. Trotz vieler Erklärungsversuche gibt es bisher keine eindeutige Antwort.
Für eine ausreichende Schlafdauer gibt es allerdings viele gute Argumente. „Zu wenig Schlaf beeinträchtigt die Entwicklung – außerdem macht es alt und ruiniert die Gesundheit“, sagt Jürgen Zulley, Schlafforscher aus Regensburg. Denn im Schlaf leistet der Körper zahlreiche Ausbesserungsarbeiten an Zellen und Organen. Im Tiefschlaf werden zudem Wachstumshormone ausgeschüttet, die bei Kindern das Längenwachstum und die Organentwicklung anregen. Auch das Immunsystem erholt sich im Schlaf und bereitet sich auf neue Abwehraufgaben vor.
Der Traum, im Schlaf zu lernen, dürfte sich so bald aber nicht erfüllen: „Es bringt nichts, wenn man im Schlaf mit Informationen berieselt wird“, so Jan Born, Schlafforscher an der Uni Tübingen. Aber an dem Brauch, sich ein Buch unter das Kopfkissen zu legen, ist doch etwas dran. Immerhin wird während der Nachtruhe Gedächtnis gebildet. „Man muss sich das als aktives Durcharbeiten und Verdauen der Inhalte vorstellen, die man am Tag aufgenommen hat“, so Born.
Born und sein früheres Team in Lübeck haben in eleganten Versuchen festgestellt, dass sich tiefere Einsichten oft erst einstellen, wenn man geschlafen hat. Die Forscher ließen Freiwillige Zahlenreihen ergänzen, die bestimmten Regeln folgten. Zwei der Regeln waren leicht zu erkennen, die dritte „versteckt“. Nach dem ersten Test pausierten alle Probanden. Eine Gruppe durfte über Nacht schlafen, die zweite musste nachts wach bleiben, eine dritte blieb tagsüber wach. Fast 60 Prozent derjenigen, die schliefen, erkannten die versteckte Regel am nächsten Tag. In den anderen Gruppen gelang das nur 20 Prozent der Probanden.
„Durch den Schlaf gewinnen wir eine neue Sicht auf Probleme. Das führt zu schnelleren Lösungen“, sagt Born. Im Wachzustand, so die Vermutung, werden Gedächtnisinhalte zunächst im Hippocampus abgelegt, einer Art Zwischenspeicher im Mittelhirn. Erst im Schlaf werden sie an bereits bestehende Gedächtnisinhalte in der Großhirnrinde angepasst. „Der Hippocampus hält die Kopie bereit, die im Langzeitgedächtnis verankert wird“, so Born.
Diese Form der Übertragung findet hauptsächlich im Tiefschlaf statt. Wird der Schlaf verkürzt, leidet das Gedächtnis. „Schlafmangel macht müde und dumm“, sagt Jürgen Zulley deswegen. In Versuchen lässt sich das beeindruckend zeigen: Wird der Schlaf Erwachsener und Jugendlicher von vier auf acht Stunden gesteigert, verbessert sich das Gedächtnis der Probanden. Praktisch bedeutet das: Wenn man am Tag vor einer Prüfung lange lernt, so Borns Rat, „ist es wichtig, genügend zu schlafen, um am nächsten Tag keine Abrufschwierigkeiten zu bekommen“.
Zu wenig Schlaf führt aber nicht nur zu Gedächtnislücken, sondern auch zu Einschränkungen des Stoffwechsels: Die Zuckerverwertung wird beeinträchtigt. Wer chronisch zu wenig schläft, entwickelt häufiger Diabetes, Übergewicht, Hochdruck und Herzleiden. „Auch wenn kurzfristig die psychische Belastung durch Schlafentzug überwiegt, sind langfristig die körperlichen Folgen gravierender“, so Zulley. Wo die kritische Grenze zum Schlafmangel liegt, können Forscher jedoch noch nicht sagen. Versuchsratten sterben an komplettem Schlafmangel jedenfalls genauso schnell wie bei Nahrungsentzug.
Schlafforscher warnen davor, den Schlaf drastisch zu verkürzen – womit nicht nur Napoleon und Edison kokettierten. Kurzschläfer gelten schließlich als effizient und leistungsbereit. Die ehemalige Talk-Lady Sabine Christiansen wollte sich wohl auch dieses Image geben. Sie hatte in einer ihrer Sendungen mit dem Bekenntnis verblüfft: „Die Deutschen schlafen zu lange. Eine Kuh beispielsweise kommt mit drei bis vier Stunden Schlaf am Tag aus. Ich auch.“ Werner Bartens