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Bauen oder Umsiedeln

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Lange hat New York einfach seine Küstennähe ignoriert. Erst jetzt wird gestritten, was zu tun ist

Schnee rieselt in New York nicht friedlich zu Boden. Er wird wie aus riesigen Säcken auf die Stadt geworfen. Das wusste man, als sich New York im 19. Jahrhundert in eine Millionenstadt verwandelte. Doch es bedurfte der Schneewehen des Great White Hurricane von 1888 um die Stadt auf zwei Probleme aufmerksam zu machen. Die Stromleitungen, die als dichtes Netz über den Straßen hingen, sie lagen nach dem Schneesturm am Boden. Und die Straßenbahnen und Hochbahnen, New Yorks wichtigste Verkehrsmittel, steckten fest. So würde das nichts mit der Weltstadt. Also stürzte sich New York in zwei mühsame aber unvermeidliche Projekte: die unterirdische Verkabelung der Stadt und den Bau der U-Bahn.

Heute ist es umgekehrt. Die Stadt bleibt dieselbe. Es sind die Umweltbedingungen, die sich verändern. Der Meeresspiegel steigt; die Stürme werden heftiger; Irenes und Sandys wird es immer öfter geben. New York mit seinen 520 Meilen Küste wird das jetzt bewusst. Noch 2009 eröffnete man die 500 Millionen teure U-Bahnstation South Ferry, die nur knapp vier Meter über dem Meeresspiegel liegt. Sandy füllte sie bis zum Rand mit Wasser. Wie beim Blizzard musste die Katastrophe erst eintreten, bevor eine ernsthafte Diskussion begann. Doch ob die Stadt Energie und Mittel aufbringen wird für die Schutzprojekte, die nun vorgeschlagen werden, ist fraglich.





'Es sollte niemanden überraschen, dass New York von Wasser umgeben ist', mokierte sich Bürgermeister Michael Bloomberg über die, die jetzt dringend Taten verlangen. Bloomberg gehört zu Amerikas prominentesten Mahnern vor dem Klimawandel. Eine von ihm 2008 beauftragte Expertengruppe ließ keine Zweifel daran, dass New York von dessen Konsequenzen existenziell gefährdet ist. Doch wird sich eine Stadt, deren drei Flughäfen nicht mit der U-Bahn zu erreichen sind, zu einem Jahrhundertprojekt aufraffen, wie es der Ozeanologe Malcolm Bowman von der Stony Brook University vorschlägt? Zwischen Breezy Point auf der Brooklyner Rockaway-Halbinsel und Sandy Hook in New Jersey Island will er einen zehn Kilometer langen Damm mit zwei 200 Meter breiten Toren aufschütten. Ein zweiter Damm ist am Nordende von Manhattan vorgesehen, wo der Long Island Sound in den East River mündet. Die Tore sollen groß genug sein, um weder Gezeiten noch Schiffsverkehr zu behindern, und porös genug, um das Ökosystem nicht zu beeinträchtigen. Und bei Sturmflut würden die Tore einfach geschlossen. 17 Milliarden Dollar soll der 'Outer Harbor Gateway' kosten. Gemessen an den Schäden von 50 Milliarden Dollar, die Sandy anrichtete hat, ist das vertretbar.

Bloomberg lästerte, die Idee sei 'wenig praktikabel'. Dabei sind ähnliche Anlagen längst in Betrieb. In London, wo man nach den Überschwemmungen von 1953 die Thames Barrier baute. Und in St. Petersburg, wo letztes Jahr der 16 Kilometer lange Sankt Petersburger Damm in Betrieb genommen wurde. 'Bloomberg sollte mit seinen Leute nach London, nach Venedig, nach Sankt Petersburg fahren', meint Bowman. ' Dann wird er sehen, was die Europäer machen. Wir haben nur zwei Möglichkeiten: entweder wir bauen den Damm oder wir beginnen jetzt damit, New York umzusiedeln.' Bill Keller, der ehemalige Chefredakteur der New York Times, spricht schon vom 'Zweiten Manhattan Project': 'Das erste brachte uns die Atombombe, das zweite wird Amerikas größter Metropole 100 oder 200 Jahre schenken.'

Bloomberg setzt lieber auf eine Politik des Nachbesserns, die unter Flutforschern 'resilience' genannt wird. Man legt die Luftschächte der U-Bahn höher und baut Deckel in den Tunnel ein; unterirdische Transformatoren werden über Grund installiert; Klärwerke so modifiziert, dass bei Flut das Trinkwasser außer Gefahr ist.

Ergänzt werden soll das durch eine Art Renaturalisierung der Gewässer. Einige der Pläne dafür wurden 2008 in der Ausstellung 'Rising Currents' im MoMA vorgestellt. Das Büro ARO schlug künstliches Marschland um die Südspitze von Manhattan vor, das Sturmfluten absorbieren soll. Andere dachten an Austernbänke, Riffs aus Altglas und ein System künstlicher Inseln mit ähnlichem Effekt. Damals tat man die Entwürfe als amüsante Planspiele ab, heute werden sie ernsthaft diskutiert.

Vor allem die Gegner des Outer Harbor Gateway berufen sich auf sie. Für sie entstammt Bowmans Großmaschinerie demselben Denken, das uns ökologisch fatale Staudämme und Atomkraftwerke gebracht hat. Gefürchtet wird, dass die zum Schutz Manhattans errichteten Flutmauern das Wasser nur in vermeintlich weniger schützenswerte Gegenden umleiten und dass künstliche Barrieren die natürlichen ruinieren könnten: Dünen und Marschland.

Die Skepsis gründet auch auf den Erfahrungen, die man in der einzigen amerikanischen Stadt gemacht hat, in der noch mehr Menschen so knapp über oder unter dem Wasserspiegel leben: New Orleans. Es waren weniger marode Deiche, die sie 2005 volllaufen ließ, sondern die Zerstörung des vorgelagerten Marschlands durch die Umleitung des Mississippi und die Kanäle, durch die das Wasser wie durch Trichter in die Stadt gepresst wurde. Bowman versteht die Einwände, doch den grünen Bart um Manhattans Kinn, hält er für 'Fantasy'. Mit den tausenden von Quadratkilometern Marschland, die früher New Orleans schützten sei er nicht zu vergleichen.

Noch ein anderer Aspekt kommt nun zur Sprache: Die direkte und indirekte Förderung von auf Dauer nicht zu haltenden Ufergegenden an der Ostküste. Es sei unverantwortlich, so Orrin Pilkey von der Duke University, dass Versicherungen die Häuser am Strand nach wie vor abdecken müssten; und dass erodierte Küstenstreifen nach jedem Sturm mit Steuergeldern neu aufgeschüttet wurden, nur um die Villen dahinter zu schützen. Als sei das Meer ein Feind, dem kein Zentimeter abgetreten werden dürfe, helfe der Staat auch nach Sandy wieder mit, Häuser aufzubauen, deren nächste Zerstörung nur eine Frage der Zeit ist. Denselben Effekt hätte für Pilkey auch Bowmans Flutmauer. Sie würde New York in falscher Sicherheit wiegen und den langfristig unvermeidlichen Rückzug vom Wasser nur aufschieben.

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