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Manufactums Erben

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Warum sehen viele Dinge im Nostalgiekaufhaus nur so klobig aus? Drei neue Läden konzentrieren sich wieder auf einfaches, gutes Design

Wie aus vielen anderen alternativen Projekten ist auch aus Manufactum das geworden, was es eigentlich nie werden wollte: ein Ort des Überflusses. Wer heute eine Manufactum-Filiale betritt, findet sich zwischen überbordenden Regalen und Eichenholzvitrinen wieder, in denen man oft sehr lange auf der Suche nach diesem oder jenem ist. Das Geschäft mit der Nostalgie ist einträglich - auch wenn die Geschäftsführer im Vorwort des neuen Katalogs beteuern, es gehe ihnen gerade nicht um den 'verklärten Blick auf vergangene bessere Zeiten'.

1988 war Manufactum-Gründer Thomas Hoof noch angetreten, der Banalisierung der Produkte etwas entgegenzusetzen: Die 'guten Dinge' - also: traditionell von Hand hergestellt, materialgerecht verarbeitet, solide, qualitativ hochwertig und langlebig - waren als Antwort auf die anonyme Massenware gedacht. Deshalb kauft man bei Manufactum auch immer die Geschichte ihrer Herkunft mit. Doch was dabei immer häufiger übersehen wird, ist die gestalterische Qualität der Dinge. Muss man ein Radiogerät wirklich in einen Rahmen aus Holz stecken? Wozu braucht ein Ringordner einen Rücken aus blitzendem Stahl? Und warum sehen diese Brotkästen aus Birnbaumholz so dermaßen altbacken aus?





Wenn Handwerk und Material so übertrieben zur Schau gestellt werden, wirkt das nicht selten überflüssig. Wo ist bloß das Einfache, das Elegante hin? Nur gut, dass es inzwischen einige Läden gibt, die genau an dieser Stelle ansetzen. Sie greifen die Idee von Manufactum auf, konzentrieren sich aber viel mehr auf das Design. Die 'Edition Populaire' in Zürich, das 'Utensil' in Köln und der Londoner 'Jasper Morrison Shop' bieten einfache alltägliche Dinge an, die man in einem Ramschladen oder im Baumarkt vielleicht übersehen würde. Erst hier aber, in einen neuen Kontext gestellt, wird ihre elementare Ästhetik sichtbar.

Dort gibt es sie: sorgfältig ausgewählte Dinge von schlichter, verständlicher Gestalt, deren Entwerfer oft gar nicht bekannt sind. Gegenstände wie ein billiger italienischer Plastikeimer mit Ausgießöffnung, Gläser aus dem Labor oder Standards aus der Gastronomie. Im Grunde genommen sind es Readymades, Alltagsobjekte, die sich in neuer Umgebung auf einmal in Designobjekte verwandeln.

Der Designer Jasper Morrison hat das neue Interesse an solchen ganz normalen Dingen schon vor Jahren dokumentiert. Zusammen mit seinem japanischen Kollegen Naoto Fukasawa sammelte er auf der ganzen Welt Stücke für eine Ausstellung, die sie 'Super Normal' nannten. Einige Teile verkauft er neuerdings in einem direkt an sein Londoner Studio angrenzenden Shop, präsentiert auf rohen Holzboxen und hängend an Lochplatten, wie man sie sonst von Werkzeugläden kennt. 'Die Designwelt ist abgedriftet von der Normalität', sagt Morrison, es gehe nur noch um das 'kreative Ego', um Expression und vordergründige Auffälligkeit. Dabei könnten gerade die Designer von anonymen, alltäglichen Dingen so viel lernen, etwa, dass Archetypen nicht unbedingt durch die Form, sondern erst durch den Gebrauch entstehen.

Supernormal sind für Morrison solche Dinge, die man gar nicht als etwas Neues wahrnimmt, auch wenn sie genau das vielleicht sind, sondern als etwas, was schon immer da gewesen ist. Selbstverständliche Gegenstände, die über Jahrzehnte unverändert geblieben sind, die alle Produktzyklen, Moden und Redesigns überdauert haben, ganz einfach deshalb, weil sie nicht zu verbessern sind. Oder aber: völlig neue Entwürfe, die von eben diesen abgeleitet werden. Genau wie das alte Weinglas, das Morrison einst bei einem Trödler entdeckte: ein Objekt, an dem auf den ersten Blick kein besonderer Gestaltungswille erkennbar ist. Seine Klarheit und Einfachheit war aber von einer so profanen Schönheit, dass es Morrison irgendwann abformte; inzwischen wird es von Alessi produziert.

Das Supernormale ist das Gegenmodell zur gegenwärtigen Designauffassung des Spektakulären, Effekthascherischen und Flamboyanten. Und zu einer Welt, in der andauernd alles immer wieder neu erfunden werden muss. Das Ideal ist die reine Form, die sich wie von selbst aus der Funktion ergibt, befreit auch noch von den Designernamen, mit denen die Dinge sonst üblicherweise aufgeladen werden. 'Auch in einem Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne', hat Sigfried Giedion einmal den Reiz anonymer Gegenstände beschrieben. Vergleichbar ist zum Beispiel das Konzept der japanischen Warenhauskette Muji, die versucht, auf Designernamen und Logos ganz zu verzichten. Und damit durchaus erfolgreich ist.

Doch abgesehen davon - wo kann man das scheinbar Ungestaltete heute überhaupt noch finden? Die Kölner Designerin Anna Lederer sucht danach auf speziellen Industriemessen, in italienischen und französischen Baumärkten und bei Großhändlern für den Gastronomie- und Laborbedarf. Ihre Auswahl an Industrieprodukten, die sich ebenso gut im privaten Haushalt nutzen lassen, bietet sie in dem Kölner Laden Utensil an, einer ehemaligen schwarz-weiß gefliesten Metzgerei: Werkzeugtaschen aus gelbem Leder, unbedruckte Quetschflaschen und einen Aluminiumstreuer, die man sonst nur von der Frittenbude kennt. Oder darf es vielleicht die Saustallleuchte ('sehr schön über dem Esstisch') sein? All diese Sachen erzählen, ähnlich wie bei Manufactum, eine Geschichte darüber, wo sie normalerweise verwendet werden. Nur wird die Story hier nicht so blumig ausgeschmückt.

'Das sind alles langlebige, über Jahrzehnte erprobte Dinge', erklärt Lederer. Und warum sollte man sein Teewasser nicht auch in einem Erlenmeyerkolben erhitzen, dessen aufgedruckte Skalen ein durchaus dekoratives Element sind? Den Hang zu derartigen Kontextverschiebungen kennt man schon länger, im Design spätestens seit der legendären Ausstellung 'Machine Art' 1934 im New Yorker MoMA, als Metallspiralen, Haushaltswaren und Kugellager wie Kultobjekte auf weißen Sockeln präsentiert wurden. Man feierte die Perfektion und Schönheit industriell produzierter Objekte, eine Industrieästhetik, der sich noch heute viele Designer und Wohnungseinrichter nicht entziehen können.

Auch die Macher der Zürcher Edition Populaire sind auf der Suche nach dem perfekten Gebrauchsgegenstand, wobei sie eine ganz andere Vorstellung davon haben, was ihn auszeichnet. 'Wir finden, man sollte wieder zurückkehren zu Produkten, die man nur einmal im Leben kauft', sagt Kaspar Fenkart, einer der Gründer. Die wenigen Produkte, die hier angeboten werden, stammen von kleinen Manufakturen in Europa. Und sie sollten stabil sein, aus hochwertigen Materialien, von besonderer handwerklicher Qualität, klar und einfach gestaltet - und dennoch nicht teuer. So wie jenes Wasserglas für weniger als zehn Franken, das sie irgendwann bei der Glasmanufaktur Luigi Bormioli in Parma entdeckten: ein mundgeblasenes, wohlproportioniertes Glas, das so einfach aussieht, als hätte es jemand auf ein Blatt Papier gezeichnet.

'Das perfekte Glas', wie Fenkart sagt, gehörte 2010 zur ersten Edition, die der Zürcher Laden herausgab, zusammen mit einem Schuhputzset, einer Nagelbürste und einem Wecker. Seitdem erscheint alle drei Monate eine neue Kollektion mit drei bis sechs Produkten, die so lange verkauft werden, bis die nächste Edition erscheint; nur ein paar Dinge wie das Wasserglas haben sie stets im Sortiment. Ein extremes Konzentrat aus dem Überangebot der Konsumgesellschaft.

Für Dezember ist bereits die 16. Edition geplant, nach und nach soll auf diese Weise eine Sammlung schöner, funktionaler Gegenstände für das tägliche Leben entstehen. Manufactum für Minimalisten, könnte man sagen. Mit dem Unterschied, dass die Edition Populaire fast ohne Nostalgie auskommt.

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