Die schlimmsten Verbrechen geschehen immer noch aus Leidenschaft. Die Liebe zu Bob Dylan bringt Wolfgang Niedecken im Jahr 1995 dazu, Dylan-Songs auf Kölsch einzuspielen. „Absolutely Sweet Marie“ wird da zu: „Wo Bess Du Hück Naach, Marie?“, aus „It's All Over Now, Baby Blue“ macht der Bap-Boss: „Jeder’s Manchmohl Einsam, Nit Nur Du“. Ein rheinisches Pendant zur „Highway 61“ findet Niedecken in der Eifel: „Nürburgring“. Was hat er sich nur dabei gedacht? Oder hat er sich den Rat seines Kollegen Wolfgang Ambros zu Herzen genommen? „Denk ned nach!“ So heißt Dylans „Don’t think twice“ auf Wienerisch, aus: „Like a rolling stone“ macht Ambros: „Allan wia aStan“, bereits 1978 nimmt der Österreicher ein ganzes Album mit Dylan-Songs in seinem Heimatidiom auf.
Bob Dylan ist heute ein alter Mann – deshalb fühlen sich viele Musiker berufen, sein Werk neu zu interpretieren.
Gerade weil man die Texte außerhalb Kölns und Wiens nicht versteht, erkennt man, warum der Versuch, diesen Songs Lokalkolorit einzuhauchen, scheitern muss. Dylan stiftet in den Sechzigern das Vokabular für eine erste Generation, die durch Pop-Musik sozialisiert und globalisiert wird, sein Amerikanisch ist ein Gegenentwurf zur kontaminierten Mutter-, Vater- und Tätersprache. Die artifiziellen Texte des amerikanischen Juden sperren sich gegen die Reprovinzialisierung durch Ambros und Niedecken. Deren Versuch, Dylan zu kopieren, hat darum eine regressive bis reaktionäre Note, die vom kumpeligen Allerweltsrock noch verstärkt wird.
Skepsis ist also angebracht bei einem Projekt wie „From Another World“. Der Titel dieses Tribute-Albums ist Programm, 13 Bands aus 13 Ländern interpretieren Lieder von Bob Dylan. Sie kommen aus Algerien und Taiwan, Ägypten und Bhutan, Mazedonien und Iran, auch Aborigines aus Australien machen mit. Kurator des Projekts ist Alain Weber, ein „nimmermüder Aktivist für nicht-westliche traditionelle Musiken“, so das britische Wire-Magazin in einer wohlwollenden Besprechung. Weber kämpfe für die vom Aussterben bedrohte Musikspezies, er sei ein Streiter wider die kulturelle Uniformierung. In dieser Mission lässt er Dylan-Songs in arabischem Sprechgesang aufführen, auf Hindi, mal unter massivem Panflöteneinsatz, dann wieder getragen von einem zitherartigen Instrument namens Zheng.
Dass die Originale dabei bis zur Unkenntlichkeit verfremdet werden, dürfte unter Freunden nicht-westlicher Traditionsmusiken dann aber als Indiz für die unbeugsame Haltung der Musiker gelten, als Fingerabdruck ihrer Authentizität. Dabei war der Autodidakt Dylan selbst regelmäßig gescheitert, wenn er genau das versuchte: Seine Schärfe, das Understatement, die Lakonie zu drosseln, dafür aber Troubadour-Allüren, Stimmungsbögen und Fiedeln zu betonen.
Unvergleichlich in dieser Compilation nun ist „I want you“ in der Instrumentalfassung des Burma Orchestra Saing Waing. Das zirpt und zimbelt und glöckelt. Es kommt der Verdacht auf, dass hier eine Hotelband unter Missachtung aller Reinheitsgebote US-Touristen mit heimischem Liedgut bespaßen möchte, Exotikfaktor inklusive. Abgesehen von diesem hübschen Fehltritt propagiert „From Another World“ einen naiven Ethnopluralismus, der alles goutiert, solange es nicht hörbar vom Kulturimperialismus verseucht ist. Musikalische Diversität ist oberstes Gebot, unter dem Dach dieser Weltmusik finden alle Kinder Gottes Platz, im Zweifel auch Krieger Gottes. Alain Weber kommt aus Frankreich, dem Mutterland der Radioquote für heimische Produkte, hier ist ein kulturnationalistisch gefärbter Antiamerikanismus kein Privileg der Linken.
Im Dylan-Kanon gelten die Achtziger als das verlorene Jahrzehnt. Seitdem gibt es aber auch Bestrebungen, diese Phase seines Schaffens zu rehabilitieren. Zur Erinnerung: Ende der Siebziger lernt Dylan zwei Männer kennen, die sein Leben entscheidend verändern. Jesus Christus und Mark Knopfler. Liebhaber des elektrischen, von Adrenalin und Amphetamin getriebenen Dylan der späten Sechziger streiten bis heute, welcher der beiden Männer den fataleren Einfluss auf ihn hatte: Jesus, durch den Dylan zum wiedergeborenen Christen wird, oder Knopfler, der Dylan zum behäbigen Weißbierwerbungsrock Dire-Straits’ scher Machart bekehrt.
Unter Knopflers Regie nimmt Dylan 1979 „Slow Train Coming“ auf, die erste seiner Lobet-den-Herrn-Platten, für „Gotta serve somebody“ darauf bekommt er den Grammy. Du musst jemandem dienen! Das ist Dylans neues Demutscredo, anderthalb Jahrzehnte nach der Empfehlung, man möge Führern nicht folgen, sondern ihre Parkuhren kontrollieren. Unter Dylanologen gibt es dazu eine Lesart, die vorgibt, den Künstler gegen politische Vereinnahmung zu schützen. Nie habe er sich in den Dienst politischer Bewegungen gestellt, der Mann sei erfüllt von einer tiefen Spiritualität. Der spirituelle wird gegen den politischen Dylan ausgespielt, der dienende Christ gegen den antiautoritär-säkularen Juden mit dem zersetzenden Humor.
Mit „Bob Dylan in the 80s: Volume One“ vom März 2014 geht das Reha-Projekt in eine neue Runde. Siebzehn Stücke aus dem Americana-Feld, nicht gecastet nach dem Kriterium maximaler Diversität, versuchen sich mit der gebotenen Demut an Songs, die man sich damals gar nicht erst gemerkt hat.
Bonnie Prince Billie pflegt im Duett mit Dawn Landes Zurückhaltung, so diskret wie Dylan in den besseren Duetten mit dem stimmlich präsenteren, virileren Johnny Cash. Aaron Freeman alias Gene Ween gibt mit Slash von Guns’N’Roses das komische Paar auf der öden Party, der Rest ist epigonale Tristesse.
Bevor diese Tribute-Revue mit dem resignativen Refrain endet, nach dem niemand Dylan singt wie Dylan, nun eine gerade wieder aufgelegte Offenbarung: „Dylan’s Gospel.“ Unter dem Namen „The Brothers And Sisters“ haben dreißig meist afroamerikanische Sängerinnen und Sänger mit dem weißen Produzenten Lou Adler im Jahr 1969 zehn Dylan-Songs so aufgenommen, wie sie es der Legende nach in der Kirche gelernt haben. „We took it to the church“, wird Merry Clayton zitiert. Die bekannteste unter den Sisters sollte im selben Jahr mit der Hölle Bekanntschaft machen, als Backgroundsängerin bei „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones.
1969 ist das Jahr von „Oh happy day“, dem ersten lupenreinen Gospel an der Spitze der US-Charts, der Zeit von Revolte und Vietnam-Protest. Den „happy day“ proklamieren die Edwin Hawkins Singers so eindringlich, wie Aretha Franklin zwei Jahre vorher „Respect“ einfordert und die Gospelfamilie Staples zwei Jahre später „Respect yourself“. Freiheit, Glück, Respekt verheißen auch „Chimes Of Freedom“ und „I Shall Be Released“.
Den schon im Original ausgebildeten Gospelkern dieser Songs pushen The Brothers And Sisters ins Ekstatische. Noch toller sind die Versionen von profanen Pop-Songs. Quinn, der Eskimo, von Manfred Mann zum Hit gemacht, kriegt ein Extra-Halleluja. Das Baby aus „I’ll be your baby tonight“ verspricht sich dem Liebhaber für eine Nacht – und irgendwie dem Allmächtigen für immer. 1969 profitieren Brothers and Sisters von der Gnade der frühen Geburt. Dylan hat noch keinen Jesus getroffen, keinen Knopfler, der Spirit ist jener der Befreiung, nicht der Unterwerfung.
Bob Dylan ist heute ein alter Mann – deshalb fühlen sich viele Musiker berufen, sein Werk neu zu interpretieren.
Gerade weil man die Texte außerhalb Kölns und Wiens nicht versteht, erkennt man, warum der Versuch, diesen Songs Lokalkolorit einzuhauchen, scheitern muss. Dylan stiftet in den Sechzigern das Vokabular für eine erste Generation, die durch Pop-Musik sozialisiert und globalisiert wird, sein Amerikanisch ist ein Gegenentwurf zur kontaminierten Mutter-, Vater- und Tätersprache. Die artifiziellen Texte des amerikanischen Juden sperren sich gegen die Reprovinzialisierung durch Ambros und Niedecken. Deren Versuch, Dylan zu kopieren, hat darum eine regressive bis reaktionäre Note, die vom kumpeligen Allerweltsrock noch verstärkt wird.
Skepsis ist also angebracht bei einem Projekt wie „From Another World“. Der Titel dieses Tribute-Albums ist Programm, 13 Bands aus 13 Ländern interpretieren Lieder von Bob Dylan. Sie kommen aus Algerien und Taiwan, Ägypten und Bhutan, Mazedonien und Iran, auch Aborigines aus Australien machen mit. Kurator des Projekts ist Alain Weber, ein „nimmermüder Aktivist für nicht-westliche traditionelle Musiken“, so das britische Wire-Magazin in einer wohlwollenden Besprechung. Weber kämpfe für die vom Aussterben bedrohte Musikspezies, er sei ein Streiter wider die kulturelle Uniformierung. In dieser Mission lässt er Dylan-Songs in arabischem Sprechgesang aufführen, auf Hindi, mal unter massivem Panflöteneinsatz, dann wieder getragen von einem zitherartigen Instrument namens Zheng.
Dass die Originale dabei bis zur Unkenntlichkeit verfremdet werden, dürfte unter Freunden nicht-westlicher Traditionsmusiken dann aber als Indiz für die unbeugsame Haltung der Musiker gelten, als Fingerabdruck ihrer Authentizität. Dabei war der Autodidakt Dylan selbst regelmäßig gescheitert, wenn er genau das versuchte: Seine Schärfe, das Understatement, die Lakonie zu drosseln, dafür aber Troubadour-Allüren, Stimmungsbögen und Fiedeln zu betonen.
Unvergleichlich in dieser Compilation nun ist „I want you“ in der Instrumentalfassung des Burma Orchestra Saing Waing. Das zirpt und zimbelt und glöckelt. Es kommt der Verdacht auf, dass hier eine Hotelband unter Missachtung aller Reinheitsgebote US-Touristen mit heimischem Liedgut bespaßen möchte, Exotikfaktor inklusive. Abgesehen von diesem hübschen Fehltritt propagiert „From Another World“ einen naiven Ethnopluralismus, der alles goutiert, solange es nicht hörbar vom Kulturimperialismus verseucht ist. Musikalische Diversität ist oberstes Gebot, unter dem Dach dieser Weltmusik finden alle Kinder Gottes Platz, im Zweifel auch Krieger Gottes. Alain Weber kommt aus Frankreich, dem Mutterland der Radioquote für heimische Produkte, hier ist ein kulturnationalistisch gefärbter Antiamerikanismus kein Privileg der Linken.
Im Dylan-Kanon gelten die Achtziger als das verlorene Jahrzehnt. Seitdem gibt es aber auch Bestrebungen, diese Phase seines Schaffens zu rehabilitieren. Zur Erinnerung: Ende der Siebziger lernt Dylan zwei Männer kennen, die sein Leben entscheidend verändern. Jesus Christus und Mark Knopfler. Liebhaber des elektrischen, von Adrenalin und Amphetamin getriebenen Dylan der späten Sechziger streiten bis heute, welcher der beiden Männer den fataleren Einfluss auf ihn hatte: Jesus, durch den Dylan zum wiedergeborenen Christen wird, oder Knopfler, der Dylan zum behäbigen Weißbierwerbungsrock Dire-Straits’ scher Machart bekehrt.
Unter Knopflers Regie nimmt Dylan 1979 „Slow Train Coming“ auf, die erste seiner Lobet-den-Herrn-Platten, für „Gotta serve somebody“ darauf bekommt er den Grammy. Du musst jemandem dienen! Das ist Dylans neues Demutscredo, anderthalb Jahrzehnte nach der Empfehlung, man möge Führern nicht folgen, sondern ihre Parkuhren kontrollieren. Unter Dylanologen gibt es dazu eine Lesart, die vorgibt, den Künstler gegen politische Vereinnahmung zu schützen. Nie habe er sich in den Dienst politischer Bewegungen gestellt, der Mann sei erfüllt von einer tiefen Spiritualität. Der spirituelle wird gegen den politischen Dylan ausgespielt, der dienende Christ gegen den antiautoritär-säkularen Juden mit dem zersetzenden Humor.
Mit „Bob Dylan in the 80s: Volume One“ vom März 2014 geht das Reha-Projekt in eine neue Runde. Siebzehn Stücke aus dem Americana-Feld, nicht gecastet nach dem Kriterium maximaler Diversität, versuchen sich mit der gebotenen Demut an Songs, die man sich damals gar nicht erst gemerkt hat.
Bonnie Prince Billie pflegt im Duett mit Dawn Landes Zurückhaltung, so diskret wie Dylan in den besseren Duetten mit dem stimmlich präsenteren, virileren Johnny Cash. Aaron Freeman alias Gene Ween gibt mit Slash von Guns’N’Roses das komische Paar auf der öden Party, der Rest ist epigonale Tristesse.
Bevor diese Tribute-Revue mit dem resignativen Refrain endet, nach dem niemand Dylan singt wie Dylan, nun eine gerade wieder aufgelegte Offenbarung: „Dylan’s Gospel.“ Unter dem Namen „The Brothers And Sisters“ haben dreißig meist afroamerikanische Sängerinnen und Sänger mit dem weißen Produzenten Lou Adler im Jahr 1969 zehn Dylan-Songs so aufgenommen, wie sie es der Legende nach in der Kirche gelernt haben. „We took it to the church“, wird Merry Clayton zitiert. Die bekannteste unter den Sisters sollte im selben Jahr mit der Hölle Bekanntschaft machen, als Backgroundsängerin bei „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones.
1969 ist das Jahr von „Oh happy day“, dem ersten lupenreinen Gospel an der Spitze der US-Charts, der Zeit von Revolte und Vietnam-Protest. Den „happy day“ proklamieren die Edwin Hawkins Singers so eindringlich, wie Aretha Franklin zwei Jahre vorher „Respect“ einfordert und die Gospelfamilie Staples zwei Jahre später „Respect yourself“. Freiheit, Glück, Respekt verheißen auch „Chimes Of Freedom“ und „I Shall Be Released“.
Den schon im Original ausgebildeten Gospelkern dieser Songs pushen The Brothers And Sisters ins Ekstatische. Noch toller sind die Versionen von profanen Pop-Songs. Quinn, der Eskimo, von Manfred Mann zum Hit gemacht, kriegt ein Extra-Halleluja. Das Baby aus „I’ll be your baby tonight“ verspricht sich dem Liebhaber für eine Nacht – und irgendwie dem Allmächtigen für immer. 1969 profitieren Brothers and Sisters von der Gnade der frühen Geburt. Dylan hat noch keinen Jesus getroffen, keinen Knopfler, der Spirit ist jener der Befreiung, nicht der Unterwerfung.