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Häute-Journal

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S’il te plaît ... apprivoise-moi!“ steht da geschrieben, zu Deutsch: „Bitte ... zähme mich!“ Der Satz ist ein Zitat aus „Der kleine Prinz“. Eine Darmstädterin, Ende 20, hat ihn sich auf den rechten Unterarm stechen lassen, und zwar großflächig. Oder wie das Verwaltungsgericht Darmstadt meint: zu großflächig. Jedenfalls für eine Polizistin.



So ein Tattoo ist nichts Besonderes, könnte aber zum Ausschlusskriterium bei der Bewerbung um einen Job werden.

Deshalb wies der Richter am Dienstag den Einspruch der Frau ab, die wegen des Tattoos nicht zum Auswahlverfahren der Bundespolizeiakademie zugelassen worden war. Die Bewerberin hatte der Behörde vorgeworfen, ihre Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Zugang zu jedem öffentlichen Amt verletzt zu haben. Das Verbot der Bundespolizei sei nachvollziehbar, sagte hingegen der Richter.
Die Entscheidung wirft Fragen auf: Welche Tattoos sind für welche Karrieren hinderlich? Und was darf der Chef seinen Angestellten verbieten? Wie viele Deutsche sich mittlerweile mit diesen Fragen beschäftigen müssen, zeigt eine Ende Mai veröffentlichte Umfrage: Unter den 25- bis 34-jährigen Befragten waren 22 Prozent tätowiert. Generell ist die Tendenz steigend. Die Studie der Gesellschaft für Konsumforschung, erhoben im Auftrag von Dermatologen der Uni Bochum und verschiedenen Tattoo- und Piercing-Verbänden, belegt auch, dass die Tätowierten keinen bestimmten Einkommensschichten oder Subkulturen zuzuordnen sind. Kurz: Das Tattoo ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Entscheidend scheint nun die Frage: Wo genau dort?

„Es gibt mehr Leute ,als man denkt, die unter ihrem Anzug noch einen zweiten Anzug tragen“, sagt Thomas März vom Tattoo-Studio „Tempel München“. Aber März warnt auch: „Alles, was darüber sichtbar ist, muss schon gut überlegt sein.“

In der Arbeitswelt hätten Chefs tatsächlich das Recht, beim Erscheinungsbild ihrer Mitarbeiter mitzusprechen, sagt Christian Götz, Arbeitsrechtsexperte von der Gewerkschaft Verdi. „Der Arbeitgeber ist Herr des Arbeitsbereichs, er kann bestimmen, welches Unternehmensbild er in der Öffentlichkeit vermitteln will.“ Besonders strenge Regeln würden eben für die Angestellten des öffentlichen Dienstes und für Beamte gelten. Sie stünden in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu ihrem Arbeitgeber und genössen auch in der Gesellschaft einen Vertrauensvorschuss. „Manche Tätowierungen bei Polizisten mögen tatsächlich einen bestimmten Eindruck erwecken, der nicht mit dem Auftrag der Polizei vereinbar wäre“, sagt Götz. Was nun genau wie auszusehen hat, das ist tatsächlich: Ansichtssache.

Im Fall der Darmstädterin argumentierte das Gericht: Sichtbare Tätowierungen könnten als „Zeichen eines gesteigerten Erlebnisdrangs“ verstanden werden; der Körperschmuck der Klägerin bringe eine „überzogene Individualität“ zum Ausdruck, welche „die Toleranz anderer übermäßig beanspruche“; Beamte der Bundespolizei seien zudem häufig die ersten Vertreter Deutschlands, auf die einreisende Ausländer träfen. Immerhin befand das Gericht, dass Tätowierungen heutzutage nicht mehr nur bei Seefahrern und Sträflingen zu sehen seien.

Tatsächlich sind nicht nur Bewerber für Jobs mit Autoritätsanspruch von ästhetischen Auswahlkriterien der Arbeitgeberbetroffen. Auch bei Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr sei das verfassungsgemäße Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingeschränkt, sagt Verdi-Experte Götz. Das könne den Bankangestellten betreffen, genauso die Flugbegleiterin oder die Servicekraft im gehobenen Restaurant. Sie alle seien verpflichtet, den hausinternen Dresscode zu beachten. Was optisch erlaubt sei oder nicht, entscheide jeweils der Arbeitgeber. „In einem hippen Klamottenladen kann es sein, dass Tattoos sogar gern gesehen sind“, sagt Götz.

Doch gibt es auch Grenzen. So könne der Arbeitgeber nicht anordnen, dass etwa alle männlichen Mitarbeiter auf einmal glatt rasiert erscheinen müssten. „Wenn ein Bart bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages nicht verboten war, darf er stehenbleiben“, sagt Götz. Christof Kleinmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, ergänzt: „Der Arbeitgeber darf nur Vorgaben machen, die eine sachliche Rechtfertigung haben.“ So dürfe etwa jede Empfangsdame frei entscheiden, ob sie ihre Haare blond oder braun färbt. „Zebra-Look muss die Firma allerdings nicht akzeptieren“, so Kleinmann. Gleiches gelte für Ohrringe bei Männern. „Wenn es keinen triftigen Grund für ein Verbot gibt, beispielsweise Hygienebedenken bei einem Arzt, muss der Arbeitgeber den Körperschmuck akzeptieren – ob er ihm persönlich gefällt oder nicht.“ Daran müsse sich im Übrigen auch der Staat als Arbeitgeber richten. „Eine kleine Tätowierung auf der Schulter, die im Beruf immer bedeckt ist, geht auch für Ordnungshüter in Ordnung“, sagt Kleinmann.

So sieht das auch das Darmstädter Verwaltungsgericht: Eine kleine, dezente Tätowierung ohne besondere Symbolik sei kein Hindernis für den Polizeidienst. „Wir hätten uns aber auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Tätowierung gewünscht“, sagt Husni Celik, der Anwalt der Darmstädterin. Stattdessen sei es dem Gericht ausschließlich um die Größe des Schriftzugs gegangen – das Tattoo der Bewerberin wäre selbst in Uniform zu sehen.

Thomas März, der Chef des Tätowier-Ladens, kennt diese Problematik. „Gerade junge Leute um die 20 wollen sichtbare Tattoos. Die sind leider sehr sorglos. Wenn es um Unterarme, Hände, Hals oder das Gesicht geht, ergreifen dann wir die Initiative, beraten die Kunden und besprechen Alternativen.“ Tattoos seien für die Ewigkeit, „auch wenn es inzwischen Studios gibt, die Tätowierung plus deren Entfernung nach zehn Jahren im Paket verkaufen.“

Auch die junge Frau aus Darmstadt spielt nun mit dem Gedanken, sich das Tattoo komplett weglasern zu lassen. Ihr Anwalt wird gegen den Beschluss vom Dienstag Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof einlegen.

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