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Sand in der Sonnenmilch

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In seinem privaten Leben ist Georgios Sotiriou, braunäugig und eher der mediterrane Hauttyp, vermutlich selten auf Sonnencreme angewiesen. In seinem Labor dagegen hat der Forscher von der Harvard School of Public Health in Boston praktisch tagtäglich mit UV-Filtern zu tun, genauer gesagt mit Nanoteilchen aus Zinkoxid. Die stäbchenförmigen Partikel sind definitionsgemäß kleiner als 100 Nanometer und stecken in fast jeder mineralischen Sonnencreme. Sie spiegeln Sonnenlicht einfach weg, lassen sich leicht verteilen und bilden auf der Haut – im Gegensatz zu Cremes mit größeren Zinkoxidteilchen – keine zähe, weiße Schicht. Eigentlich also eine gute Sache, wären da nicht Bedenken zu möglichen Gesundheitsrisiken.



Sonnencreme kann umstrittene Nanoteilchen aus Zinkoxid beinhalten.

„In-vivo und in-vitro-Untersuchungen haben gezeigt, dass Zinkoxidnanopartikel in der Lunge akut toxisch und in menschlichen Nervenzellen zell- und gentoxisch wirken können“, schreibt Sotiriou im Fachblatt Environmental Science Nano. Er hat die Partikel deshalb hauchdünn mit Siliziumdioxid beschichtet, dem Hauptbestandteil von Sand. Es ist im Nanoformat schon seit vielen Jahren als Rieselhilfe in Kochsalz oder Tütensuppen im Einsatz. Die Hülle aus Nanosand verhindert, dass sich Zink-Ionen aus dem Oxid lösen, die in hohen Dosen giftig wirken und zum Beispiel eingeatmet Entzündungen in der Lunge verursachen können. Sie verringert die Gentoxizität des nackten Zinkoxids Sotiriou zufolge um den Faktor drei.

Ganz neu ist die Strategie allerdings nicht. Nanopartikel für Kosmetika sind in der Regel schon heute beschichtet, um mögliche Gesundheitsrisiken zu minimieren. Doch Sotiriou ist überzeugt, eine besonders gute Beschichtungsmethode gefunden zu haben. „Die meisten der üblichen Schichten werden in flüssigen Medien produziert und sind oft sehr dick und porös “, behauptet er. „Wir stellen unsere Siliziumdioxidschicht in der Gasphase her und erhalten eine geschlossene Hülle.“

Solche Versuche belegen, wie tief das Unbehagen über Nanopartikel auch in Wissenschaft und Industrie sitzt. Die Teilchen sind schließlich so klein, dass sie tiefer in den Körper eindringen als je ein Material zuvor. Außerdem haben sie ganz andere physikalische und chemische Eigenschaften als die gleiche Substanz in größeren Einheiten: Nanogold zum Beispiel ist purpurrot. Die bisherigen Versuche, die Stoffe zu regulieren, haben nicht viel zum Vertrauen der Verbraucher beigetragen.

So müsse sich zum Beispiel niemand vor Nanozink fürchten, ob nun unbeschichtet, porös oder dicht umhüllt – besagt eine Stellungnahme des EU-Komitees für Verbrauchersicherheit (SCCS). Demzufolge dürfen Sonnencremes aus dem Drogerieregal bis zu 25 Prozent Zinkoxid-Nanopartikeln enthalten. Das Gleiche gilt für Lotionen mit Nano-Titandioxid, obgleich der Weißmacher aus Wandfarbe und Zahnpasta als eher problematisch angesehen wird. Der Grund für die Freigabe: Die Teilchen blieben im Wesentlichen auf der Haut kleben und kämen zumindest auf diesem Wege nicht mit lebenden Zellen in Kontakt.

Trotzdem ist es wohl sinnvoll, die Winzlinge zu entschärfen, denn die SCCS-Entwarnung hat Einschränkungen. So gilt sie bisher nur für intakte Haut und ausschließlich für die bewerteten Nanomaterialien mit bestimmten Kristallstrukturen, Größen und Beschichtungen. „Angesichts der Vielfalt der Teilchen und der unterschiedlichen Beschichtungen kann es hier keinen Freibrief geben “, betont Thomas Platzek vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), der Mitglied im SCCS ist. Zudem kommen immer neue Varianten der winzigen UV-Filtermaterialien auf den Markt. Auch künftige Zusatzstoffe, die Cremes tiefer in die Haut eindringen lassen, könnten eine Neubewertung des Gesundheitsrisikos erforderlich machen. „Außerdem sollte die Sonnencreme nicht aus einer Treibgasdose gesprüht werden, weil dann lungengängige Aerosole entstehen können“, warnt der Wissenschaftler.

Seit Juli vergangenen Jahres müssen alle Kosmetikprodukte, die Nanoteilchen enthalten, mit „nano“ gekennzeichnet und beim SCCS gemeldet werden. Das Expertengremium prüft dann, ob nach derzeitigem Kenntnisstand eine Gefährdung möglich ist. Das ist Platzek zufolge aber oft schwierig. „Der Forschungsbedarf ist riesig“, betont er. Manche in der Toxikologie etablierten Tests funktionieren für Nanopartikel zudem schlicht nicht, zum Beispiel der bakterienbasierte Ames-Test, mit dem die Gentoxizität einer Substanz festgestellt werden kann. „Wir haben erst in den letzten fünf Jahren gelernt, dass dieser Test im Zusammenhang mit Nanopartikeln sinnlos ist“, sagt der Wissenschaftler. Im Gegensatz zu menschlichen Zellen fehlt den Bakterien ein Mechanismus, um die winzigen Partikel in die Zellen zu schleusen. Negative Testergebnisse könnten deshalb eine falsche Sicherheit vorgaukeln. Jetzt entwickeln Forscher aussagekräftigere Untersuchungen mit Säugerzellen.

Im Fall von Titandioxid sind zudem die Folgen einer ganz besonderen Eigenschaft bisher noch gar nicht so recht untersucht worden. Das Material wirkt fotokatalytisch und kann unter Sonneneinstrahlung aggressive Sauerstoffatome freisetzen. Diesen Effekt macht man sich unter anderem für die Reinigung von Abwasser und Autobahnluft zunutze. Am Körper ist er aber nicht erwünscht. Was die Substanzen unter UV-Licht zudem in biologischen Systemen anrichten können, versuchen zurzeit Forscher von der Leibniz-Universität Hannover herauszufinden. Sie testen die Wirkung verschiedener Titandioxid-Nanomaterialien auf Haut-, Lungen-, Darm- und Nervenzellen. Ergebnisse liegen allerdings noch nicht vor.

Auch wegen solcher Unsicherheiten liegt der Harvard-Forscher Sotiriou mit seinen Beschichtungsversuchen voll im Trend. „Das Schlagwort in der Nanotechnologie heißt heute Safer-by-Design“, sagt Christina Ziemann vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM) in Hannover. Dabei gehe es darum, Nanoteilchen schon bei der Herstellung sicherer zu machen. Die Teilchen in eine Hülle einzuschließen, ist dabei nur eine Strategie. Eine andere ist, direkt chemisch einzugreifen. Forscher der University of California in Los Angeles etwa haben Zinkoxidpartikel mit Eisen gedopt, das ebenfalls dafür sorgt, dass sich weniger Zink aus dem Oxid löst.

Außerdem arbeiten Wissenschaftler an Methoden, das Risikopotenzial von Nanopartikeln an chemisch-physikalischen Eckdaten wie Größe, Struktur, Form oder Oberflächenbeschaffenheit festzumachen. „Dann könnte man die Produktion so steuern, dass im Idealfall potenziell gefährliche Teilchen gar nicht erst entstehen“, ist Ziemann überzeugt. Bisher ließen mangelnde Standards, zu wenige verlässliche Versuche am lebenden Organismus und Langzeituntersuchungen für viele Materialien nur Spekulationen zu.
Die Safer-by-Design-Forschung ist dabei längst nicht mehr nur ein Anliegen von Wissenschaftlern und Verbraucherschützern. „Sie wird auch von der Industrie vorangetrieben“, sagt die Toxikologin. „Die Unternehmen wollen schlicht nichts produzieren, was wegen möglicher Gesundheitsrisiken später wieder vom Markt genommen werden muss.“

Von Andrea Hoferichter

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