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"Hier gibt es gar nichts"

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In der Region Neapel lebt eine ganze Generation junger Leute ohne jegliche Aussicht auf einen regulären Arbeitsplatz. Manche von ihnen protestieren noch und fordern verzweifelt Hilfe von der Regierung in Rom. Andere haben den Kampf längst aufgegeben.

Sie versuchen cool zu bleiben, aber geben dann zu, dass sie angespannt sind, die jungen Leute vor dem Gitter des Veranstaltungsgeländes in Neapels Stadtrandviertel Fuorigrotta. Hunderte sind gekommen wie an jedem Tag dieser Woche, für die schriftlichen Tests, die sie näher an eine sichere Zukunft als Forstbeamte führen sollen. Aber es ist ein Lottospiel: 400 Posten vergibt die Forstbehörde in Italien - 120000 junge Leute haben sich für die Prüfung angemeldet. 40 Jobs entfallen auf Kampanien, rund 18000 hoffen hier auf Anstellung beim Staat. Ein Hauptgewinn wäre das in einer Region, in der die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos ist, 15 Prozent mehr als im italienischen Durchschnitt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist eines der drängendsten Probleme Italiens.



Studenten protestieren auf den Straßen Neapels gegen den Jobmangel.

Die Kandidaten wissen, wie ihre Chancen stehen, aber sagen, sie wollten alles versuchen, was Aussicht auf Arbeit verspricht. Und alle sind bereit, dafür ihr Studium aufzugeben und überallhin zu ziehen. Der 20- jährige Informatikstudent Tomaso Sepe genauso wie Libera Sorrentino, 27, die Umwelttechnik studiert. 'Hier gibt es gar nichts', sagt sie. Alle, die man trifft, leben bei den Eltern. Auch Marco Borrone, ein jungenhafter 32-Jähriger, der seine Geschichte im Uni-Viertel in der Altstadt Neapels erzählt. Intelligent, neugierig, freundlich ist er, hat gearbeitet seit dem Abitur, aber noch nie ein Gehalt bekommen. Nicht, als er ein Jahr in einer Drogen-Therapieeinrichtung gearbeitet hat, nicht für den Italienisch-Unterricht, den er Migranten gibt, nicht bei der alternativen Zeitung, für die er schreibt. Unbezahlte Dienste, wie sie so viele junge Italiener in Kauf nehmen, um einen Einstieg ins Berufsleben zu finden. Den meisten, die er kennt, gehe es so, 'Sklaverei' nennt Borrone das.

Er, sein Bruder mit Down-Syndrom und die Mutter leben von der Pension des verstorbenen Vaters. Wenn es gut geht, kann Marco 100 Euro im Monat für sich ausgeben. 1999 hat er sich arbeitssuchend gemeldet. Nicht ein Mal habe er seither etwas von der Behörde gehört. Das versucht die Regierung von Mario Monti zu ändern, es soll endlich eine aktive Arbeitsmarktpolitik geben, speziell für junge Leute. Für Marco kommt das vielleicht schon zu spät, er gehört zu denen, die in Italien 'verlorene Generation' genannt werden. 'Betrogen' fühle er sich von der Politik, sagt Marco, wählen geht er nicht mehr. Er lernt jetzt Deutsch, hofft, im Übersetzungsbüro eines Freundes arbeiten zu können, endlich mal für Geld. Deutsche Kultur fasziniert ihn, sagt er.

Damit gehört er nicht zu denen, die Raffaele Felaco am meisten Sorgen machen: die nämlich, von denen man nichts hört, die kapituliert haben. Das ist mindestens die Hälfte der Arbeitslosen bis zu 32 Jahren in Italiens Süden. Felaco ist Vorsitzender der Psychologenvereinigung Kampaniens und stellt beunruhigende Symptome fest. Es gebe mehr Gewalt in den Familien, die ausbricht als Folge sozialer Depression. Das gehe durch die ganze Gesellschaft. Besonders die Jungen 'verlieren das Vertrauen in die Zukunft'. Immer mehr von ihnen hingen vor Spielautomaten herum und ruinierten ihre Familien. Immer Jüngere griffen zum Alkohol. Das Risiko, kriminell zu werden, in Neapel eh schon groß, wachse. Felaco ist so alarmiert, dass er in den Stadtteilen psychologische Dienste organisiert.

Gaia Fragano ist mit 35 Jahren sicher keine Jugendliche mehr, aber auch sie gehört zur 'verlorenen Generation'. Sie wohnt bei ihrem Onkel, 'ich weiß gar nicht mehr, wie das ist, ein eigenes Bett zu haben'. Alles, was normal war für ihre Eltern, scheint außer Reichweite zu sein, eine Wohnung, die Gründung einer Familie. Seit einem Jahr findet die gut aussehende Frau keine Arbeit, nicht eine Antwort sei auf ihre vielen Bewerbungen gekommen, obwohl sie 15Jahre Erfahrung hat im Fremdenverkehr. Sie hat ihr Tiermedizin-Studium aufgegeben, Touristik erschien ihr als sicherer. Sie kam herum, aber immer mit befristeten Stellen, wie in der Branche üblich. Deshalb bekommt sie keine Arbeitslosenhilfe. Sie lebt vom Ersparten, dem Wohlwollen des Onkels, gibt Nachhilfe. Ein Praktikum als Konditorin hat sie gemacht, in der Hoffnung, dass das Türen öffnet. Von ihrem bisschen Geld hat sie jetzt in einen Deutschkurs in Neapels Goethe-Institut investiert, um ihre Chancen zu erhöhen.

Michele Nerone ist erst 25, strotzt aber vor Tatendrang. Nur was er sagt, klingt manchmal, als wäre er 40. Er hat seine Erfahrungen. Zwei Jahre machte er den Computer-Support einer Firma. Als sie pleite ging, waren auch die 600 Euro im Monat weg, die er vorher für 12-Stunden-Tage bekommen hatte. Dass er sein Politik-Studium weitermacht, ist eher eine Notlösung. Michele hat auch in einem Callcenter gearbeitet: 20 Cent für jeden beantworteten Anruf. Acht Monate lang war er Pizzabäcker in der Stadt, wo die Pizza erfunden wurde. 16 Stunden-Tage seien das gewesen für 800 Euro im Monat. Er würde sich gerne selbständig machen mit seinen Computerkenntnissen, die Regierung hat auch Programme für junge Unternehmensgrün-der aufgelegt. Nur hat Nerone ausgerechnet, trotz der Steuervergünstigung müsste er so viel Abgaben zahlen, dass ihm nach Büromiete und Unkosten 8000 Euro im Jahr blieben. Zu wenig für das Risiko, womöglich mit Schulden zu enden. Er ist so sauer auf die Politik, dass er einen offenen Brief an Arbeitsministerin Elsa Fornero ins Internet gestellt hat. Die sagte kürzlich, die Jungen sollten nicht so wählerisch sein, sie benutzte das englische Wort 'choosy', das Michele nun zynisch zitiert.

Um die, die nichts haben, kümmert sich Giovanni Laino. Der Professor für Stadtplanung ist im Vorsitz des Vereins Quartieri Spagnoli. In diesem malerischen, aber für Armut und Verbrechen berüchtigten Viertel macht der Verein Sozialarbeit für Kinder. Er hat ein Programm entwickelt, das Jugendlichen Berufspraktika vermittelt, damit sie etwas lernen, auch Grundlegendes wie Pünktlichkeit. Aber der Verein hat Sorgen. Der Staat schuldet ihm 900000 Euro für die Sozialarbeit. Der Verein kann die Mitarbeiter kaum zahlen, hat sogar Schulden bei Jugendlichen des Projekts, die drei Euro je Stunde erhalten. Die gehören zu den vielen in Neapel, über die Psychologe Felaco sagte: 'Die Erwartungen an das Leben werden jeden Tag weniger.'

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