Der Eingang zu Hamburgs Sozialbehörde liegt in einem Einkaufszentrum neben einer sechsspurigen Straße, wahrlich kein romantischer Ort. Von hier aus muss sich Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) um die menschliche Not in Deutschlands zweitgrößter Stadt kümmern. Seine größte Sorge: Wohin mit all den Flüchtlingen? Ein ehrliches Gespräch.
Lampedusa-Flüchtlinge und Unterstützer demonstrieren Anfang Juni vor dem Rathaus in Hamburg.
SZ: Herr Scheele, mitten in Hamburg, in einem Park in Altona, haben 50 Menschen aus Rumänien über Wochen in Zelten und Autos campiert, darunter Schwangere und viele Kinder. Erschreckt Sie das?
Detlef Scheele: Leider passiert das zurzeit allenthalben in deutschen Großstädten. Besonders stark betroffen sind Mannheim, Berlin und Duisburg. Dort lassen sich Menschen aus Bulgarien und Rumänien nieder, die auch in ihren Heimatländern nicht integriert sind, die in der Regel keine Schulabschlüsse haben, keine Berufsausbildung und teilweise gar nicht lesen und schreiben können.
Was passiert mit diesen Menschen?
Wir beraten sie in ihrer Muttersprache und sagen ihnen: Ohne Berufsausbildung, ohne Sprachkenntnisse, ohne einen Rechtsanspruch auf Sozialleistungen oder Wohnraum können wir Euch keine Perspektive bieten. Ihr müsst zurückfahren. Wir sind in Hamburg ganz erfolgreich mit dieser Art Rückführung, denn es gibt für diesen Personenkreis hier keine Integrationsperspektive.
Könnten Sie die Menschen, wenn sie einen Anspruch hätten, überhaupt in öffentlichen Unterkünften unterbringen?
Wegen der hohen Flüchtlingszahlen haben gegenwärtig außer in Hotels keine Chance, jemanden unterzubringen. Gar keine Chance. Wir haben keine Plätze. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, fest angelehnt.
Wie dramatisch ist die Lage?
Unsere Erstaufnahmestelle ist um 500 Personen überfüllt, weil wir die Flüchtlinge von dort aus nicht in die Folgeunterbringung abgeben können. Uns fehlen für dieses Jahr 4000 zusätzliche Plätze. Bei 2400 Plätzen wissen wir immerhin, wo sie entstehen sollen, einige werden schon gebaut. Bei 1600 Plätzen wissen wir noch nicht einmal, wo wir sie bauen können.
Falls alles klappt, hätten Sie am Ende 14000 Plätze. Reicht das überhaupt?
Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Wir gehen von den Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus, die für dieses Jahr eine Steigerung der Flüchtlingszahlen um etwa 30 Prozent melden. Aber Innenminister de Maizière nannte kürzlich in einem Interview schon wieder deutlich höhere Zahlen. Da würden wir finanziell und räumlich vor unglaublichen Problemen stehen.
In Irak und Syrien sieht es nicht so aus, als würde sich die Lage entspannen.
Auch in Eritrea, Somalia und Süd-Sudan sehe ich nicht, dass Ruhe einkehrt. Und den Menschen muss man helfen.
Was kosten die neuen Plätze?
Wir haben mal gerechnet: Im Schnitt müssen wir 20 000 Euro investieren, um einen Platz herzustellen.
Stimmt es, dass Obdachlose auf der Straße leben müssen, weil alle Unterkünfte voll sind?
Obdachlose machen im Sommer Platte und im Winter können sie ins Winternotprogramm gehen. Die eigentlich Leidtragenden sind momentan alle, die ihre Wohnung verlieren und zumindest zwischenzeitlich in eine öffentliche Unterkunft müssen, damit sie von dort aus wieder eine neue Wohnung finden können. Für diese Menschen ist es sehr schwierig. Das sind etwa 750 Hamburger.
Es ist aussichtslos?
Jedes Bett, das wir in Containern oder Pavillons schaffen, geht an Flüchtlinge. Unsere Fachstellen für Wohnungsnotfälle müssen die Menschen zum großen Teil wieder wegschicken.
Sozialarbeiter berichten von Schwangeren, Alten oder Krebskranken, die seit dem Ende des Winternotprogramms im April wieder auf der Straße leben müssen.
Das kann eigentlich nicht sein. Sogenannte Härtefälle, also Hochschwangere, Kranke oder Frauen mit Kindern bringen wir in Hotels unter. Wir haben inzwischen 240 Plätze in Hotels belegt, vor einem Jahr waren es noch 80. Das steigt sprunghaft.
Woher nehmen Sie das ganze Geld?
Wir bereiten gerade eine Nachforderung zum Haushalt vor. Da geht es um sehr viele Millionen Euro. Insgesamt werden wir dieses Jahr über 250 Millionen für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen ausgeben. Bislang konnten wir Kürzungen in anderen Bereichen vermeiden. Aber wenn das in den nächsten Jahren so weitergeht, wird es sehr schwierig.
Was machen Sie dann?
Wir fahren im Moment auf Sicht.
Macht Ihnen persönlich die Situation zu schaffen?
Ich bin viel unterwegs und war neulich in einem Containerdorf in Lokstedt. Das ist deprimierend. So ein Container ist ein kleiner Raum, geteilt mit einem Vorhang, da stehen vier Betten drin, vier Spinde. Das ist alles ganz erbärmlich, gerade wenn dort auch Kinder wohnen. Umso beeindruckender ist das großartige Engagement von Nachbarn, die sich um die Flüchtlinge kümmern, besonders um die Kinder.
Ihr ganzes Geld fließt in neue Gebäude. Und die Situation in den bisherigen Unterkünften bleibt so prekär, wie sie ist?
Das ist kein böser Wille. Wir haben gegenwärtig keine Chance, die Qualität der Unterkünfte zu verbessern. Da kann ich wohl für alle meine Kollegen in den deutschen Großstädten sprechen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung jetzt die Wartezeit bis zur Arbeitsaufnahme auf drei Monate verkürzt. Wenn es gelingt, Flüchtlinge schneller in Arbeit zu bringen und zu integrieren, entlastet das die öffentlichen Haushalte und löst die Spannungen in den Unterkünften.
Schaffen es die Städte überhaupt allein?
Wir müssen darüber reden, dass der Bund uns hilft. Wenn ich mir Städte im Ruhrgebiet anschaue, die schon in der Haushaltssicherung sind – das können wir Kommunen nicht alleine stemmen. Da müssen wir über eine Kostenbeteiligung des Bundes diskutieren. Die finanziellen Belastungen sind extrem geworden.
Vor 20 Jahren lagen drei große Wohnschiffe mit Hunderten Flüchtlingen im Hamburger Hafen. Ist es bald wieder so weit?
Wir haben die Hafenbehörde Hamburg Port Authority gebeten, nach Liegeplätzen und Schiffen zu suchen. Wir müssen die Schiffe am Ende ja nicht einsetzen, aber wir müssen zumindest jetzt die Planung vorantreiben, um es bei Bedarf schnell tun zu können. Mir ist es egal, ob 100 Plätze in einem Containerdorf geschaffen werden oder auf einem Schiff. Hauptsache, wir bekommen genügend Plätze.
Sie würden wieder Schiffe einsetzen?
Wenn uns jetzt noch 1600 Plätze fehlen und wir 200 Plätze auf einem Schiff bekommen können, dann nehmen wir sie. Es ist aber nicht einfach. Der Liegeplatz muss hergerichtet werden, Infrastruktur muss dahin, so einfach ist das alles nicht.
Das alles zeigt, in welcher Not Sie stecken.
Ja. Die Lage ist extrem.
Lampedusa-Flüchtlinge und Unterstützer demonstrieren Anfang Juni vor dem Rathaus in Hamburg.
SZ: Herr Scheele, mitten in Hamburg, in einem Park in Altona, haben 50 Menschen aus Rumänien über Wochen in Zelten und Autos campiert, darunter Schwangere und viele Kinder. Erschreckt Sie das?
Detlef Scheele: Leider passiert das zurzeit allenthalben in deutschen Großstädten. Besonders stark betroffen sind Mannheim, Berlin und Duisburg. Dort lassen sich Menschen aus Bulgarien und Rumänien nieder, die auch in ihren Heimatländern nicht integriert sind, die in der Regel keine Schulabschlüsse haben, keine Berufsausbildung und teilweise gar nicht lesen und schreiben können.
Was passiert mit diesen Menschen?
Wir beraten sie in ihrer Muttersprache und sagen ihnen: Ohne Berufsausbildung, ohne Sprachkenntnisse, ohne einen Rechtsanspruch auf Sozialleistungen oder Wohnraum können wir Euch keine Perspektive bieten. Ihr müsst zurückfahren. Wir sind in Hamburg ganz erfolgreich mit dieser Art Rückführung, denn es gibt für diesen Personenkreis hier keine Integrationsperspektive.
Könnten Sie die Menschen, wenn sie einen Anspruch hätten, überhaupt in öffentlichen Unterkünften unterbringen?
Wegen der hohen Flüchtlingszahlen haben gegenwärtig außer in Hotels keine Chance, jemanden unterzubringen. Gar keine Chance. Wir haben keine Plätze. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, fest angelehnt.
Wie dramatisch ist die Lage?
Unsere Erstaufnahmestelle ist um 500 Personen überfüllt, weil wir die Flüchtlinge von dort aus nicht in die Folgeunterbringung abgeben können. Uns fehlen für dieses Jahr 4000 zusätzliche Plätze. Bei 2400 Plätzen wissen wir immerhin, wo sie entstehen sollen, einige werden schon gebaut. Bei 1600 Plätzen wissen wir noch nicht einmal, wo wir sie bauen können.
Falls alles klappt, hätten Sie am Ende 14000 Plätze. Reicht das überhaupt?
Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Wir gehen von den Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus, die für dieses Jahr eine Steigerung der Flüchtlingszahlen um etwa 30 Prozent melden. Aber Innenminister de Maizière nannte kürzlich in einem Interview schon wieder deutlich höhere Zahlen. Da würden wir finanziell und räumlich vor unglaublichen Problemen stehen.
In Irak und Syrien sieht es nicht so aus, als würde sich die Lage entspannen.
Auch in Eritrea, Somalia und Süd-Sudan sehe ich nicht, dass Ruhe einkehrt. Und den Menschen muss man helfen.
Was kosten die neuen Plätze?
Wir haben mal gerechnet: Im Schnitt müssen wir 20 000 Euro investieren, um einen Platz herzustellen.
Stimmt es, dass Obdachlose auf der Straße leben müssen, weil alle Unterkünfte voll sind?
Obdachlose machen im Sommer Platte und im Winter können sie ins Winternotprogramm gehen. Die eigentlich Leidtragenden sind momentan alle, die ihre Wohnung verlieren und zumindest zwischenzeitlich in eine öffentliche Unterkunft müssen, damit sie von dort aus wieder eine neue Wohnung finden können. Für diese Menschen ist es sehr schwierig. Das sind etwa 750 Hamburger.
Es ist aussichtslos?
Jedes Bett, das wir in Containern oder Pavillons schaffen, geht an Flüchtlinge. Unsere Fachstellen für Wohnungsnotfälle müssen die Menschen zum großen Teil wieder wegschicken.
Sozialarbeiter berichten von Schwangeren, Alten oder Krebskranken, die seit dem Ende des Winternotprogramms im April wieder auf der Straße leben müssen.
Das kann eigentlich nicht sein. Sogenannte Härtefälle, also Hochschwangere, Kranke oder Frauen mit Kindern bringen wir in Hotels unter. Wir haben inzwischen 240 Plätze in Hotels belegt, vor einem Jahr waren es noch 80. Das steigt sprunghaft.
Woher nehmen Sie das ganze Geld?
Wir bereiten gerade eine Nachforderung zum Haushalt vor. Da geht es um sehr viele Millionen Euro. Insgesamt werden wir dieses Jahr über 250 Millionen für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen ausgeben. Bislang konnten wir Kürzungen in anderen Bereichen vermeiden. Aber wenn das in den nächsten Jahren so weitergeht, wird es sehr schwierig.
Was machen Sie dann?
Wir fahren im Moment auf Sicht.
Macht Ihnen persönlich die Situation zu schaffen?
Ich bin viel unterwegs und war neulich in einem Containerdorf in Lokstedt. Das ist deprimierend. So ein Container ist ein kleiner Raum, geteilt mit einem Vorhang, da stehen vier Betten drin, vier Spinde. Das ist alles ganz erbärmlich, gerade wenn dort auch Kinder wohnen. Umso beeindruckender ist das großartige Engagement von Nachbarn, die sich um die Flüchtlinge kümmern, besonders um die Kinder.
Ihr ganzes Geld fließt in neue Gebäude. Und die Situation in den bisherigen Unterkünften bleibt so prekär, wie sie ist?
Das ist kein böser Wille. Wir haben gegenwärtig keine Chance, die Qualität der Unterkünfte zu verbessern. Da kann ich wohl für alle meine Kollegen in den deutschen Großstädten sprechen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung jetzt die Wartezeit bis zur Arbeitsaufnahme auf drei Monate verkürzt. Wenn es gelingt, Flüchtlinge schneller in Arbeit zu bringen und zu integrieren, entlastet das die öffentlichen Haushalte und löst die Spannungen in den Unterkünften.
Schaffen es die Städte überhaupt allein?
Wir müssen darüber reden, dass der Bund uns hilft. Wenn ich mir Städte im Ruhrgebiet anschaue, die schon in der Haushaltssicherung sind – das können wir Kommunen nicht alleine stemmen. Da müssen wir über eine Kostenbeteiligung des Bundes diskutieren. Die finanziellen Belastungen sind extrem geworden.
Vor 20 Jahren lagen drei große Wohnschiffe mit Hunderten Flüchtlingen im Hamburger Hafen. Ist es bald wieder so weit?
Wir haben die Hafenbehörde Hamburg Port Authority gebeten, nach Liegeplätzen und Schiffen zu suchen. Wir müssen die Schiffe am Ende ja nicht einsetzen, aber wir müssen zumindest jetzt die Planung vorantreiben, um es bei Bedarf schnell tun zu können. Mir ist es egal, ob 100 Plätze in einem Containerdorf geschaffen werden oder auf einem Schiff. Hauptsache, wir bekommen genügend Plätze.
Sie würden wieder Schiffe einsetzen?
Wenn uns jetzt noch 1600 Plätze fehlen und wir 200 Plätze auf einem Schiff bekommen können, dann nehmen wir sie. Es ist aber nicht einfach. Der Liegeplatz muss hergerichtet werden, Infrastruktur muss dahin, so einfach ist das alles nicht.
Das alles zeigt, in welcher Not Sie stecken.
Ja. Die Lage ist extrem.