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„Ich brauche nur das Handwerk“

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Jessica Schober arbeitet als freie Reporterin und sammelt seit vergangenem Mittwoch auf der Crowdfunding-Plattform Startnext Geld für ihre „Wortwalz“ – eine Gesellenwanderung durch deutsche Lokalredaktionen. 142 Euro waren ihr Ziel, schon zwei Tage nach dem Start hatte sie mehr als tausend Euro zusammen.



Jessica Schrober geht auf "Wortwalz".

Frau Schober, wie muss man sich Ihre „Wortwalz“ konkret vorstellen?

Jessica Schober: Ich werde Ende Juli losziehen und über das Ortsausgangsschild von München klettern, so ist es der Brauch unter Gesellen. Ich vergrabe eine Flasche Schnaps unter dem Schild, danach darf ich mich meiner Heimatstadt und einem Umkreis von 50 Kilometern erst einmal nicht mehr nähern. Ich werde trampen, deshalb habe ich keine Ahnung, wo ich landen werde. Sobald ich eine Stadt 50 Kilometer außerhalb von München erreiche, werde ich mich zur örtlichen Tageszeitung durchfragen, anklopfen und fragen: Gibt’s hier etwas zu schreiben? Kann ich eine Woche mitarbeiten? Und irgendwo übernachten? Inzwischen habe ich eine Liste mit 50 Redaktionen, die mich aufnehmen wollen. Ich werde sie ausdrucken und mitnehmen, um den Regeln der Walz treu zu bleiben.

Welche Regeln sind das?

Ich werde kein Handy und keinen Laptop dabei haben und kein Geld für Zugreisen oder Hotelzimmer ausgeben. Drei Jahre und einen Tag, wie die traditionelle Walz geht, werde ich aber nicht unterwegs sein, sondern erst mal einen Sommer lang.

Journalismus ohne Computer und ohne Telefon, wie soll das gehen?

Man könnte meinen, das ist das Handwerkszeug des Journalisten. Ich glaube, ich brauche nur das Handwerk, Fragen zu stellen und mich zu wundern. Was ich sonst zum Arbeiten brauche, habe ich dann in den Redaktionen.

Wofür sammeln Sie die für Crowdfunding recht bescheidene Summe von 142 Euro?

Für ein Zugticket in den Norden. Ich will unbedingt zur „Sommerbaustelle“ der Handwerksgesellen, die sich ein Mal im Jahr treffen und an einem gemeinnützigen Projekt arbeiten. Das Geld, das ich über die 142 Euro hinaus bekomme, macht mich unabhängiger. Ich will auch bei Lokal-Bloggern mitarbeiten, etwa bei „Da Hong“ aus dem Bayerischen Wald oder den „Prenzlauer Berg Nachrichten“. In den Redaktionen möchte ich aber nicht umsonst arbeiten. Wenn jemand kommt und eine Woche lang kostenlos mitarbeitet, wird der Lokaljournalismus finanziell nur noch mehr entwertet. Ich habe das selbst erlebt. Als ich anfing, bekam ich weniger als 20 Cent pro Zeile. Wenn ich die Zeitungen austrug, verdiente ich mehr.

Wie sind Sie auf die Idee mit der Walz gekommen?

Ich habe mal ein Porträt über eine Bäckergesellin auf der Walz geschrieben. Sie weiß morgens nicht, wo sie abends schläft. In Dresden lernte sie ein Stollenrezept, in Bayern eins für einen Brezenteig, mittlerweile ist sie in Kanada. Das hat mich fasziniert.

Normalerweise wollen Journalisten weg von den Vereinsjubiläen und Kaninchenzüchtern. Warum wollen Sie unbedingt in den Lokaljournalismus?

Ich schrieb mal in einer Lokalzeitung über Schlaglöcher in einer bestimmten Straße und machte dafür ein Foto, aber nicht genau von der Straße, sondern von einer anderen mit Schlaglöchern. Ich bekam mindestens zehn Leserbriefe mit Beschwerden. Den Menschen ist wichtig, was vor ihrer Haustür passiert. Ich habe eine Weile im Magazinjournalismus gearbeitet und kam immer weniger vom Schreibtisch weg. Ich glaube, dass die Leute sich eine andere Form von Lokalberichterstattung wünschen. Ich will herausfinden, wie lokale Geschichten erzählt werden können. Vielleicht benutzt eine Lokalzeitung ein Storify-Tool, wenn das Schützenfest durch die Stadt zieht. Ich will in den Redaktionen Rezepte finden, so wie diese Bäckerin sie auf ihrer Reise fand.

Ein bisschen erinnert Ihre Idee ja an „Cowdspondent“, ein Projekt, das gerade erfolgreich Geld für eine Reportagereise durch Deutschland gesammelt hat. Ich kenne Lisa Altmeier und Steffi Fetz von „Crowdspondent“ und finde ihre Idee großartig. Dass sie so erfolgreich waren, hat mich motiviert.

Ich habe auch das Crowdfunding für das Onlinemagazin„Krautreporter“ unterstützt.

Gerade überschlagen sich die journalistischen Crowdfunding-Projekte.

Ich glaube, das ist wie mit diesem seltsamen Phänomen in der Betriebswirtschaft: In einem Gewerbegebiet können auch drei verschiedene Baumärkte stehen, und es lohnt sich für alle drei.


Jessica Schober, 26, aus München hat Politikwissenschaft, Soziologie und Journalismus studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Was sie auf ihrer Walz erlebt, wird sie unter Wortwalz.de bloggen.

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